Vor ziemlich genau fünf Jahren veröffentliche die damalige Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg ihr Na endlich!-Papier. Darin schlug sie die Bildung einer „neuen antikapitalistischen Organisation“ vor. Daraus ist (bisher) nicht so wirklich etwas geworden:
Zwar beschloß 2013/14 die eine Hälfte des damaligen Diskussionsprozesses über die Schaffung einer „neuen antikapitalistischen Organisation“ (NaO-Prozess), nun tatsächlich eine NAO zu gründen. Aber dieses Projekt befindet sich – mittlerweile auch nach Ansicht der Beteiligten selbst – in einer schweren Krise.
Martin Suchanek von Gruppe Arbeitermacht (GAM) schrieb im vergangenen Sommer: „Die Krise des NaO-Prozesses ist offensichtlich. Wenn es auch sonst wenig Einigkeit geben mag – dass der Prozess schon länger in der Krise ist, darüber gibt es wohl wenig Dissens. Damit ist es mit der Einigkeit auch vorbei.“ (http://www.arbeitermacht.de/ni/ni201/nao.htm)
Die andere Fraktion in der NAO ist demgegenüber gerade von der GAM genervt: „Dies hat zu der ungünstigen Situation geführt, dass die Gruppe Arbeitermacht in Berlin schon allein durch ihren prozentualen Mitgliederanteil eine extrem dominante Kraft geworden ist, die auch das öffentliche Auftreten dominiert. Das konterkariert den NaO-Prozess als offenes strömungsübergreifendes Projekt mit einem Fokus auf Pluralität, Austausch und Aufeinanderzubewegen.“ (http://www.rsb4.de/content/view/5542/88/)
Gegenüber der Vorstellung von einem „revolutionären Programm“, dessen Inhalte in Form der programmatischen Texte der Liga für die V. Internationale (zu der die GAM gehört) bereits vorliegen, als Kanon, der nur noch von allen anderen Linken eingesehen und den Massen mitgesungen werden müsse (**), fordert ein Genosse des Revolutionär-Sozialistischen Bundes (RSB): „Die Offenheit auch gegenüber Ideen, die wir aus unserer eigenen politischen Kultur nicht kennen, die ehrliche Bereitschaft, etwas Neues zu versuchen, die Bereitschaft, über alles zu reden und alles infrage zu stellen (außer über die Notwendigkeit der Abschaffung des Kapitalismus) müssen wir uns bewahren.“ (http://www.rsb4.de/content/view/5542/88/)
Auch Georg Heidel (ebenfalls RSB) schrieb: „Der RSB sprach sich immer – sowohl die Befürworter als auch die Skeptiker des NaO-Prozesses – für einen Bündnis-Charakter der NaO aus und nicht für die Gründung einer neuen Organisation jetzt. Dieser völlig überzogene Anspruch einer Organisationsgründung würgte fatalerweise den Prozess einer politischen Annäherung und eventuellen späteren Neuformierung ab.“ (http://www.trend.infopartisan.net/trd1215/t271215.html)
Trotz der Krise der NAO als organisatorisches Projekt wurden in den gut zwei Jahren, die der NAO-Gründung vorausgingen, für alle linke Strömungen wichtige Debatten geführt; es gab einen Versuch der „politischen Annäherung“; tatsächlich die „Bereitschaft, etwas Neues zu versuchen“.
Diese Bereitschaft zeigte sich damals unter anderem in einer Diskussion über Diversity und Klassenkampf im leider nicht mehr existierenden Blog Lafontaines Linke zwischen Thomas Seibert (Interventionistische Linke), Micha Prütz / Micha Schilwa (Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg) und mir selbst.
Die Aktualität der damaligen Diskussion
Angesichts der interessanten und wichtigen Diskussion unter dem Artikel
Den Klassenbegriff diskutieren!
https://linksunten.indymedia.org/node/163936/
möchte ich die drei vorgenannten Texte aus Lafontaines Linke wieder zugänglich machen (S. 3 ff.):
Thomas Seibert kritisierte damals an dem „Na endlich!“-Papier: „in verschämten, bisweilen peinlichen (‚antipatriarchal Gas geben’), mit Vorbehalten gemilderten, doch in der Sache entschiedenen Schleifen und Wendungen besteht das Papier auf der letztendlichen Unterstellung der Problematiken etwa des Geschlechts oder des Rassismus unter die Konfliktlagen in den ‚direkt mehrwertproduzierenden Sektoren’ und findet es deshalb auch witzig, der Vielfalt der Unterdrückungs- und Ausbeutungserfahrungen und damit der Kämpfe die der ‚Menschen mit Segelohren’ hinzuzufügen.“
Darauf antworteten Prütz/Schilwa: „‚Vielfalts-Management’ – das taugt ganz gut auch zur Beschreibung des Postmodernismus und der Seibert’schen Aktivitäten. Da wird – von ‚Klasse’ bis ‚Geschlecht’ – ‚dekonstruiert’ was das Zeug hält und am Ende haben wir alle unterschiedliche ‚Identitäten’ statt unterschiedlicher Interessen, was für Freunde ‚linker Regierungsoptionen’ natürlich praktisch ist“
Und ich selbst schrieb damals: „revolutionäre Politik läßt sich unter heutigen Bedingungen nur in doppelter Opposition gegen ‚traditionalistischen’ Klassenreduktionismus und ‚postmodernes’ diversity management wiedergewinnen. Und für eine Wiedergewinnung revolutionärer Politik ist auch nicht hilfreich, Identitäten und Interessen entgegenzusetzen, wie es Prütz/Schilwa in schlichter Umdrehung bestimmter Varianten des Postmodernismus machen.“
Dies (das Zugänglichmachen drei fraglichen Texte) geschieht in dieser .pdf-Datei (S. 3 ff.). (mehr…)