1.
Der katalanische Regierungschef, Puigdemont, hat heute Vormittag fristgemäß auf die Aufforderung des spanischen Premierministers, Rajoy, geantwortet, klarzustellen, ob er am vergangenen Dienstag im katalanischen Parlament die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt hat – allein auf die ihm gestellte Frage hat Puigdemont nicht ausdrücklich (implizit allerdings schon) geantwortet:
++ Auch wenn Puigdemonte nicht ausdrücklich bestreitet, die Unabhängigkeit erklärt zu haben, spricht er doch sehr deutlich von einem bloßen „Mandat“, das mehr als 2 Millionen KatalanInnen dem Parlament gegeben haben, die Unabhängigkeit zu erklären.
++ Anmerkung meinerseits: Daß das Parlament seit dem Referendum nichts erklärt hat, liegt auf der Hand. Es hat sich vergangenen Dienstag nur Reden angehört.
++ Und Puigdemont spricht außerdem (als schon bestehende Tatsache und nicht als bloßes Angebot für die Zukunft), von einer „Suspendierung“ dieses Mandates, was „unseren festen Willen eine Lösung zu finden und nicht die Konfrontation“ zu suchen, zeige. Suspendiert ist also nicht – die ohnehin noch nicht erklärte – Unabhängigkeit, sondern das „Mandat“, diese künftig zu erklären.
Rajoy seinerseits hat bereits 1 1/2 Stunden später eine Rückantwort geschickt und insistiert auf eine explizite Antwort Puigdemonts auf die gestellte Frage: „Nicht nur die Regierung Spaniens, sondern auch alle Katalanen haben ein Recht, Gewißheit zu erlangen, ob Ihre Erklärung vom 10. Oktober vor dem [katalanischen] Parlament oder Ihre anschließenden Unterzeichnung eines in unbestimmten Ausdrücken gehaltenen Dokuments die Erklärung der Unabhängigkeit [Kataloniens] impliziert – und zwar ungeachtet der Frage, ob sich diese Erklärung in Kraft befindet oder nicht.“ Diese letztere Formulierung bezieht sich auf Puigdemonts Rede von einer „Suspendierung“ des Mandats zur Erklärung der Unabhängigkeit. Ein jeder „demokratischer Dialog“ erfordere eine vorherige Rückkehr zu Legalität – d.h.: die Klarstellung, daß sich Katalonien nicht einseitig unter Verletzung von Art. 2 Halbsatz 1 der spanischen Verfassung („Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller Spanier“) für unabhängig erklärt habe.
Eine Änderung dieses Artikels schließt Rajoy nicht ausdrücklich aus – auch wenn seine Bereitschaft dazu sicherlich denkbar gering ist. Aber er lädt Puigdemont „erneut ein, ins [spanische] Parlament zu kommen und dort Ihre Forderungen“ darzulegen.
„
https://ep00.epimg.net/descargables/2017/10/16/5c2570d042860f69cc0a1a317c1ddb15.pdf
2.
Am Nachmittag mußten dann vier Personen vor der Audiencia Nacional (Zentralgericht für politische Strafsachen) erscheinen:
- der Major (Chef) und die Intendantin (intendente) der katalanischen Polizei, Josep Lluís Trapero und Teresa Laplana,
- die Führungsmitglieder der Assemblea Nacional Catalana (ANC), Jordi Sànchez, und Òmnium Cultural, Jordi Cuixart.
und
Gegen den Polizeichef beantragte die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft, gegen die Polizei-Intendantin die Festsetzung einer Kaution von 40.000 Euro. In beiden Fälle ordnete die Untersuchungsrichterin stattdessen an, daß sich die Beschuldigten alle 15 Tage beim nächstgelegenen Gericht melden, ihre Reisepässe abgeben müssen und Spanien nicht verlassen dürfen.
Die Ermittlungsverfahren wurden bereits nach den Vorfällen vom 20. und 21. September, als DemonstrantInnen die spanische Polizei nach Durchsuchungen von und Festnahmen in öffentlichen Gebäuden hinderten, diese wieder zu verlassen, eingeleitet. (Bei den Vorfällen soll es – nach Angaben der Guardia Civil – auch zu Schäden an Polizeifahrzeugen im Umfang von 130.000 Euro und Angriffen auf Mitglieder des katalanischen Ablegers der sozialdemokratischen PSOE und deren Sitzes gekommen sein.) Der Tatvorwurf lautet „Aufstand“ oder „Aufruhr“ (sedición) (und nicht – wie verschiedentlich zu lesen ist „Rebellion“). (https://politica.elpais.com/politica/2017/10/16/actualidad/1508137356_829076.html) Die entsprechenden Vorschriften lauten:
„Son reos de sedición los que, sin estar comprendidos en el delito de rebelión, se alcen pública y tumultuariamente para impedir, por la fuerza o fuera de las vías legales, la aplicación de las Leyes o a cualquier autoridad, corporación oficial o funcionario público, el legítimo ejercicio de sus funciones o el cumplimiento de sus acuerdos, o de las resoluciones administrativas o judiciales.“
(http://noticias.juridicas.com/base_datos/Penal/lo10-1995.l2t22.html#a544)
/
„Des Verbrechens des Aufstandes sind diejenigen schuldig, die ohne das Delikt der Rebellion verwirklicht zu haben, sich öffentlich und aufrührerisch erhoben haben, um mit Gewalt ODER außerhalb der Legalität
++ die Anwendung der Gesetze zu verhindern
oder
++ irgendeine Autorität oder öffentliche Körperschaft oder irgendeinen Staatsfunktionär an der legitimen Ausführung ihrer Funktionen oder an der Erfüllung ihrer [acuerdos? – bedeutet üblicherweise nicht „Pflichten“; ist hier aber vllt. gemeint] oder [der Umsetzung] von Gerichts- oder Verwaltungsentscheidungen zu hindern.“
(meine Übersetzung und meine Hervorhebung)
Der Tatbestand der „Rebellion“ setzt dagegen zwingend Gewaltanwendung voraus:
„Son reos del delito de rebelión los que se alzaren violenta y públicamente para cualquiera de los fines siguientes:
1.º Derogar, suspender o modificar total o parcialmente la Constitución.
[…]
5.º Declarar la independencia de una parte del territorio nacional.“
(http://noticias.juridicas.com/base_datos/Penal/lo10-1995.l2t21.html#a472)
/
„Des Verbrechens der Rebellion sind diejenigen schuldig, die sich gewaltsam und öffentlich für irgendeines der folgenden Ziele erheben:
1. die Verfassung ganz oder teilweise aufzuheben, zu suspendieren oder zu modifizieren.
[…]
5. die Unabhängigkeit eines Teils des Staatsgebietes zu erklären.“
(meine Übersetzung)1
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3.
Zur inhaltlichen Seite des Konflikts – als Nachtrag zu meinen Nachfragen zu 13 Antworten, die am Freitag und Samstag bei indymedia und scharf-links erschienen, noch folgende kurze Thesen, die ich gestern im Blog von systemcrash als Kommentar gepostet hatte:
1. In einer Situation, in der die meisten Linken von dem Umstand, daß ein Recht auf Lostrennung zu befürworten ist, auf die Befürwortung der Lostrennung selbst fehlschließen, muß m.E. vorrangig dieser Fehlschluß kritisiert werden.
2. Würde in der Linken die Ablehnung eines Rechts auf Lostrennung dominieren, müßte diese Position vor allem kritisiert werden.
3. Allein der Umstand, daß ein Recht auf Lostrennung verweigert wird (was für die allermeisten Staaten gilt), rechtfertigt nicht, die Lostrennung nun aus kleinlicher Rachsucht vorzunehmen.
Auch ein paar mehr Kompetenzen hier oder da (auf zentraler oder regionaler Ebene) rechtfertigt m.E. noch keine Lostrennung.
Im übrigen sind die KatalanInnen vollwertige spanische StaatsbürgerInnen; sie dürfen ihre Sprache sprechen und schreiben; sie dominiert im katalanischen Straßenbild; sie sind nicht ökonomisch marginalisiert, sondern – im spanischen und globalen Vergleich – bevorteilt.
4. Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Keinesfalls sind also die Bundesregierung oder die EU aufzufordern, sich in den Konflikt einzumischen.
5. Nationalistische Massenbewegungen – und seien es ‚linksnationalistische‘ Massenbewegung – bieten noch weniger als reformistische Sozialproteste Anlaß zu Bewegungseuphorie.
- Ich habe sowohl in dem Rebellions-Straftatbestand violenta mit „gewaltsam“ als auch in dem Aufstands-Straftatbestand por la fuerza mit „mit Gewalt“ übersetzt. Ob beide Begriffe vollständig synonym sind oder im juristischen spanischen Sprachgebrauch unterschiedliche Bedeutungsnuancen aufweisen, weiß ich nicht. [zurück]
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