Dieser Text als .pdf-Datei.
Ich hatte am vergangenen Mittwoch bedauert, daß queer nicht mehr „männerfeindlich“ sei. Nach drei bzw. vier vorhergehenden (1, 2, 3, 4) Einwänden, die mich nicht so überzeugten (1, 2, 3, 4), brachte bigmouth die folgenden zwei weitere Einwände, der mich doch nachdenklich machten:
1.
„du meinst halt, man könne „männerfeindlichkeit“ inhaltlich so besetzen [gemeint: i.S.e. positiven, feministischen und zugleich anti-biologistischen Bedeutung]. das halte ich aber für unsinn, weil dafür im allgemeinen sprachgebrauch und auffassung „mann“ bereits nicht als eine ontologische biologische entität, sondern als abstreifbare identität/rolle whatever gelten müsste. und da glaube ich, dass die verwendung des begriffs eine „kleine diskurisve Zuspitzung der Klarstellung“ gar nicht ergeben würde, sondern ganz im gegenteil einfach unendliche mißverständnisse
selbst wenn das verständnis in diesem sinne vorläge: etwa vergleichbar ist, mensch würde von sich sagen, „christenfeindlich“ sein, und damit aber meinen, mensch würde auf die abschaffung von religiösem bedürfnis überhaupt hinarbeiten. da wären mißverständnisse immer noch vorprogrammiert.“
2.
„außerdem ist die parallele zu klassenkampf und diktatur des proletariats extrem fragwürdig, weil die mehrheitsverhältnisse völlig anders sind. es geht hier ja nicht um den antagonismus zwischen einer mehr- und einer minderheit, die auch eine eindeutige hierarchie besitzen. der vergleich hinkt extrem“
Diskussionen provozieren!
a) „dafür [müßte] im allgemeinen sprachgebrauch und auffassung ‚mann’ bereits nicht als eine ontologische biologische entität, sondern als abstreifbare identität/rolle whatever gelten.“
Da sind wir in der Tat noch weit von entfernt. Und unsere gemeinsame Frage scheint mir zu sein, wie wir da hinkommen.
Ich würde sagen, die diskursive Zuspitzung ist dafür nützlich – auch auf das Risiko des Mißverständnisses. Denn jedes Mißverständnis ist auch eine gute Gelegenheit, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen, zu argumentieren, zu begründen – und klarzustellen, daß „Männer“ nicht der Name zur Bezeichnung eines bestimmten anatomisch definierten Kollektivs, sondern der Begriff zur Bezeichnung der Träger einer bestimmten gesellschaftlichen Praxis ist.
Ich komme darauf und auf das weitere Argument, das in Deinen ersten beiden Sätzen steckt noch zurück.
b) „selbst wenn das verständnis in diesem sinne vorläge: etwa vergleichbar ist, mensch würde von sich sagen, ‚christenfeindlich’ sein, und damit aber meinen, mensch würde auf die abschaffung von religiösem bedürfnis überhaupt hinarbeiten. da wären mißverständnisse immer noch vorprogrammiert.“
Der Hinweis auf „christenfeindlich“ ist der Punkt, der mich besonders nachdenklich gemacht hat. Auch darauf komme ich gleich zurück. Aber zunächst einmal:
Personale und versachlichte Herrschaft
aa) Wenn ich recht verstehe, sagst Du: Im Falle von Religion läge ein derartiges Verständnis („abstreifbare identität/rolle whatever“) vor. Und selbst der Fall Religion zeige, wie problematisch meine diskursive Strategie sei.
Ich würde demgegenüber sagen: Im Falle von Religion mögen ‚wir’ AtheistInnen uns da einig sein. (Aber selbst unter ‚uns’ ist das gar nicht so einfach. Wenn ich meine Ablehnung der Existenzgeldforderung und meine These, daß auch im Kommunismus gearbeitet werden müsse, begründe, muß ich mir schon mal den Vorwurf „protestantische Arbeitsethik“ anhören. Und: Wenn ich mit KatholikInnen über Doppelmoral und das Gesetz vom Widerspruch diskutiere, kokettiere ich auch schon mal mit einer protestantischen Sozialisation… – Also auch da ist das alles nicht so einfach abstreifbar.)
Und ich würde sagen: Im von Dir in Bezug genommenen „allgemeinen sprachgebrauch“ schon gar nicht – auch wenn die Leute sonntags kaum zur Kirche, aber massenhaft zum Kirchentag rennen und sich über das ökumenische Abendmahl streiten: auch da scheinen ja so etwas wie massive „Leib“-Erfahrungen (wie Butler-KritikerInnen sagen würde) auf dem Spiel zu stehen.
bb) Und ich würde sagen – und das ist nun der Kern meines Gegenarguments:
Wir müßten in der Tat dahin kommen, daß genauso unbefangen über „ChristInnenfeindlichkeit“ und „Männerfeindlichkeit“ gesprochen werden kann, wie MarxistInnen früher unbefangen vom „Klassenfeind“ gesprochen haben.
Warum haben wir jene Unbefangenheit nicht? (mehr…)