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Das Wahlergebnis steht fest: Die von ARD, ZDF und RTL beauftragten Instituten sind sich bei minimalen Abweichungen voneinander sowie der ersten Hochrechnungen von den 18 h-Prognosen einig: Union und FDP bekommen 48 oder mehr Prozent; SPD, Grüne und Linke bekommen ca. 46 Prozent (eher weniger als mehr). Der Anteil der sonstigen ist folglich hoch; die ARD nennt für die Piratenpartei einen Anteil von ca. 2 Prozent. Wird davon ausgegangen, daß die Piraten in etwa zu gleichen Teilen bei FDP- und Grünen-Sympathisanten sowie Nicht-Wählern (die -innen dürften von deutlich geringerer Bedeutung sein) gefischt haben, hätte wohl auch deren Nicht-Kandidatur den schwarz-gelben Erfolg nicht verhindert.
Im einzelnen läßt sich folgendes sagen:
1.a) Die SPD hat eindeutig auf das falsche Pferd und die falsche Strategie gesetzt. Sie wird im Moment bei um die 23 Prozent eingeschätzt. In der letzten ARD-Umfrage vor dem Beck-Rücktritt lag die SPD bei 26 % und Schwarz-Gelb hatte keine (relative) Mehrheit vor rot-grün-rot. (1) Beim ZDF lag die SPD bei 25 %; Schwarz-Gelb hatte schon damals eine Mehrheit. (2) Auch Allensbach (für die FAZ) kam für die SPD noch auf über 25 %; die Lager-Mehrheitsverhältnisse sind in der Graphik schlecht zu erkennen (in etwa Patt). (3)
Allein Forsa (dessen Chef gegen Beck Politik machte) gab für RTL und Stern vor dem Beck-Rücktritt einen SPD-Wert von 20 % (Juli 08: 22; im Wechselmonat Sept.: 24) an; Schwarz-Gelb hatte eine Mehrheit. (4)
Steinmeier hat weitere Verluste der SPD – und zwar vermutlich in erster Linie an die Nicht-WählerInnen nicht verhindern können. (5) Ein SPD-Kanzlerkandidat der nicht Regierungsmitglied ist, hätte die SPD-StammwählerInnen wahrscheinlich etwas besser mobilisieren können.
Und: Sicherlich war Hessen schlecht eingefädelt worden. Aber wenn es mit stärkeren bundespolitischer Unterstützung gelungen wäre, die hessischen AbweichlerInnen – bspw. durch personelle Zugeständnisse – zu integrieren, hätte die SPD sogar das Risiko eines rot-rot-grünen Lagerwahlkampfes eingehen können. Zumindest für die SPD hätte das auch nicht viel schlechter ausgehen können als jetzt (etwaige Verluste nach rechts hätten wahrscheinliche Gewinne von links gegenüber gestanden). Vielleicht wäre über eine erfolgreiche Regierungsbildung in Hessen (keine Neuwahlen), eine anschließende erfolgreiche Mobilisierung des rot-rot-grünen Lagers in Bayern (endlich CSU-Mehrheit kippen) gelungen, die knappen Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung zu kippen und auf einem solchen Erfolg wiederum zur EU-Wahl besser zu mobilisieren und dies bis zur Bundestagswahl zu ziehen.
b) Noch dramatisch sind die Verluste der SPD im Vergleich zur Bundestagswahl 2005: 34,2 – 11,1 = 23,2 % (lt. ARD und ZDF). Das ist ein Verlust von fast einem Drittel; in Stimmen gerechnet (wegen der stark gesunkenen Wahlbeteilung) noch mehr. Schröder wäre derjenige gewesen, der nach dem das Rennen zwischen Union und SPD 2005 überraschend knapp ausgegangen war, den Tiger eines rot-rot-grünen Bündnisses hätte reiten können – und zwar ohne wesentliche Abstriche an seinem neoliberalen Kurs machen zu müssen.
Die Linken links von der Sozialdemokratie können sich unter diesem Gesichtspunkt über die Entwicklung seit 2005 nur freuen. Es wurden ein paar Jahre gewonnen, in der Diskussionen ohne den Druck einer bundesweiten Regierungsbeteiligung der Linkspartei geführt werden können – genutzt wurde diese Situation bisher kaum.
2. Nicht nur in Anbetracht der Programmatik der Linkspartei, auch im langfristigen historischen Vergleich besteht – auch abgesehen von dem ohnehin zu erwartenden schwarz-gelben Wahlerfolg – kein Grund zu Euphorie. So gut wie das Wahlergebnis der Linkspartei (auch und gerade im Vergleich zu den EU-Parlamentswahlen) ist: Gegenüber 1998 ist das rot-rot-grüne Lager massiv eingebrochen und dessen rot-grüner Teil massiv nach rechts gewandert.
Und SPD und Linkspartei zusammen sind schwächer als die SPD von 1961 bis 2002 allein; nur geringfügig stärker als die SPD 2005; in etwa genauso stark wie SPD und KPD 1949 zusammen. Nur 1953 und 1957 fielen die Ergebnisse von SPD + KPD bzw. SPD noch (geringfügig) schlechter aus.
Damit ist auch klar, es wird kein Zurück zum Fordismus der Nachkriegszeit geben (die Sozialausschüsse der Union sind ja von der Krise der Sozialdemokratie ebenfalls mitbetroffen). Es mag zwar rot-rot-grüne Landesregierungen und irgendwann auch eine solche Bundesregierung geben. Ein Zurück zum Fordismus werden solche Regierungen – von den internationalen Bedingungen ganz abgesehen – nicht bewerkstelligen. Da stehen die Grünen teils aus guten, teils aus schlechten Gründen dagegen. Und rot-rote Regierungen werden Landesspezifika bleiben.
3. Aber auch abgesehen von – auch nur reformistischen – gesellschaftsgestalterischen Ansprüche dürfte der Erfolg der Linkspartei (in ihrer bisherigen Form als v.a. neo-sozialdemokratisches Projekt) mit den heutigen Wahlen seinen Höhenpunkt erreicht haben. Auch rein wahlpolitisch und parteiegoistisch betrachtet läßt sich – gegen die SPD in der Opposition – ein weiterer Ausbau der Linkspartei wahrscheinlich nicht dadurch die Gewinnung enttäuschter SPD-lerInnen für die Linkspartei als wahrer Sozialdemokratie erreichen (und der Weg zurück zur ostdeutschen Regionalpartei ist ohnehin versperrt).
Will sich die Linkspartei nicht als 5 bis etwas über 10 Prozent-Partei einrichten, steht damit die Debatte über eine politische Konzeption, die dem 21. Jahrhundert angemessen ist, an. Optimismus ist bzgl. eines Willens relevanter Teile der Linkspartei zu einer solchen Debatte m.E. nicht angebracht.
4. Die Linken links von Linkspartei schließlich können sich auf die massiv gesunkene Wahlbeteiligung von 78 auf 71 % (lt. ARD) nichts einbilden. Wer/welche meint, daß die Leute nicht zur Wahl gegangen seien, weil ihnen die Linkspartei nicht links genug sei, dürfte falsch liegen. Wenn es ein solches Potential links von der Linkspartei als Realität schon gäbe, müßte es sich das in irgendeiner Weise außer dem Nichtwählen zeigen: Sei es in Form von spontanen Protest, in AktivistInnen-Zuwachs der linken Kleinorgansationen oder der autonomen Szene – oder eben doch im Wählen (von MLPD, DKP oder PSG). Aber nichts davon.
5. Damit stehen jetzt zwei Fragen an:
a) Wie kann ein erfolgreicher Abwehrkampf gegen die zu erwartende verstärkte Abwälzung der Krisenlasten und der Kosten des Staatsinterventionismus der bisherigen Großen Koalition auf Lohnabhängigen entstehen und geführt werden? Wie neulich schon gesagt: Abwarten und Beobachten dürfte diesbzgl. auf alle Fälle zu wenig sein. Was notwendig ist, ist vielmehr eine Debatte, was denn Forderungen und Aktionsformen sein könnten, die die – sicherlich in Teilen der Bevölkerung als Potential vorhandene – Unzufriedenheit in Aktivität mit linker politischer Orientierung umsetzt.
b) Wenn obigen These, daß der Weg Zurück zum Fordismus versperrt ist, zutreffend ist, stellt sich auch hier die Frage nach einer politischen Konzeption, die dem 21. Jahrhundert angemessen ist, denn reine Abwehrkämpfe dürften wenig erfolgversprechend sein. Damit stellen sich dann zwei weitere Frage:
aa) nach eine Kapitalismus-Kritik, die wirklich treffend ist und die (auch in der ökonomischen Krise oder endlich) das Verhältnis von Kapitalismus sowie rassistischer und sexistischer Herrschaft und Ausbeutung sowie die ökologischen Probleme nicht vergißt.
bb) Nach den organisatorischen Formen, die zur Bearbeitung dieser Fragen erforderlich sind.
Ohne zu behaupten, darauf eine Antwort parat zu haben, erlaube ich mir zu beiden Punkten noch einmal auf einige meiner jüngeren Texte zu verweisen. (6)
PS.:
Weitere Stimmen zum Wahlausgang der meta-blog zusammengestellt:
http://meta.blogsport.de/2009/09/27/blogsport-zur-wahl/.
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