Auf der Debattenseite des ND gibt es schon wieder einen neuen Text – diesmal von Christine Buchholz und Volkhard Mosler (beide: Marx 21; erstere auch Mitglied im Bundesvorstand der Linkspartei).
Gemessen an der Zahl der Sätze kann ich dem meisten zustimmen, aber wiederum fällt ein eklatanter Mangel auf: Das Fehlen einer ernsthaften Analyse des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses, das Fehlen des Benennens einer dem Kräfteverhältnis angemessenen Strategie und folglich das Fehlen der Benennung eines Zeithorizonts, in dem das inhaltlich Wahre, Schöne und Gute erreicht werden soll.
Der Übersichtlichkeit und Einfachheit halber folge ich der Reihenfolge der 15 durchnumerierten Thesen von Buchholz/Mosler:
These 3:
„Massenhafter Widerstand gegen diesen Austeritätskurs der EU-Kommission hat in Südeuropa, in den vergangenen Jahren zu einem Aufschwung eines linken Reformismus geführt (Syriza, Podemos), der Ausdruck massiver Klassenkämpfe ist.“
Manchmal ist Sprache ja auch Abbild der Einsichten, die Leute nicht gewonnen haben. Welche Einsicht artikulieren Buchholz/Mosler mit diesem Satz? Warum schreiben sie „Ausdruck“? Warum diese scheinbare Doppelung – einmal: „Massenhafter Widerstand gegen diesen Austeritätskurs der EU-Kommission hat […] zu einem Aufschwung eines linken Reformismus geführt“. Und dann noch mal die Wiederholung (?) / Bekräftigung (?) / Verschiebung (?): Dieser „Aufschwung eines linken Reformismus“ sei „Ausdruck massiver Klassenkämpfe“.
Artikuliert sich in dieser irritierenden Formulierung zwar nicht die Einsicht, aber die dunkle Ahnung, daß nicht alles, was es in Südeuropa in den letzten Jahren an Widerstand gab, Klassenkampf war (vor allem: sich selbst oftmals nicht als Klassenkampf verstand) und – in Spanien mehr als in Griechenland – nicht einmal immer „Widerstand gegen diesen Austeritätskurs der EU-Kommission“ war. Und was heißt es für die vermeintliche ‚Massivität’ dieses Klassenkampfes, wenn er sich in Wahlunterstützung für einen neuen „linken Reformismus“ artikuliert?
Wie ist es also um den berühmten „subjektiven Faktor“ (hier: das Klassenbewußtsein) nicht nur hier, sondern auch in Südeuropa bestellt?
„Die Hoffnungen der Massen in eine linke Regierung haben in Griechenland zwar vorübergehend zu einem Abflauen der ökonomischen Massenstreiks geführt, dieses ist aber weder ursächlich für die Kapitulation der Tsipras-Regierung, noch ist es Ausdruck einer vorangegangenen Niederlage oder eine politischen Demoralisierung der Arbeiterbewegung und der unterdrückten Klassen.“
aa) Haben tatsächlich die „Hoffnungen der Massen in eine linke Regierung […] in Griechenland […] zu einem Abflauen der ökonomischen Massenstreiks“ geführt? Oder war es vielmehr so, daß die „ökonomischen Massenstreiks“ selbst an bestimmte Grenzen stießen (streiken zu können, erfordert ein Minimum an finanziellen Rücklagen; streiken zu können, erfordert einen Arbeitsplatz zu haben; und sich an Streiks zu beteiligen, die von den Regierungen einfach ausgesessen werden, ist auch nicht so prickelnd) und sich die Hoffnungen u.a. deshalb auf die parlamentarische Ebene verlegt haben? Und warum wurden diese Hoffnungen in einen neuen „linken Reformismus“ investiert und führten allenfalls ansatzweise zu einem Erstarken revolutionär-sozialistischer Positionen?
bb) Zwar ist wahr, daß die Geschichte nie zu Ende ist, und also auch wahr ist, daß das „Abflauen der ökonomischen Massenstreiks“ nur „vorübergehend“ ist – aber von welchem Zeithorizont reden wir hier? Für wann rechnen Buchholz/Molser mit einem Wiederaufschwung der „ökonomischen Massenstreiks“ in Griechenland?
cc) Zutreffend mag auch sein: Daß das „Abflauen der ökonomischen Massenstreiks“ nicht „ursächlich für die Kapitulation der Tsipras-Regierung“ war. Aber jedenfalls hätte mehr gesellschaftlicher Mobilisierung diese Kapitulation unwahrscheinlicher bzw. schwieriger gemacht.
dd) Worauf gründet sich die Hoffnung von Buchholz/Mosler, daß jenes Abflauen nicht „Ausdruck einer […] politischen Demoralisierung der Arbeiterbewegung und der unterdrückten Klassen“ ist? Hat sich SYRIZA ja als „Partei der“ oder „politischer Ausdruck der Arbeiterklasse“ verstanden? Und ist nicht der Umstand, daß sie dies nicht getan hat, nicht gerade einer der Gründe, warum die Leute SYRIZA und nicht KKE oder andere Gruppierungen, die beanspruchen „Partei der Arbeiterklasse“ zu sein, gewählt haben.
ee) Damit müssen wir noch einmal auf These 3 zurückkommen: Viel weniger als „massive Klassenkämpfe“ von Lohnabhängigen waren es also – leider! – Sozialproteste von BürgerInnen, die mit der Demontage des Sozialstaats unzufrieden waren.
b):
„In den Monaten der Tsipras-Regierung hat es beeindruckende Kämpfe gegen die Umsetzung der Austeritätspolitik gegeben. Auch das OXI-Votum im Referendum hat das Potential für den Widerstand auch gegen das neue Memorandum gezeigt.“
aa) „beeindruckende Kämpfe“: Nicht, daß ich nicht auch von ein paar Kämpfen gehört hätte – aber wären für eine adäquate Analyse des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses nicht schon ein paar Worte dazu notwendig, wann von welchen Kräften und mit welchen Ergebnissen diese Kämpfe geführt wurde und was ihre Klassifizierung als „beeindruckend“ rechtfertigen soll?
bb) „OXI-Votum im Referendum“ / „Potential für den Widerstand“: Das Referendum war zunächst einmal vor allem dadurch gekennzeichnet, daß nicht zur Abstimmung stand, was statt der EU-Vorschläge, die Ende Juni auf dem Tisch lagen, erfolgen soll – und daß Tsipras sowohl für ein „Nein“ zu diesen Vorschlägen als auch für ein Verbleiben in der Eurozone agitierte und der linke SYRIZA-Flügel ihm dabei auch nicht wortstark und massenhaft in die Parade gefahren ist.
These 8.a):
„Verstaatlichung der Banken und Großbetriebe unter Arbeiterkontrolle“
Wo sind denn die „Arbeiter“ in die Griechenland, die das wollen (die Verstaatlichung) und das machen wollen (die „Arbeiterkontrolle“)?
b):
„Mit der Kapitulation der Syriza-Regierung vor der EZB und den anderen ‚Institutionen’ des europäischen Kapitalismus verlagert sich das Zentrum des Klassenkampfes und der politischen Prozesse notwendig wieder auf die Straßen und in die Betriebe.“
Machen sie das tatsächlich? Und in welchem Sinne ist das „notwendig“?! – Ja, es wäre nötig / es wäre wünschenswert? Aber wird es auch passieren? Ist es gar unvermeidlich?
Wo sind die kämpferischen Belegschaften, die streiken oder gar ihre Betriebe besetzen aus Protest gegen die Kapitulation der Tsipras-Regierung?
Was wir statt dessen sehen, ist, daß in Form der „Volkseinheit“ (der Name hört sich auch nicht sehr nach Klassenkampf an; auch das historische Vorbild für die Namenswahl, die Unidad Popular in Chile, ist ein Fall von Scheitern an den Beharrungskräften von Kapital und bürgerlichem Staatsapparat), das nächste parlamentarische Wahlprojekt aus dem Boden gestampft wird, ohne sich groß mit einer Analyse der von SYRIZA und auch von dem linken Flügel von SYRIZA gemacht Fehlern aufzuhalten.
These 13:
„Es braucht demokratische Strukturen, die den bürgerlichen Staatsapparat ersetzen und die Produktion nach den Bedürfnissen der Menschen reorganisieren können. Die können aber nur durch eine Massenbewegung entstehen. Das Kampffeld für die Linke im Kapitalismus ist nicht der Staat, sondern der Aufbau von Klassenkämpfen und Gegenmacht.“
„Ersetzen“ ist zwar auch noch ziemlich zahm – im Vergleich mit den klassischen Formulierungen von Marx und Lenin („zerbrechen“ / „zerschlagen“) – aber nun gut. Spannender ist die Frage, in welchem Zeithorizont steht das nach Ansicht von Buchholz/Mosler in Griechenland an? – Was ist der ‚Plan Marx 21’ / was ist der ‚Plan DEA [griech. ‚Halbschester von Marx 21’]’?
[Der vorstehende Text als .pdf-Datei]
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