I.
Karl Marx:
„[…] es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger1 von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, […], den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“ (Das Kapital, MEW 23, 16 – Hv. d. TaP).
Stefanie Gräfe:
„Dieses autonome Subjekt erhebt sich mittels der Vernunft aus dem barbarischen Naturzustand und beansprucht sein ‚Recht‘, dessen Garant der bürgerliche Staat ist. Dieses ursprünglich autonome Individuum wird sozusagen erst im nachhinein vergesellschaftet. Es existiert jenseits von Geschichte und Gesellschaft. Diese Illusion der ursprünglichen Autonomie negiert die real existierenden materiellen, sozialen und leiblichen Abhängigkeiten, denen Menschen nun einmal unterworfen sind, und projiziert sie auf das ‚Andere‘, z.B. auf ‚die Frau‘. Die wiederum wird dann sozusagen zum Gegenteil der Vernunft, ist ganz Biologie und Körper und Reproduktion. Der Mann ohne Unterleib und ohne Verbindung zum Kollektiv ist das Rechtssubjekt, mit dessen Hilfe sich das voraufklärerische Naturrecht zum Staatsbürgerrecht erhebt.“
(Fundamentalistische Fiktionen. Menschenrechtsideal und patriarchale Wirklichkeiten, in: analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 422, 21.1.1999).
Judith Butler:
„Die verbreitete Annahme, daß das ‚Subjekt vor dem Gesetz‘ eine ontologische Integretität besitze [und nur „auf die Repräsentation in oder durch das Gesetz wartet“ (17)] kann als zeitgenössische Spur der Hypothese vom ‚Naturzustand‘ verstanden werden – jener fundierenden/fundamentalitischen Legende, die für die Rechtsstruktur des klassischen Liberalismus konstitutiv war. Die performative Beschwörung2 eines ungeschichtlichen ‚vor‘ wird zur Begründungsprämisse, die eine vorgesellschaftliche Ontologie der Personen sichert, die ihrerseits die Legitimität des Gesellschaftsvertrages begründet, indem sie einwilligen, regiert zu werden.“
(Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1991, 18)
II.
Althusser schließt „unter Hinweis auf die komplexe Struktur des gesellschaftlichen Ganzen, welche sich nicht auf ein vereinheitlichendes Prinzip zurückführen läßt, durch die Einführung der Kategorie der Überdeterminierung jede eindeutige Determinierung des gesellschaftlichen Verlaufs aus[…] und [vertritt] vielmehr die These […], daß in jedem historischen Augenblick unterschiedliche Tendenzen bestehen, wobei es von dem gesellschaftlichen Kräfteverhältnis, d.h. von der Konjunktur“ – nicht nur, wie zu ergänzen ist! – „des Klassenkampfes abhängt, welche dieser Tendenzen sich schließlich durchsetzt. Was daher die gesellschaftlichen Träger betrifft, die unter der Determination durch ihre Existenzbedingungen funktionieren, so ist aufgrund der differentiellen Struktur dieser Bedingungen eine eindeutige Festlegung des individuellen Handelns undenkbar, d.h. die Determinierung des Individuums ist in dem Maße widersprüchlich, wie es die gesellschaftlichen Verhältnisse sind; […].“
(Waldemar Schmidt, Probleme der Metakritik der Anthropologie. Über Althussers Versuch einer ahumanistischen Neuinterpretation der marxistischen Theorie (Schriftenreihe zu Fragen der materialistischen Dialektik, Band 1, hrsg. von Heinz Kimmerle), Diss. Ruhr-Universität Bochum, Bochum: Germinal 1980, 494 f.).
- Vgl.
Louis Althusser:
„Die wahren […] Subjekte sind daher weder die Stelleninhaber noch die Funktionäre, also – allem Anschein und jeder ‚Evidenz‘ des ‚Gegebenen‘ im Sinne einer naiven Anthropologie zum Trotz – eben nicht die ‚konkreten Individuen‘ und die ‚wirklichen Menschen‘: die wahren ‚Subjekte‘ sind die Bestimmung und Verteilung dieser Stellen und Funktionen. Die bestimmenden und verteilenden Faktoren, kurz: die Produktionsverhältnisse (und die politischen und ideologischen Verhältnisse einer Gesellschaft) sind die wahren ‚Subjekte‘. Aber da es sich hierbei um ‚Verhältnisse‘ handelt, können sie in der Kategorie des Subjekts nicht gedacht werden.“ (Der Gegenstand des ‚Kapital‘ (1965/68), in: ders. / Etienne Balibar (Hg.), Das Kapital lesen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1972, 94-267, 223, 242 – kursive Hv. i.O.; fette von mir).und Gilles Deleuze:
„[…] der Strukturalismus [ist] von einem neuen Materialismus, einem neuen Atheismus, einem neuen Antihumanismus nicht zu trennen. Denn wenn der Platz den Vorrang hat vor dem, der ihn einnimmt, so genügt es gewiß nicht, den Menschen an den Platz Gottes zu stellen, um die Struktur zu ändern. […] Das wahre Subjekt ist die Struktur selbst: […] die differentiellen Verhältnisse.“ (Woran erkennt man Strukturalismus? [1967], in: François Châtelet [Hg.], Geschichte der Philosophie. Band VIII: Das XX. Jahrhundert, Ullstein: Frankfurt am Main / [West]berlin / Wien, 1975, 269-309 [277, 280 f.] – meine Hv.). [zurück] - „[…] wo eine bestimmte Identitätskonfiguration anstrebt, ‚die Stelle des Wirklichen‘ einzunehmen, um durch Selbst-Naturalisierung die eigene Hegemonie zu festigen und auszudehnen, ist von […] revolutionärer Praxis nichts übrig geblieben als ein konkretistisches, reifiziertes, Politik lähmendes Fundament.“
(Sabine Hark, ‚Jenseits‘ der Lesben Nation? Die Dezentrierung lesbisch-feministischer Identität, in: Verein Sozialwissenschaftliche Forschung für Frauen – SFBF – e.V. (Hg.), Zur Krise der Kategorien. Frau – Lesbe – Geschlecht, Selbstverlag: Frankfurt am Main, 1994, 89 – 112 [100, vgl. 89, 93 f, 98-100, 103]) [zurück]
Vgl. auch noch:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/06/22/kritik-essentialistischer-identitaetspolitik/.