Ich will eine – vielleicht allzu waghalsige – These wagen: Seit dem Erscheinen des historischen Dokuments, das im folgenden präsentiert wird, hat weder die reformistische noch die revolutionäre Linke in der BRD eine treffendere Analyse der internationalen Lage vorgelegt. Analye meint hier: nicht militär- oder wirtschaftswissenschaftliche Erbsenzählerei – sondern Blick auf das strategisch Entscheidende.
Wie waghalsig die These ist, zeigt sich daran, daß der Text aus dem Jahr 1983 stammt – und seitdem ja nun wahrlich einiges die weltpolitische Lage verändert hat. – Ich lasse mich gerne von der Irrtümlichkeit meiner These überzeugen und nehme gerne Belobigungen für seitdem erschiene Papiere entgegen.
Es handelt sich um das Papier „Krieg – Krise – Friedensbewegung“ mit dem Untertitel „In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod“, das im Dezember 1983 von der Roten Zora und den Revolutionären Zellen vorgelegt wurde. Es wird hier hervorgekramt wegen der aktuellen Diskussion über richtige und falsche Kritik an den USA.
Unser historisches Dokument zeigt einmal mehr, daß es nicht erst der Herausbildung einer Strömung der ‚Anti-Deutschen‘ nach 1989 bedurfte, um eine Imperialismus-Kritik, die allein oder nahezu vollständig auf die USA (und Israel) zugespitzt ist, zurückzuweisen. RZ & Rote Zora kritisierten die Ansicht, die BRD sei eine Geisel der USA und zeigten auf, daß die BRD vielmehr schon damals die Nr. 2 der NATO war. Sie wiesen des weiteren – wenn auch unter Investierung übertriebener linksradikaler Hoffnungen in Hungerrevolten – auf die Grenzen des Modells nationaler Befreiung hin:
„Es geht nicht mehr um trügerische nationale Souveränität, an die sich so viele Hoffnungen knüpften, die den Massen aber meist nichts einbrachte außer einem Staat, der nur kostete und den sie nicht brauchen, einer Armee, Verwaltung, Wahlen, Kleinfamilie usw. alles Dinge, die kein Mensch braucht und eine Bäuerin oder ein Arbeiter in der 3. Welt schon gar nicht. Was sie brauchen, nämlich die stofflichen Grundlagen für ein menschenwürdiges und gutes Leben, hat ihnen die nationale Befreiung allein nirgends gebracht. Die von den nationalen Eliten betriebenen Entwicklungsmodelle sind auf ihrem Rücken und auf ihre Kosten organisiert worden.“
Sie kritisierten den Euro-Imperialismus und deutschen Nationalismus des mainstreams der Friedensbewegung:
„Und da in Europa nichts läuft, ohne daß an der deutschen Frage gerührt wird, ist von links das Problem der Wiedervereinigung aufgeworfen worden. Im vorgeblichen Interesse der Abrüstung wird so an der Fiktion eines progressiven deutschen Nationalismus gewerkelt eines Nationalismus, in dessen Namen nicht nur zwei verheerende Weltkriege entfesselt, sondern auch jene Endlösung, jener Holocaust inszeniert wurden, als deren zukünftiges Opfer die Friedensbewegung heute demonstratives Massensterben veranstaltet. Geschichte verkehrt!“
Aber auch linksradikale Gruppen wurden nicht von Kritik verschont:
„Und selbst in linksradikalen Gruppen wurde unter Antiimperialismus vor allem Anti-US-Imperialismus verstanden, während die Aufrüstung der westeuropäischen Staaten und ihre zunehmende Bedeutung auf dem Weltmarkt praktisch unter den Tisch gefallen sind. Auf einem solchen Boden konnte die Legende von der ‚besetzten‘ BRD, konnte der ‚linke Patriotismus‘ prächtig gedeihen.“
Und apokalyptische Argumentationsmuster, die die Welt von einem Kampf zwischen Gut und Böse geprägt sehen, wurde kritisiert. – Nebenbei enthält der Text eine unbedingt lesenswerte, geradezu ‚leninistisch-avangardistische‘ Kritik an der spontaneiistischen Bewegungshuberei der autonomen Szene:
„Wieder einmal hat sich die falsche Hoffnung, daß die Bewegung vielleicht doch alles und das Ziel nur zweitrangig ist, als Trugschluß erwiesen, dessen Folgen in erster Linie wir alle auszubaden haben. Hinterher ist man meistens schlauer: eine falsche Politik wird nicht dadurch richtiger, daß man sie von innen her zu radikalisieren versucht.“
Kritisch sei allein das Kapitel „Neue Formen der Reichstumsakkumulation und Herrschaftssicherung“, das doch arg sozialrevolutionär-operaistisch und – in den auf das Geschlechterverhältnis bezogenen Passagen – arg ‚Bielefelderisch‘ ausfiel, vermerkt. Es sah einerseits die seit 1983 erfolgte ‚Postmodernisierung‘ des Geschlechterverhältnisses in keiner Weise voraus und lag auch mit seiner These vom Verschwinden der Arbeitskraft danehmen (statt dessen erleben wir heute eine Politik der massiven Ausweitung der Erwerbsbeteiligung [u.a. zum Zwecke der Lohndrückung]). Genau in diesem Kapitel wäre wohl auch die Kapitalismusanalyse von RZ/Rote Zora unter dem Gesichtspunkt der im hiesigen Kontext interessierenden Frage (richtige und falsche Kapitalismus-Kritik: angeblicher Gegensatz von Finanz- und Industriekapital) zu kritisieren; auch an einzelnen anderen Halbsätze ließe herummackeln. – Trotzdem hat der Text einen Qualitätsmaßstab vorgegeben, der von heutigen ‚Anti-Deutschen‘ und ‚AntiimperialistInnen‘ erst einmal zu erreichen wäre.
Ergänzend seien noch zwei Passagen aus dem RZ-Papier „Beethoven gegen MacDonald“ aus dem April des gleichen Jahres zitiert, das aus Anlaß von Neonazi-Anschläge gegen Angehörige der US-Streitkräfte in Deuschland geschrieben wurde:
„Nicht wir, sondern insbesondere Teile der Friedensbewegung ergehen sich in einem diffusen Nationalismus, verbreiten den Unsinn von der BRD als einem besetzten Land, machen die Perspektive eines wiedererwachten deutschen Patriotismus schmackhaft und verlassen den Boden linker Politik, wenn sie die Frage der Raketenstationierung zur Frage nationaler Identität hochstilisieren. Die Grenzen zwischen Antiimperialismus und Mobilisierung antiamerikanischer Ressentiments müssen zwangsläufig zerfließen, wenn die Matadore der Friedensbewegung ihren Protest gegen Nachrüstung und Pershing II darauf stützen, daß sie an das deutsche Ehrgefühl gegen quasi koloniale Unterjochung appellieren. Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob wir MacDonald als einen US-Ernährungskonzern begreifen, der Maßstäbe für die Organisation arbeitsintensiver Niedriglohnarbeit wie auch weltweites Agro-Business gesetzt hat oder aber als Ausdruck einer wie auch immer verstandenen Yankee-Kultur. Wer Coca-Cola hier schon fast als Völkermord und Haupterscheinungsform eines kulturellen Imperialismus ausmacht und auf eine Stufe stellt mit der Unterstützung fast aller Militärdiktaturen durch die US-Regierung, beraubt sich selbst der Möglichkeit, den faschistischen Ursprung nationalistischer oder antiamerikanischer Aktionen zu begreifen. Der politische Skandal besteht nicht darin, daß die Faschisten diese auch in der Friedenbewegung geläufige Position in militärische Aktion umgemünzt haben. Der Skandal besteht darin, daß es diese Position überhaupt gibt und daß sie unter Ausgrenzung und Bekämpfung sozialrevolutionärer und antiimperialistischer Positionen von linken Reformisten jeglicher Schattierung, vom Unterschriftenkartell über die TAZ bis zu den Grünen durchgesetzt werden konnte und die Bündnisfähigkeit der Friedensbewegung damit bis hin zu nationalistischen oder faschistischen Positionen teils bewußt, teils naiv betrieben wurde.“
Im übrigen erkannten die RZ in dem Text den Unterschied zwischen „institutionalisierter Herrschaft und verrechtlicher Gewalt“ einerseits und „staatlich inszenierten Terrorismus“ andererseits (http://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/rz/fruechte_des_zorns/zorn_1_33.html).
Der Text „Krieg – Krise- Friedensbewegung“ vom Dez. 1983 gliedert sich in folgende Abschnitt:
Bewegung ist nicht alles!
Die „Probleme“ des US-Imperialismus und die „Wunderwaffe“
Die BRD – „Geisel“ oder die Nr. 2 der NATO
Imperialismms und 3. Welt: der Bankrott nationaler Entwicklungsmodelle
Der Ostblock – ein blinder Fleck in der politischen Geographie der Linken
Die Entspannungspolitik – ein Lehrbeispiel politökonomischer Ruinierung
Neue Formen der Reichstumsakkumulation und Herrschaftssicherung
Lauer Herbst – und kalter Winter?
Fragen – keine Konzepte.
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