Im April hatte ich mein Papier „Worum geht es dem transgenialen CSD eigentlich? Eine feministisch-kommunistische Kritik“ vorgelegt. Damals fragte mich eine Genossin per mail: „Was kommunistisch Heute meinen könnte, […], weil es mich interessiert und ich nach Zugängen suche…
Zugänge, die allgemeinverständlich sind und die NICHt einfach ignorieren, das mit dem Wort geschichtlich schon autoritäre Irrtümer vertreten wurden.“
Ich sah mich zwar im April nicht und ich sehe mich auch jetzt nicht als verpflichtet an, jedesmal, wenn ich das Wort „kommunistisch“ verwende, eine Distanzierung von den mit dessen Wortgeschichte verbundenen „autoritäre Irrtümer[n]“ beizufügen. – Daß mein Kommunismus-Verständnis ein anderes als das realsozialistische ist, ergab sich damals allein schon aus dem damaligen gleichzeitigen Bezug auf den Feminismus. Und auch in den meisten anderen Texten, in denen ich von „Kommunismus“ spreche, dürften sich derartige Unterschiede jeweils erschließen lassen. Von einer Gesamtlektüre meiner diesbgl. Textproduktion (1 und 2) ganz abgesehen. ;-)
Indem heute aber ein Genosse im Rahmen der aktuell laufenden Programm- und Organisierungsdebatte die 21 Aufnahmebedingungen der KomIntern in Erinnerung brachte, brachte er mir in Erinnerung, daß ich mich – vor rund 20 Jahren – auch bereits einmal mit dem KomIntern-Dokument befaßt hatte.
Ich schrieb damals ein Papier „Warum heute noch KommunistIn sein? Und: Was wir am Kommunismus ändern müssen?“. Das Papier war für einen Diskussionszirkel bestimmt, der damals eine Veranstaltung plante, die aber schließlich nicht realisiert wurde. Das Papier blieb damals unveröffentlicht. – Es sei nunmehr als nachträgliche Antwort auf die mir im April gestellte Frage veröffentlicht. (Für die jetzige Veröffentlichung habe ich damalige Tippfehler korrigiert, das Literaturverzeichnis um links ergänzt, die Fußnote 5 hinzugefügt und in These II.8 eine kleine – gekennzeichnete – inhaltliche Korrektur vorgenommen. Zur damaligen These II.4. sei mittlerweile auf diese beiden [1 und 2] Präzisierungen hingewiesen.)
[der folgende Text als .pdf-Datei]
I. Methodisches
1. Engels sagt: „Es wird die Pflicht (…) sein, sich über alle theoretischen Fragen mehr und mehr aufzuklären (…) und stets im Auge zu behalten, daß der Sozialismus, seitdem er eine Wissenschaft geworden ist, auch wie eine Wissenschaft betrieben, d.h. studiert werden will“ (Engels 1874, 517). Und Lenin sagt: „Wir betrachten die Theorie von Marx keineswegs als etwas Abgeschlossenes und Unantastbares; wir sind im Gegenteil davon überzeugt, daß sie nur das Fundament der Wissenschaft gelegt hat, die die Sozialisten nach allen Richtungen weiterentwickeln müssen, wenn sie nicht hinter dem Leben zurückbleiben wollen.“ (Lenin 1899, 205 f.1).
Diese Bestimmung der revolutionären Theorie auch als Wissenschaft bedeutet die Abgrenzung von jedem Dogmatismus und eröffnet die Möglichkeit zur Selbstkorrektur und zur immanent Weiterentwicklung. Mit dieser Bestimmung der revolutionären Theorie ist zum zweiten eine doppelte Abgrenzung abgenommen: 1. gegenüber jenen, die revolutionäre Theorie ausschließlich als Philosophie (‚Kritische Theorie’) auffassen und 2. gegenüber jenen, die revolutionäre Theorie als angeblich wissenschaftliche Weltanschauung, also letztlich ebenfalls Philosophie, (Stalinismus) ausgeben. (Da eine Weltanschauung gerade keine Wissenschaft ist, bedeutet die genannte Wortkombination die Unterordnung der Theorie unter die pragmatischen [Macht]-Notwendigkeiten des politischen Alltags. Wohin dies führt, haben wir alle die letzten Jahrzehnte gesehen – mit dem schließlichen Ergebnis des Zusammenbruchs.)2
(Die RAF steht mit ihrer praktizistischen (pragmatischen) Auslegung, die sie der marxistischen These vom „Primat der Praxis“ gegeben hat, ebenfalls in dieser wissenschaftsfeindlichen Tradition. Diese Wissenschaftsfeindlichkeit hat es ihr unmöglich gemacht, die produktiven Ansätze aus dem „Konzept Stadtguerilla“ und aus „Stadtguerilla und Klassenkampf“, auf die Ali Jansen / Bernhard Rösenkötter und Michi Dietiker jüngst in ihrem „Messerrücken“-Text erneut aufmerksam gemacht haben, weiterzuentwickeln als sich die politischen Bedingungen u.a. mit dem Scheitern der Mai-Offensive 1972 verändert hatten. Statt zu einer solchen produktiven Weiterentwicklung kam es zu dem bekannten militaristischen Subjektivismus, dessen Scheitern im vergangenen Jahr nun auch die RAF erkannt hat. Dieses Mal scheint ihr – mangels der theoretischen Waffen der Revolution – nur der Weg in den subjektivistischen Neo-Reformismus zu bleiben.)
2. Rosa Luxemburg sagt: „Es kann keine gröbere Beleidigung, keine ärgere Schmähung gegen die Arbeiterschaft ausgesprochen werden als die Behauptung: theoretische Auseinandersetzungen seien lediglich eine Sache der ‚Akademiker‘. (…). Solange die theoretische Erkenntnis bloß das Privilegium einer Handvoll ‚Akademiker’ in der Partei bleibt, droht ihr immer die Gefahr, auf Abwege zu geraten.“ (Luxemburg 1899, 371).
Diesen Ausgangspunkt wählend, sollen im folgenden einige Punkte aufgezeigt werden, in denen der traditionelle Marxismus weiterhin Recht hat (II.) und einige Punkte, in denen der Marxismus revidiert werden muß (III.). Dabei wird sich dann zeigen, daß auch die ‚Wahrheiten’ unter II. nur die halbe bzw. vielmehr eine Drittel-Wahrheiten sind.
II. Warum heute noch KommunistIn sein?
1. Nach wie vor richtig ist die Erkenntnis, daß die Herrschenden ihre Macht nicht freiwillig abgeben werden, und daß wir nicht in der Lage sein werden, ihren Widerstand zu brechen, wenn wir abwarten bis uns die Machtfrage von den Herrschenden gestellt wird. KommunistInnen unterlassen es deshalb „keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewußtsein über den feindlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauszuarbeiten, (…). Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“ (Marx/Engels 1848, 492 f.). „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ (Marx 1875, 28). Anders als in Stalins Konzeption ist der Sozialismus also keine eigenständige Produktionsweise, in der Klassenkampf abstirbt; vielmehr ist in ihm der Klassenkampf für den Kommunismus, für die staats- und herrschaftslose Gesellschaft „in neuer Form und mit neuen Mitteln (fortzusetzen)“ (Lenin 1921, 482). (mehr…)