[Siehe die Vorbemerkung unter http://theoriealspraxis.blogsport.de/koproduktionen/moderner-kapitalismus-arbeiterinnenklasse-politisches-subjekt/]
Horst Dietzel hält uns entgegen, heute könne „nicht mehr ausschließlich aufgrund der Klassenanalyse“ politisch agiert werden. Da hat er (fast) recht, aber das haben wir auch nie bestritten. Bestreiten wollen wir allerdings schon, ob dies früher anders war. Worum es uns geht, ist, daß alle Herrschaftsverhältnisse (Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus) und die von ihnen produzierten gesellschaftlichen Verhältnisse nicht durch den Dialog und gemeinsamen „guten Willen“ von Unterdrückten und Unterdrückenden aufgehoben werden können, sondern nur im Kampf gegen die Herrschenden!
Unstrittig ist auch, daß der subjektive Faktor in der Politik im Zuge der Verwissenschaftlichung der Produktion wächst: Nur: Jede „subjektive Einsicht“ bedarf einer objektiven Grundlage, sonst ist das Ergebnis nur Voluntarismus: entweder reformistischer Voluntarismus wie bei der Grundsatzkommission oder revolutionaristischer Voluntarismus wie bei Teilen der Autonomen und anderen LinkssektierInnen.
Abschließend schreibt Dietzel – und damit kommen wir zum Kern der Differenz: „Die Tatsache, lohnabhängig zu sein, wirkt vor allem auf der Ebene des Verteilungskampfes zwischen Kapital und Arbeit, weniger auf den vielfältigen anderen Konfliktfeldern.“ Natürlich gibt es „keine lineare Entsprechung von ökonomischer Lage und politischer Aktivität“, die hat es nie gegeben. Aber das ändert nichts daran, daß auch die „neuen Konfliktfeldern“ von den alten Herrschaftsverhältnissen geprägt sind.
Und da sind auch die „neuen sozialen Bewegungen“ kein Gegenbeweis. Denn auch dort gibt es ein höchst unterschiedliches Verarbeitungsniveau beispielsweise von Patriarchat, ökologischer Krise und Friedensfrage. Da gibt es in der Ökologiebewegung die KapitalistInnen, die ganz unidealistisch für ihren neuen High-Tech-Filter einen Absatzmarkt suchen, denen es aber gleichzeitig egal ist, wenn sie ihrerseits mit ihrer Filterproduktion die Umwelt versauen. Und in der Friedensbewegung gab es die „aufgeklärten, dynamischen“ UnternehmerInnen, die vor allem einen neuen Absatzmarkt [in Osteuropa] suchten und deshalb erfolgreich zusammen mit Egon Bahr von der SPD für „Wandel durch Annäherung“ eintraten. Es zeigt sich also, daß die „neuen sozialen Bewegungen“ nicht umstandslos zu TrägerInnen des „Menschheitsfortschritts“ hochstilisiert werden können. Das [Die „neuen sozialen Bewegungen“] sind in der Tat [wie Dietzel zurecht schrieb] keine „Bündnisse von irgendwelchen Klassen und Schichten“. Daß sie das nicht sind, sondern nur diffus-spontan zusammenwirkende Individuen, bestätigt aber nur unsere These, daß der moderne der moderne Kapitalismus keinen Ansatzpunkt für klassenübergreifende Bündnisse gibt!
Vielmehr zeigt sich an diesem Beispiel, wie nah – trotz des (scheinbar) radikalen Bruchs – alte stalinistisches und neues sozialdemokratisches Denken beieinander sind: Während DKP/SED früher mit ihrer Konzeption von „antimonopolistischer Demokratie“ auf ein Bündnis der „nichtmonopolistischen“ Klassen setzten, ist die gleiche Konzeption heute vom vermeintlich marxistischen Jargon gereinigt und kommt neu-denkerisch als Bündnis von Individuen [= den von Dietzel in diesem Sinne interpretierten und zum Hoffnungsträger erklärten „neuen sozialen Bewegungen“] daher. DKP und SEW – so haben wir die Westberliner Gruppe „Revolutionäre Sozialisten“ zitiert – hätten sich bei ihrem „Spagat zwischen SED, Gorbatschow und dem westdeutschen ‚antimonopolistischen’ Kapital einen Bänderriß zugezogen’. Der PDS wird es mit der Differenz zwischen ihren hehren Ansprüchen („Lösung der Menschheitsprobleme“) und ihrer naiv-idealistischen Strategie („alle Menschen guten Willens sollen weiße Laken aus dem Fenster hängen“ [Anspielung auf die seinerzeitigen Proteste gegen den ersten Golfkrieg der USA]) nicht anders gehen – mit dem Unterschied, daß in der PDS (noch) die Chance besteht, diese Probleme zu diskutieren.
Leute aus der PROWO-Redaktion
[Die Erläuterungen in eckigen Klammern und kursiv-Setzungen im Text sind nachträglich hinzugefügt; ich selbst würde heute statt von ‚Unterdrückung‘ präziser von ‚Herrschaft und Ausbeutung‘ sprechen.]