Ich hatte kürzlich eine .pdf-Bild-Datei des Szene-Klassikers „Ich sag‘, wie’s ist!“, der 1988 in den interim Nr. 26, 27 und 28 erschien, online gestellt und dabei die Hoffnung ausgedrückt, daß sich vielleicht jemandE die Mühe macht, die Datei OCR zu behandeln und Korrektur zu lesen. Tatsächlich bekam ich am Wochenende eine word-Datei im erstklassigen Zustand zugeschickt. Vielen Dank!
Ich habe die Datei nun meinerseits noch einmal am Bildschirm Korrektur gelesen (aber nicht Zeile für Zeile mit dem Original vergleichen) und dabei
++ noch die Seitenzahlen der Erstveröffentlichung eingefügt (der Text selbst war mit durchgehender Seitenzählung über alle drei Teile hinweg versehen, während die interim-Hefte keine eigene Seitenzählung hatten)
++ eine handvoll verbliebener Scanfehler entdeckt und beseitigt
und
++ – im Interesse der besseren Lesbarkeit – ebenfalls ungefähr eine handvoll Fehler, die bereits im Original enthalten waren, korrigiert.
Die Bebilderung des Originals ist der Einfachheit halber nicht in die Textdatei übernommen. Das Ergebnis findet Ihr hier – jetzt als .pdf-Text-Datei.
Die Zusendung wurde mit der Anregung verbunden, auf dem Blog eine Diskussion darüber anzustossen, ob a) die von den AutorInnen des „Ich sag‘, wie’s ist!“-Papieres geforderte festere Organisierung überhaupt der richtige Weg ist und b) ob die Interventionistische Linke perspektivisch diese Organisierung darstellen kann.
Uff. Ich will es versuchen – ob daraus etwas wird, hängt dann allerdings von den LeserInnen ab:
zu a): Ich würde den AutorInnen im Kern Recht geben – auch wenn die Begrifflichkeit von „Kaderorganisation“, „demokratischer Zentralismus“, „Zellenprinzip“ und „Avantgardeanspruch“ schon damals – und heute erst recht – einen etwas altbackenen Klang hat(te). Mit der angeratenen sprachlichen Modernisierung würde ich sagen: Auch heute ist eine Organisation zumindest potentiell politisch wirksamer als bloße autonome Kleingruppen. Sie kann – (eine entsprechende Praxis vorausgesetzt) Wirksamkeitsgrenzen überschreiten, die Kleingruppen oder spontane Bewegungen per se (auch bei der besten Praxis) nicht überschreiten können. Eine kollektive, übergreifende und kontinuierliche Weiterentwicklung von theoretischer und politischer Praxis beinhaltet die Chance, zu besseren Ergebnissen zu kommen. Dies zu erreichen, sollte in der Tat der Anspruch einer solchen Organisation sein – und damit ist dann auch verbunden, in Bewegungen nicht einfach nur mitzuschwimmen, sondern zu versuchen, orientierend zu wirken. Ob derartige Vorschläge dann auch akzeptiert werden – ob also die prätendierte Avantgarde auch tatsächlich Avantgarde ist –, steht dann allerdings auf einem anderen Blatt (wie in dem dokumentierten Text auch schon erkannt wurde). Und eine solche Organisation bedarf auch demokratisch strukturierter verbindlicher Entscheidungsfindung.
zu b): Diese Frage zu beantworten, fällt mir deutlich schwerer. Da ich mich die letzten Jahre überwiegend im Ausland aufgehalten habe, habe ich von IL in erster Linie das mit bekommen, was im ak steht (und auch davon eher nur den kleineren Teil gelesen) und das Hickhack um die – auch m.E. stark verunglückte – Pressearbeit nach der Anti-G8-Demo in Rostock.
Auf dieser völlig unzureichend Informationsgrundlage will ich – ausgehend von dem Anfang des „Ich sag‘, wie’s ist!“-Textes – trotzdem mal versuchen, eine These zur gewünschten Diskussionsanregung zu formulieren:
Das dokumentierte Papier beginnt wie folgt: „Wir, aus der autonomen und antiimperialistischen Szene kommend, haben dieses Papier geschrieben, um eine grundsätzliche politische Diskussion zu führen. Wir sind nämlich der Ansicht, daß unsere eigene politische Arbeit und die der Szene von einer Reihe von Fehlern, Schwächen und Lücken gekennzeichnet war und ist. Diese müssen dringend überwunden werden, wenn wir hier eine wirksame revolutionäre Bewegung aufbauen wollen. Es handelt sich um den fehlenden Klassenstandpunkt, militaristische Tendenzen, Ghetto-Mentalität, freiwillige Desorganisation, zu kurzes und inkonsequentes politisches Denken und eine weitgehende Ignoranz gegenüber dem Marxismus-Leninismus.“
Mir scheint, die IL bemüht sich am effektivsten um Überwindung von „militaristische[n] Tendenzen, Ghetto-Mentalität“ und „freiwillige[r] Desorganisation“. Der Anspruch, eine „revolutionäre Bewegung aufbauen [zu] wollen“, ein „Klassenstandpunkt“ und der „Marxismus-Leninismus“ ist dagegen bei der IL für mich deutlich weniger zu erkennen.
Nun ist es um den – von Stalin, wenn nicht erfundenen, so doch maßgeblich verbreiteten – Ausdruck „Marxismus-Leninismus“ und zumal um die von Stalin dem Ausdruck beigelegten Inhalte (um die ging es auch den Papier-AutorInnen wohl nicht) nicht besonders schade. Und auch zum „Klassenstandpunkt“ wären zahlreiche komplizierende Anmerkungen zu machen. – Nur scheint mir, daß alldas von der IL unkritisiert und ersatzlos einfach fallen gelassen wird – wie sich auch in dem ziemlich unspezifischen Namen (Intervention. Ja, aber wofür?) ausdrückt.
Also: Mir fällt es – abgesehen davon, NSB-/NGO-näher zu sein und sein zu wollen, als die autonome Szene – schwer, eine politische Linie zu erkennen. Der Interventionismus des Kommunistischen Bundes (KB) der 70er und 80er Jahre bspw. in die Anti-AKW-Bewegung oder den grünen Parteibildungsprozeß war da schon spezifischer.
Oder noch mal anders gesagt: „Militarismus“ weg, ohne daß statt dessen besonders viel inhaltliche Butter bei Fische dazukommt – das erweckt bei mir den Eindruck von ‚Entradikalisierung‘, die von den AutorInnen des 1988er Papieres vermutlich nicht intendiert war.
Erinnert sei in dem Zusammenhang noch einmal an den Autonomen Kongress, der vom 8. – 11.10. in Hamburg stattfinden wird, (1, 2 3, 4)
und meine Rezension der Organisierungsdebatte in der radikal:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/25/radikal-interview-mit-der-militanten-gruppe-zu-organisierung-des-revolutionaeren-widerstandes-teil-iv-der-rezension-zu-radikal-nr-161/
und
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/07/auf-papier-gelesen-radikal-nr-161-t_i/
sowie diese Kommentar-Diskussion:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/27/was-waehlen-teil-iv-ein-sieg-von-schwarz-geld-waere-ein-schritt-zurueck-hinter-seattle/#comment-454 (Mephisto – 27. September 2009 um 15:40 Uhr) + nachfolgende Antwort. -
Ich fände es auch sinnvoll, wenn eine Diskussion zustandekommt; die Kommentarfunktion steht ohnehin zur Verfügung. Wer/welche etwas längeres schreiben will, kann sich gerne auch als BenutzerIn anmelden und einen eigenen, neuen Beitrag schreiben.
Interessant fände ich auch, falls die seinerzeitigen Papier-AutorInnen, falls sie das hier lesen, mitteilen würde, warum dem seinerzeitigen Papier anscheinend nie etwas Weiteres folgte – weder ein weiteres Papier noch ein Umsetzungsversuch. Und was für ein Grüppchen war eigentlich die in dem Papier zwei- oder dreimal zitierte Proletarische Aktion mit der Zeitung Partisan?