Am 13.8. findet in Berlin – wie auch in anderen Städten in der BRD – ein Slutwalk gegen Vergewaltigungen und schuldumkehrende Vergewaltigungsmythen, die den Vergewaltigten Schuld an den Vergewaltigungen geben, statt (Übersicht über die web-Präsensen sowie die Startorte und -zeitpunkte: http://arschhoch.blogsport.de/2011/07/31/termine-und-andere-hinweise-3/).
Gibt es vielleicht welche, die Interesse hätten, bei dem Berliner Slutwalk einen Miniblock mit zwei Transpis zu bilden?
Transpi 1: „Vergewaltigen ist männliches doing gender“
Transpi 2: „Geschlechter abschaffen – Männer zuerst abschaffen.“
Falls es einer politisch-theoretischen Begründung / Erläuterung bedarf: siehe unten.
Ich habe einen doodle-Termin eingerichtet: http://doodle.com/55rs36rxuu5bzhwb . Ich würde vorschlagen, etwaig Interessierte verständigen sich erst einmal auf einen passenden Termin und klären dann, ob wir uns gleich zum Transpi-Malen treffen wollen oder erst noch mal über den genauen Text reden – und legen dann den jeweils passenden Ort fest. Für das Malen kämen vielleicht die entsprechenden LaD.I.Y.fest-Workshops in Betracht: Mo., 8. Aug., 17-20 Uhr und Di., 9. Aug., 14-17 Uhr Transpis & Plakate für den Slutwalk im Café Cralle (http://www.ladyfest.net/?p=3251).
Theoretisch-politische Erläuterung/Begründung
Mir scheint die beiden vorgeschlagenen Parolen würden queer-feministische Politik endlich, nach rund 20 Jahren Verzögerung, auf das Radikalitätsniveau von de-konstruktivistischem Feminismus als Theorie bringen:
[Dieser Text als .pdf-Datei]
a) theoretisch-begrifflich
„If gender attributes, however, are not expressive but performative*, then theses attributes effectively constitute the identity they are said to express or reveal. The distinction between expression and performativiness is crucial. If gender attributes and acts, the various ways, in which a body shows or produces its cultural signification, are performative, then there is no preexisting identity by which an act or attribute might be measured; […]“ (Judith Butler, Gender Trouble, Routledge: New York, 1990, 141).
„Doing gender involves a complex of socially guided perceptual, interactional, and micropolitical activities […]. When we view gender as an accomplishment, an achieved property of situated conduct, our attention shifts from matters internal to the individual and focuses on interactional and, ultimately, institutional arenas. Gender […] is the activity of managing situated conduct in the light of normative conceptions of attitudes and activities […].“ (Candace West / Don H. Zimmermann, Doing gender, in: Judith Lorber / Susan A. Farell (Hg.), The Social Construction of Gender, Sage: Newbury Park / London / New Dehli, 1991, 13 – 37 [14] – Hv. i.O.).
b) in der gesellschaftlichen Praxis
„Ich habe von Tätern geredet, es gibt auch Täterinnen, zwischen 5 und 25%, je nach Gruppe, […]. Sexuelle Gewalt ist ein Ergebnis eben jener patriarchalen Dominanzgesellschaft, deren Repräsentanten jetzt so empört tun.“ (Tauwetter-Redebeitrag beim tCSD 2010; online-Doku: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/07/01/doku-redebeitrag-von-tauwetter-beim-transgenialen-csd/)
„Die These der Gendersymmetrie bei Gewalt in Paarbeziehungen ist irreführend. Empirische Studien zeigen auf, dass zwar heterosexuelle Frauen und Männer im Rahmen von Partnerschaftskonflikten in etwa gleich häufig schon einmal körperliche und/oder psychische Übergriffe erlebt und verübt haben, dass aber die Formen, Schweregrade, Kontexte und Folgen von Gewalt, der Männer und Frauen in Paarbeziehungen ausgesetzt sind, sich ganz erheblich unterscheiden und insofern von unterschiedlichen Gewaltqualitäten im Geschlechtervergleich auszugehen ist. Ein einmaliges Anschreien oder wütendes Wegschubsen oder eine einmalige ein- oder wechselseitige Ohrfeige sind nicht vergleichbar mit systematischer und chronifizierter schwerer Gewalt und Mißhandlung in Paarbeziehungen, welche der Einschüchterung und Kontrolle dient, wie sie Frauen deutlich häufiger als Männer in heterosexuellen Paarbeziehungen erleben.“ (Monika Schröttle, Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen, in: Streit. Feministische Rechtszeitschrift 2009, 147-158 [152]).
2. Abschaffung der – durch ihr doing gender definierten – Geschlechter
„Die Aufgabe besteht infolgedessen [daß jede Konstituierung eines Subjekts mit einer Ab- und Ausgrenzung einhergeht, d. Vf.In] nicht darin, Subjektpositionen im existierenden Symbolischen, im derzeitigen Bereich der Kulturfähigkeit, zahlenmäßig zu vervielfachen, […]. Die Vervielfachung von Subjektpositionen auf einer pluralistischen Achse hätte die Vervielfachung ausschließender und erniedrigender Schritte zur Folge, […].“ (Butler, Körper von Gewicht, 1993/94, 156).
3. Abschaffung der Männer zuerst
„[…] the category ‚woman‘ as well as the category ‚man‘ are political and economic categories not eternal ones. Our fight aims to suppress men as a class, not through genocidal, but a political struggle. Once the class ‚men‘ disappears, ‚women‘ as a class will disappear as well, for there are no slaves without masters.“ (Monique Wittig; http://www.geocities.com/saidyoungman/wittig01.htm)
„Einstweilen hat die Dekonstruktion der Geschlechterkategorie die Diskussionen auf die unsinnige Frage gebracht: Gibt es die Frauen oder gibt es sie nicht?, während die sexistischen Gewaltverhältnisse weitgehend aus dem Blickfeld geraten sind. Als könnte das Zauberwort soziale Konstruktion die Herrschaftsverhältnisse auflösen und die Kategorie Frau überwinden, bevor die Frauen den alltäglichen Sexismus zurückgedrängt haben.“
(Cornelia Eichhorn / Sabine Grimm;
http://www.nadir.org/nadir/archiv/Feminismus/GenderKiller/gender_1.html)
Facebook-Diskussion zu meinem Vorschlag:
https://www.facebook.com/SlutwalkBerlin?sk=wall,
siehe die Kommentare zum heutigen post (von ca. 18 h):
„Slutwalk Berlin
Nur noch knapp eine Woche bis zum SLUTWALK BERLIN-13.08.2011-NO MEANS NO! und damit an der Zeit zu fragen: Was wird denn auf euren SlutWalk Plakaten stehen??“
Weiter-Diskussion ist im dortigen Diskussionsforum erwünscht:
http://www.facebook.com/SlutwalkBerlin?sk=app_2373072738 -
oder hier an Ort und Stelle logischerweise.
Antwort auf einen Einwand, der mich per mail erreichte – zwecks Anonymisierung leicht umformuliert
Ja, das ist das Risiko, daß die Parolen ohne Kenntnis des de-konstruktivistischen Hintergrundes im gerade nicht gemeinten genozidale Sinne mißverstanden werden. Allerdings finde ich, daß dieses Risiko eingegangen / ausgefochten werden muß, wenn De-Konstruktion nicht nur eine akademische Spielerei bleiben soll.
Ich denke: Da die Geschlechter schlechthin abgeschafft werden sollen, müßten die Leute zumindest ins Grübeln kommen, was mit den Parolen gemeint ist.
Und wenn es im genozidalen Sinne gemeint wäre, dann müßte ja, sozusagen, das weibliche (!) Geschlecht zuerst abgeschafft, also die ex-weiblich-parthogenetische Zeugung hinbekommen werden, bevor alle Sperma-Spender liquidiert werden könnten.
Und: Ich denke, wenn das erste Transpi von Wesen mit Busen und das zweite Transpi von Wesen ohne Busen tragen würde, müßte auch klar werden, was gemeint ist.
► Und zu dem etwaigen Vorwurf „Männerhaß“:
Ich hatte neulich eh schon vorgeschlagen, den Kampf um die antibiologistisch-feministische, positive Besetzung des Begriffs „Männerfeindlichkeit“ aufzunehmen:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/06/30/maennerfeindlichkeit-und-die-arbeit-der-zuspitzung/
► Zur Möglichkeit, daß Männer, die sich als solche sehen, nicht aber als Vergewaltiger (bzw. vielmehr sogar als pro-feministisch), durch eine solche radikal-dekonstruktivistische Parole abgeschreckt werden:
Die dürften ja nun schon etwas von De-Konstruktion und doing gender gehört haben und in Anspruch nehmen, zumindest partiell ein nicht-männliches doing gender zu haben –
also sich vielleicht auch der ‚Idee’ öffnen können, daß das doing generell ent-gender-t werden sollte.
► Zum Einwand, die Parole könnte von biologistischen Feministinnen affirmativ mißverstanden werden:
Ja, die sind vielleicht das größte Problem, weil die ‚bewußt’ (‚reflektiert’) De-Konstruktion ablehnen. – Aber letztlich muß immer argumentiert werden, dann doch lieber gleich offensiv Diskussionen provozieren.
Antwort auf noch einen nicht-öffentlichen Einwand – wiederum zwecks Anonymisierung leicht verändert
Klar, nicht nur Vergewaltigen ist männliches doing gender. Auch: nicht Klo putzen, die besser bezahlten Jobs Ausüben, Anzüge Tragen, bei der Hausarbeit „mithelfen“, (früher:) Frauen die Tür Aufzuhalten oder in den Mantel zu helfen, (vllt. immer noch:) schwere Sachen Schleppen usw. –
aber alldas zusammen (die üblen wie die netten Sachen) reproduzieren das Patriarchat.
Insofern würde ich auch Deine Interpretation der Slutwalks nicht teilen, daß diese weibliches doing gender seien, oder jedenfalls nicht so teilen:
Die, die da viel Haut zeigen, betreiben da vielleicht gewissermaßen weibliches doing gender – insofern sie sich aber trotzdem nicht antatschen lassen, brechen sie aber gerade mit weiblichen doing gender – würde ich sagen.
Mein Vorschlag ist neben einem Beitrag zum konkreten Anlaß gerade auch eine Kritik an dem – gesellschaftsstruktur-indifferenten [*] – queeren gender-Pluralismus. Das entsprechende Butler-Zitat, das die meisten queers überlesen, habe ich ja in den ‚Erläuterungen’ angeführt.
[*] Vgl. dazu als slutwalk-relevantes Beispiel: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/08/05/aus-gegebenen-anlass-gegen-queere-politische-und-gesellschaftsanalytische-indifferenz/
„Vergewaltigen ist männliches doing gender“
Schonmal darüber nachgedacht, dass das auch als radikale Unsichtbarmachung von Personen, die von sexualisierter Gewalt durch Frauen/Trans* betroffen sind, gelesen werden kann?
Eine Demo gegen sexualisierte Gewalt sollte kein Ort sein, an dem das SCHON WIEDER passiert. Etwas mehr Sensibilität bitte.
Ja, heute mittag gerade erst:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/08/05/aus-gegebenen-anlass-gegen-queere-politische-und-gesellschaftsanalytische-indifferenz/
Nur sollten darüber nicht die Proportionen und, daß wir immer noch in einem Patriarchat leben (s. auch das Tauwetter-Zitat im hiesigen Beitrag), vergessen werden.