Wie verschiedene Medien berichten, hat Judith Butler den ihr angetragenen „Zivilcourage-Preis“ auf der Berliner Christopher Street Day-Veranstaltung ausgeschlagen. „Die Veranstaltung sei ihr zu kommerziell und oberflächlich.“, so heißt es in der Frankfurter Rundschau. Diese Kritik ist alle mal richtig, hat aber einen etwas schalen Nebengeschmack, da sich Butlers Rede bei einer anderen Veranstaltung am Vorabend in der Berliner Volksbühne auch nicht gerade vor Radikalität überschlug: Eine Anhäufung ‚ewiger Wahrheiten’ über Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. „Das ist ja wie im Gemeinschaftskundeunterricht“, meinte eine meiner BegleiterInnen. De-Konstruktion wäre in der Tat etwas anderes gewesen.
Weiter heißt es in dem FR-Bericht: „Die Veranstaltung […] richte sich nicht genügend gegen Probleme wie Rassismus und doppelte Diskriminierung von beispielsweise Migranten, die homosexuell oder transsexuell empfinden.“
Nun ja, als ob sich politische Radikalität, das an die Wurzeln der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse Gehen, an der Länge des politischen Wunschzettel mißt, also es damit getan wäre, einfach auch noch etwas zu Rassismus zu sagen – und nicht daran, ob gesellschaftliche Antagonismen als solche erkannt und benannt werden und Strategien, die dem antagonistischen Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse angemessen sind, entwickelt werden. Zu kritisieren wäre also nicht (nur) die Rassismus-Blindheit der offiziellen CSD-Veranstaltung, sondern auch schon die integrationistische und rechts-zentrierte (Homo-Ehe usw.) Art und Weise, in der das den offiziellen CSD tragende Spektrum queere Politik betreibt. Nur – in dieser Hinsicht unterschied sich das, was Judith Butler am Freitagabend vortrug, allenfalls minimal vom schwullesbischen mainstream – obwohl gerade aus de-konstruktivistischer Perspektive einiges Kritisches zu dem Rechtsidealismus und Rechtsvoluntarismus zu sagen wäre, der nicht nur queere Politik prägt, sondern ansonsten durchaus scharf entgegengesetzte linke Strömungen verbindet (vgl. annäherungsweise die dort und dort genannten Texte).
Etwas genauer berichtet der blog im garten mit satie über Butlers Ausführungen zu dem Rassismus-Punkt: „Sie [Butler] habe […] leider […] feststellen müssen, dass sich die Veranstalter_innen des kommerziellen CSDs von rassistischen und islamophoben Äußerungen nicht distanzierten.“ Auch hier bleibt unklar, was genau gemeint ist. Aber das mag weniger der Rednerin als vielleicht vielmehr der Berichterstattung geschuldet sein. Gesagt werden könnte und sollte bspw. etwas zu der Tendenz, trans- und homophobe Gewalt zu ethnisieren. Suspect weist in einer Presseerklärung zum hier besprochenen Anlaß darauf hin: „Homophobie und Transphobie werden hier als Probleme von Jugendlichen of Colour umdefiniert, die anscheinend nicht richtig Deutsch können, deren Deutschsein immer hinterfragt bleibt, und die schlicht nicht dazugehören.“
Und was die Vernachlässigung der Thematisierung der „doppelte[n] Diskriminierung von beispielsweise Migranten, die homosexuell oder transsexuell empfinden“ (FR – meine Hv.), bzw. von Menschen, „die in doppelter oder dreifacher Weise diskriminiert würden bspw. wegen ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung, ihrer Religion oder ihres Geschlechtes“ (im garten mit satie – meine Hv.) anbelangt – auch dies bleibt zum einen in der Logik des Quantitativen („doppelt“, „dreifach“), hat aber keinen begrifflichen Zugriff auf gesellschaftliche Strukturen. Und zum anderen: An dieser Stelle scheint es nicht schwerpunktmäßig noch einmal um Rassismus zu gehen, sondern „Migranten“ und „Herkunft“ sind nur beispielhaft genannt. –
Aber: Was ist denn nun mit trans- und homosexuell? Und was ist mit Geschlecht? Daß der queere mainstream über ersteres zu wenig spricht, läßt sich wohl kaum sagen. Und was ist mit Geschlecht? Butler selbst redete am Freitagabend 1 ½ Stunden über trans- und homophobe Gewalt und ein bißchen über Krieg, aber mit keinem Wort über Männergewalt gegen Frauen. Das einzige, was Judith Butler am Freitagabend zum Thema „Geschlecht“ sagte, war eine Annekote über eine Konferenz, zu der sie eingeladen war. Nach der Konferenz wollten die Veranstalterinnen mit ihr in eine Frauenbar gehen, wo als „Frau“ jede gelten sollte, die die Erfahrung hatte, auf der Straße als Frau behandelt zu werden. Auch diese durch und durch soziale und politische und keinesfalls biologistische Definition von „Frau“ war Butler nicht queer genug, nicht transfreundlich (?), nicht männerfreundlich (?) genug.
Auch der Aufruf zum transgenialen CSD, der am kommenden Samstag (26.6.) stattfindet (Route: vom Rathaus Neukölln zum Heinrichplatz in Kreuzberg 36) und auf dessen Seite es weitere links zum Thema gibt, kommt ohne die Wörter „feministisch“ und „Feminismus“ aus, und „geschlecht“ kommt ausschließlich in diesem Satz vor: „Noch immer sind Menschen, die sich nicht in die zweigeschlechtliche heteronormative Welt pressen lassen, von homophober und transphober Gewalt betroffen“.
Der A-, wenn nicht sogar Anti-Feminismus scheint der heimliche Konsens von kommerziellem und transgenialem CSD zu sein. Derartigen Entwicklungen zuzuarbeiten war keinesfalls das Anliegen von Judith Butler, als sie vor rund 20 Jahren gender trouble schrieb:
„Die Vielschichtigkeit der Geschlechtsidentität erfordert eine inter- und postdisziplinäre Serie von Diskursen, um der Domestizierung der Geschlechter- oder Frauenstudien an der Universität zu widerstehen und den Begriff der feministischen Kritik zu radikalisieren.“ (S. 13).
Den Feminismus zu radikalisieren – dieses Anliegen ist heute noch dringender als vor 20 Jahren. Nach der theoretischen De-Konstruktion der Kategorie Geschlecht geht es darum, zur politischen De-Konstruktion der (hetero/a)sexistischen gesellschaftlichen Strukturen zu schreiten. Dafür bedarf es mehr als der liberalen Rede über „Diskriminierungen“, „Menschenrechte“ und der allumfassenden Distanzierung von Gewalt (tCSD: „Wir wenden uns gegen jede Form von sexueller, psychischer und körperlicher Gewalt!“). Dafür bedarf es der Rede über Herrschaft und Ausbeutung und darüber, wie sie beseitigt werden können.
„patriarchy is a differentiated, contradictory structure that historically produces identical effects differently. […]. All these various patriarchal arrangements, in short, produce the same effects: the oppression and exclusion of woman as other, the division of labor according to gender – specifically, the exploitation of women’s labor (whether in the public or private sphere) – and the denial of women’s full access to social resources. Woman thus occupy the ‚same‘ position within patriarchy differently, divided by the conjunctions of race, class, nationality, (post)colonialism, and so on“ (Teresa L. Ebert, Ludic Feminism, the Body, Performance, and Labor: Bringing Materialism Back into Feminist Cultural Studies, in: Cultural Critique No. 23, Winter 1992/93, 5-50 [21, 22] – Hv. i. O.)
„daß in zeiten allgemeiner ver-gewalt-ung aller lebensbereiche es keine revolutionäre gewalt geben könne, das ist die ebene der sogenannten ‚sozialpartnerschaft’. […]. wer so argumentiert, entwaffnet den aufstand von unten: direkt und geschichtlich, psychologisch, emotional, politisch. […]. ‚gewalt’ wird durch die dauernde berufung zur schlange, vor der die kaninchen erstarren. jede gesellschaftliche auseinandersetzung soll so auf die sogenannte ‚demokratisch-rechtsstaatliche’ ebene fixiert werden. […]. es ist notwendig, öffentlich zu unterscheiden zwischen faschistischer gewalt, gewaltmonopol des staates und rebellion von unten; es ist notwendig, position zu beziehen. […]. feminismus ist nicht nur selbstverteidigung mit dem rücken zur wand und dem grauen im herzen. feminismus ist nicht allein der gesellschaftliche rückzug in frauengemeinschaften. das empören gegen ungerechtigkeit, die wut im bauch, die theorie von unterdrückung und veränderung. feminismus ist mehr als die reaktion auf politische umstände oder materielle bedingungen. feminismus ist das bewußtsein, nicht nur von ursachen der unterdrückung, sondern auch von bedingungen, notwendigkeiten, möglichkeiten der veränderung.“
(Eine feministische Kritik, in: interim, Nr. 229, 25.02.1993, S. 23 – 27).
Vgl. auch noch http://theoriealspraxis.blogsport.de/2007/08/10/de-konstruktiv-oder-destruktiv-queer-lesbianismus/.
Nachtrag vom 25.06.2010:
► Offizielle CSD-Stellungnahme zu Butlers Preisannahme-Verweigerung [nebst Übersicht über die bisherige Diskussion]
http://maedchenblog.blogsport.de/2010/06/25/offizielle-csd-stellungnahme-zu-butlers-preisannahme-verweigerung/