Ich war heute Mittag bei der AKL-Veranstaltung mit Inge Höger (MdB), Ali Al-Dailami (MdPV) und Klairi Kountouri (Xekinima). Ich stellte in meinem Diskussionsbeitrag drei Fragen an die Referentin von Xekinima (Schwesterorganisation der deutschen SAV), die die Kandidatur der Popularen Einheit (LAE) unterstützt.
Meine erste Frage bezog sich darauf, daß sie sagte, ein detailliertes Programm, wie es am Tag und den Tagen nach einem Grexit weitergehen solle, müsse erst erarbeitet werden.
Ich bezog mich darauf, indem ich sagte, daß ich dies sehr verständlich finde, daß dieses Problem bzw. diese Notwendigkeit aber doch auffällig mit dem Gestus kontrastiere, mit dem die bisherige Linke Plattform bzw. jetzt die LAE und auch viele Linke in der deutschen Linkspartei die Tsipras-Linie kritisierten – nämlich dem Gestus, es sei hier und heute eine andere Regierungspolitik möglich und nicht vielmehr zunächst eine langfristige Vorbereitungs- und Aufbauarbeit für eine alternative Linie nötig. Habe irgendjemandE von denen, die jetzt die Tsipras-Politik im Namen der LAE-Linie kritisieren im Januar oder den Monaten danach die Auffassung vertreten, daß es für SYRIZA für ein Regieren noch zu früh sei; daß erst ausreichende programmatische Grundlagen entwickelt werden müßten?!
Meine Frage, wie das zusammenpasse – einerseits das Eingeständnis, ein detailliertes Programm erst entwickeln zu müssen; aber andererseits nicht das Regieren von SYRIZA zu kritisieren, sondern voluntaristisch ein Regieren mit anderem Inhalt zu fordern – blieb leider unbeantwortet.
Allein antwortete die Xekinima-Genossin (allgemein zu verschiedenen Diskussionsbeiträgen zur Programmfrage), daß nicht alles vorausplanen zu können, nicht bedeutete, daß das Programm nicht weiterentwickelt werden könne. Das ist zwar eine richtige Antwort auf diejenigen Harakiri-Diskussionsbeiträge, die meinten, das Programm müsse eh (erst einmal) nicht weiterentwickelt werden. Vielmehr komme es erst einmal darauf an, den Bruch zu vollziehen – und erst dann, wenn klar sei, wie dann die neuen Bedingungen und Probleme konkret aussehen, könne weitergedacht werden.
Meine zweite Frage bezog sich nicht auf das Referat, sondern das veröffentlichte Wahlprogramm der LAE. Dort ist vom „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ sowie von der Vergesellschaftung von Banken und Schlüsselindustrien die Rede. Ich sagte, daß sei ja nun nicht der Sozialismus im Sinne Karl Marx‘, sondern eher so etwas, wie der „Sozialismus in den Farben Frankreichs“, der in den 1970er Jahren im Gemeinsamen Programm von KPF und PS propagierte worden sei, und mit dem dann in den 1980er Jahren die Mitterrand-Regierung – unter damals noch deutlich besseren Kontextbedingungen – gescheitert sei. Meine Frage, ob denn die LEA, wenn schon kein detailliertes Programm für die Tage nach einem Grexit zumindest eine strategische Antwort auf dieses grundlegende Problem linksreformistischer Politik habe, blieb leider völlig unbeantwortet.
Meine dritte Frage bezog sich darauf, daß die Referentin sagte, eine wirkliche Euphorie habe die LAE bisher in Griechenland nicht ausgelöst. Ein Problem bestehe in dem Glaubwürdigkeitsdefizit der LAE, das daraus resultiere, daß die führenden LAE-PolitikerInnen bis vor kurzem noch führende SYRIZA-PolitikerInnen gewesen seien. Ich fragte daran anknüpfend, warum sich Xekinima dann nicht statt an der LEA vielmehr an ANTARSYA beteilige. Diese Frage wurde leider nur mit dem Hinweis beantwortet, daß gerade zwei Gruppen von ANTARSYA zur LEA gewechselt seien, was m.E. aber keine adäquate Antwort auf meine Frage ist, sondern nur die Frage aufwirft, ob denn dieser Wechsel richtig war.
Siehe im übrigen den Bericht von Achim Schill bei FB.
Bericht von der AKL veranstaltung:
OXI heisst nein! Wie kann ein Linker Grexit aussehen?
----------------------------------------
(von systemcrash, 13.09.2015)
etwa 40 bis 50 leute füllten das etwas beengte restaurant im bayerischen stil, war also für eine linke veranstaltung zur szeneuntypischen zeit (und ort) eines sonntäglichen 11:30 gut besucht.
die einführungsreferate von Inge Höger (MdB), Ali Al-Dailami (Vorstand PDL) waren informativ, brachten aber eigentlich wenig neues. besonders gut gefiel mir der bericht der griechischen genossin von Xekinima (griech. CWI sektion), da er trotz übersetzung aus dem englischen ins deutsche sehr lebendig, aber trotzdem nüchtern und sachlich gehalten war.
die diskusion drehte sich hauptsächlich um folgende punkte:
1) welche bedeutung hat ein grexit?
2) wie ist die „volkseinheit“ einzuschätzen?
3) wie kann ein „bruch“ mit dem kapitalismus vollzogen werden?
4) welchen charakter hat die EU?
da alle fragen irgendwie miteinander zusämmenhängen, ist es schwer, in die sache struktur reinzubringen. ich erzähle daher den ablauf der diskussion aus meiner subjektiven sicht; das kann ich eh am besten.
ziemlich einig war man sich darin, dass ein grexit keine massnahme zum positiven sei, wenn er für sich allein steht. d. h. ein grexit mache nur dann sinn, wenn er im zusammenhang mit strukturellen/systemischen veränderungen steht (das gleiche gilt für die währungsfrage). in dieser allgemeinheit kann man dem nur schwer widersprechen. Inge Höger meinte in diesem zusammenhang, im OXI sei es angelegt gewesen, auch den bedingungslosen verbleib in der EU abzulehnen. ich weiss nicht, womit sie diese behauptung stützt, nach allem, was ich gelesen habe, war das OXI zwar gegen die austeritätspolitik gerichtet, aber nicht gegen den verbleib in EU und Euro.
dieser zentrale widerspruch in der programmatik von SYRIZA wurde auch niemals aufgearbeitet, geschweige denn gelöst. und auch in der „volkseinheit“ wird dieser widerspruch nicht gelöst. d. h. die „volkseinheit versucht zweimal in den selben fluss zu steigen (wie die KKE richtig bemerkt http://www.linkezeitung.de/index.php/ausland/europa/4608-syriza-ii-und-der-neuerliche-versuch-der-taeuschung-des-volkes#mainmenu).
das würde auch (unter anderem) erklären, warum die LAE relativ wenig dynamik entfaltet, wie die genossin von Xekinima ziemlich nüchtern feststellte.
Detlef Georgia Schulze stellte daher auch die völlig berechtigte frage, warum Xekinima sich nicht am aufbau von ANTARSYA beteilige, anstatt sich an die „lame duck“ LAE ranzuhängen. natürlich bekam er auf diese frage keine antwort.
ebenfalls einig war man sich in der einschätzung, dass es in griechenland keine (vor)revolutionäre situation gibt, dass ein „bruch“ aber nötig ist (wobei ich nicht weiss, wieweit das wirklich AKLweit konsens ist), um substantielle verbesserungen für die breite bevölkerungsschichten zu erreichen. WIE man aber dahin gelangt, da sind die meinungen doch ziemlich geteilt.
in der diskussionsrunde machte ich den punkt, dass die SYRIZA regierung gezeigt habe, dass es keinen raum mehr gäbe für (links)reformistische und
keynesianische politik, und dass sich daher die bedingungen gebessert haben müssten, dass auch „radikale“ politische vorschläge gehör finden könnten. allerdings müsse das bewusstsein, dass ein bruch mit der EU und dem kapitalismus notwendig sei, „von unten“ erwachsen (was allerdings natürlich nicht gegen eine politische organisierung spricht) Sascha Stanicic (SAV) meinte, dass es keine revolutionäre situation gäbe, läge auch den reformistischen parteien, da diese das Massenbewusstsein nicht radikalisierten. und da es ein „wechselverhältnis“ von klasse und parteien gäbe, verhielte sich die basis passiv, da die „führung“ nicht zum sturm blase.
WARUM aber reformistische parteien (die man ja nicht umsonst so bezeichnet) auf einmal eine „revolutionäre“ agititation betreiben sollten, diese frage konnte Sascha Stanicic leider nicht mehr beantworten.
und zum punkt EU kann man relativ kurz zusammenfassen, dass es sich um ein politisches projekt handelt, den europäischen raum im interesse des kapitals institutionell zu strukturieren, und daher keinerlei raum für „reformen“ bietet. und da deutschland im moment über die grösste wirtschaftskraft in der eurozone verfügt, kann das deutsche kapital auch die politischen bedingungen diktieren (ohne, dass es dafür eine „demokratische“ legitimation bedürfte) Ali Al-Dailami streifte noch kurz das thema „flüchtlingskrise“ und sprach in diesem zusammenhang von einem „nützlichkeits-rassismus“ (der herrschenden politik). ein begriff, der mir sehr passend zu sein scheint.
1. Heute wurde eine Erklärung von Xekinima zu den griech. Wahlen auf Englisch veröffentlicht:
http://www.socialistworld.net/doc/7332
Die im folgenden zitierte Passage entspricht ziemlich genau dem, was auch die Referentin bei der gestrigen Veranstaltung zu diesen Gesichtspunkten ausführte:
Bei FB habe ich noch mal eine Kostprobe meines köstlichen Englisch ;-) gegeben und den Text kommentiert. Eine deutsche Fassung de Kommentare wird es dann demnächst hier oder anderswo geben, falls die SAV den Xekinima-Text ins Deutsche übersetzt.
2. Ansonsten wurden auf der Homepage der AKL heute
a) ein Bericht von Carsten Albrecht über die Veranstaltung
b) der Podiumsbeitrag von Inge Höger
und
c) eine anschließend vom Länderrat der AKL verabschiedete Erklärung veröffentlicht.