[Der folgende Text als .pdf-Datei]
Vor kurzem wurde an verschiedenen Stellen im Netz ein Papier eines Diskussionskreises um Michael Prütz (1, 2, 3, 4; vgl. 5) veröffentlicht – Titel: Neue Antikapitalistische Organisation? Na endlich! Worüber müssen wir uns verständigen und worüber nicht. Plädiert wird für eine „solidarische und kontroverse, ergebnisoffene und zielgerichtete Debatte“ zwischen „‚Marxismus’ und ‚Autonomie’, Links-Sozialisten / Links-Kommunisten und Bewegungslinke“. Veröffentlicht wurde der Text von den online-Zeitschriften trend, Linke Zeitung (wo es in den Kommentaren eine LeserIn-Diskussion zu dem Text gibt) sowie scharf-links (wo auch zwei daran anschließende Texte veröffentlicht wurden) und den blogs Rappelkiste (bei blogsport.de) und Rote Predigt (bei over-blogs, die zu dem social bookmark-Dienst wikio gehören) sowie auf der homepage der Sozialistischen Kooperation; Entdinglichung verlinkte den Text.
Diese paar Veröffentlichungsorte und Antworten sind zwar bei weitem nicht die Resonanz auf das Papier, die notwendig wäre, um jene Idee mehr als eine Idee sein zu lassen. Ich will mir aber trotzdem nicht zu schade dafür sein, fünf Anmerkungen zu dem Text zu machen. Denn die generelle Überzeugung, daß es einer linken Struktur bedarf, die programmatisch links von der Linkspartei (m.E. auch links von der Interventionistischen Linken [IL]) steht, die verbindlicher organisiert ist als die autonome Szene (und ebenfalls verbindlicher als die IL), aber im Gegensatz zu der Revolutionären Linken um die Zeitschrift radikal nicht klandestin organisiert, sondern in Demonstrationen, Veranstaltungen und Bündnissen auch persönlich (in Form von für sie einstehenden Mitgliedern) sicht- und ansprechbar ist, würde ich teilen. Was die inhaltliche Ausrichtung anbelangt, hört sich, „die eigenen revolutionären Positionen wieder mit ein wenig mehr Selbstbewusstsein zu vertreten“ (Hv. hinzugefügt), für meinen Geschmack allerdings noch zu zaghaft an. –
Hier also meine fünf Anmerkungen:
Anmerkung 1 – Zur Einschätzung der gesellschaftlichen Lage:
Positiv hervorzuheben ist die deutlich realistischere Lageeinschätzung, die sich vom linken ‚Krisenoptimismus’ vieler Texte der letzten Zeit abhebt: „Das zugegebenermaßen handwerklich sehr geschickte Krisenmanagement (Abwrackprämie, Verlängerung des Kurzarbeitergeldes, kein Frontalangriff auf die regulär Beschäftigten, sondern auf die Marginalisierten) konnte sich […] nicht nur auf die deutsche Gewerkschaftsbürokratie (insbesondere der IGM), sondern auch auf die Stimmung in vielen Betrieben stützen – ‚Lieber den eigenen Standort sichern als kämpfen’ lautete vielfach die Losung. Und es scheint ja zu funktionieren: Moderate Lohnerhöhungen wie bei VW und Sonderzahlungen wie bei Daimler lassen ein ‚Krisengefühl’ erstmal nicht aufkommen.“
Trotzdem scheint mir aber auch dieser Text noch zu optimistisch zu sein, wenn es weiter unten heißt: „Den Stand des Klassenbewusstseins bringt Kollege Riexinger sehr schön auf den Punkt: ‚Die Leute sagen, so wie die Franzosen müssten wir’s machen’ – was zweierlei zum Ausdruck bringt: Wir haben die Schnauze voll, aber es wäre schon schön, wenn andere für uns kämpfen.“ Und mehr noch, wenn es später – anscheinend noch weitergehend – heißt: „Wir treten ein in eine Phase von Revolution und Konterrevolution.“, ohne auch nur die Wörter „Phase“ und „Revolution“ (Politische Revolutionen [‚regime changes’]? Oder Umwälzungen der Produktionsverhältnisse?) zu erläutern. – Auch diese Formulierungen, vom Ende des Textes, scheinen mir allzu allgemeine (und insofern voluntaristische Schlußfolgerungen nahelegende) Wahrheiten zu sein: „Keine Angst vor der eigenen Courage. Eigentlich muss mensch nur zwei Sachen wissen, um loszulegen: ‚Eure Ordnung ist auf Sand gebaut’ und ‚Etwas Besseres als den Tod finden wir überall’.“
Anmerkung 2 – Zur Einschätzung der Lage der Linken:
Die Autoren (der Text verwendet als Selbstbezeichnung die männliche Form „Diskussionszusammenhang von mittelalten bis älteren Genossen, die vorwiegend linkssozialistisch / trotzkistisch sozialisiert sind“) schreiben:
„Die Geschichte hat die unschöne Eigenschaft, sich öfter nicht an die ‚Geschichtsfahrpläne’ studierter MarxistInnen zu halten […]. Ergeben sich realistische Möglichkeiten revolutionärer Organisierung, muss Mensch auch mal zugreifen, denn solche ‚Zeitfenster’ bleiben nicht ewig offen.“
Das ist wohl wahr, nur habe ich nirgends in dem Papier eine klare Darlegung gefunden, warum dieses „Zeitfenster“ im Moment vorhanden bzw. offen sein soll.
Im ersten Satz des Papiers heißt es zwar: „Teile der (post)autonomen Bewegung / der radikalen Linken diskutieren z. Z. sehr ernsthaft die ‚Organisationsfrage’ (die AVANTIS sprechen sogar von einem ‚Neuen kommunistischen Projekt’), was wir auf’s Schärfste begrüßen.“ Aber der einzige konkrete Bezugspunkt dafür ist ein bereits 7 Jahre altes AVANTI-Papier: „Allerdings gestaltete sich die ‚Quellenlage’ für uns etwas schwierig – der programmatische ‚Output’ der (Post)autonomie zur beginnenden Diskussion ist recht überschaubar (vielleicht liegt das auch daran, dass die Debatte – noch – etwas ‚klandestin’ geführt wird). Fündig wurden wir bei AVANTI, nämlich dem ‚Grundsatzpapier’ vom Mai 2004, mit welchem wir – was uns selbst überrascht hat – ein hohes Maß an Übereinstimmung festgestellt haben.“ (link hinzugefügt, TaP).
Außerdem wird behauptet: „Während in den 1970er Jahren die im Wochentakt erfolgten Parteigründungen sich gegenseitig in die ‚Fischmehlfabrik’ expedieren wollten, kooperieren heute etwa in den Anti-Krisen-Bündnissen der Attac‘ler mit dem DKP’ler oder der junge Autonome mit dem Verdi-Funktionär.“
Das erscheint mir nicht plausibel: Auch die Fischmehl-K-Gruppen hatten in Bonn immerhin gemeinsam gegen ihr Verbot demonstriert; Bündnisse mit Beteiligung von Autonomen, Grünen und Kommunistischem Bund (KB) waren keine Seltenheit; es gab breite linke Bündnis-Demos mit autonomen Schwarzen Blöcken, aber ebenso DKP-Blöcken und sogar SPD-Beteiligung; allerdings gab es auch immer wieder Streit über die „Gewaltfrage“.
Wenn heute also in „Anti-Krisen-Bündnissen der Attac‘ler mit dem DKP’ler oder der junge Autonome mit dem Verdi-Funktionär“ diskutiert und demonstriert, dann scheint mir das nichts grundlegend anderes zu sein und vor allem für ein Organisierungs- (und nicht nur Bündnis)projekt gar nichts zu heißen.
Anmerkung 3 – Zum Verhältnis zur Linkspartei und überhaupt zu Bündnissen:
Mehr sagt mir zu, was in dem Papier zur Linkspartei im besonderen und zu Bündnissen im allgemeinen gesagt wird:
► Es soll um eine organisatorische (aber, wenn ich das Wort [neue antikapitalistische] „Organisation“ [nicht: „Partei“] richtig deute, auf absehbare Zeit nicht: wahlpolitische1) Alternative zur Linkspartei gehen:
„wenn wir nicht oder nicht gut genug erklären können, warum AntikapitalistInnen bei uns und nicht bei der LINKEN mitmachen sollen, können wir gleich wieder einpacken.“
► Es soll auch nicht um ein Bewegungsanhängsel der Linkspartei bzw. gar einer rot-rot-grünen Regierung gehen:
„Wenn das Konzept der ‚Mosaik-Linken’ so aussieht, dass die einen in der Regierung ‚Sachzwänge’ exekutieren und die anderen auf der Strasse dagegen protestieren und hinterher setzen wir uns zusammen und reden mal drüber – dann sollten wir uns von derartigen Veranstaltungen lieber fernhalten.“
► Die Linkspartei soll aber nicht zum neuen Hauptfeind erkoren werden:
„Auch wenn es nervt, wir sagen es noch mal, eine unsektiererische Politik gegenüber der LINKEN wird die erste und größte Herausforderung für das neue Projekt, so es denn tatsächlich an den Start geht. Natürlich treten wir in Konkurrenz zur LINKEN (sonst bräuchten wir ja gar nicht loslegen), aber nach unserer festen Überzeugung muss das neue Projekt glaubhaft rüberbringen, dass es sich um eine sozusagen ‚solidarische Konkurrenz’ handelt.“
► Und es wird klar, daß die Phrase von der „Einheitsfront von unten“ in der politischen Praxis nichts anderes bedeutet als – gar keine Einheitsfront:
„‚Einheitsfront von unten’ ist bis heute das Credo aller Ultralinken. Motto: Einheit mit sozialdemokratischen Arbeiter oder Basisgliederungen? Bitte gerne, aber niemals mit ihren verräterischen Führungen! Das ist genau das, was Einheitsfront-Politik nicht ist. Es setzt nämlich voraus, was fehlt: Den klaren Bruch der Basis reformistischer Organisationen mit ihrer Führung.“
Und dagegen wird richtigerweise gesetzt:
„Angebote zur Einheit müssen sich immer an die gesamte Organisation incl. Ihrer Führung richten. Lehnt die Führung ab, muss sie das den eigenen Leuten erklären – nimmt sie an, läuft sie immer Gefahr, dass in der gemeinsamen Aktion eine Dynamik entsteht, die sich nicht mehr oder schwer kontrollieren lässt.“
► Etwas in Unklarheit bleibt allerdings, was (definitorisch) den Unterschied zwischen einer „Einheitsfront“ und einer „Aktionseinheit“ ausmacht: Auf welche Themen oder Gegenstände (oder was auch immer) bezieht sich „Einheitsfront“? Und auf was „Aktionseinheit“?
Gesagt wird ausschließlich, daß ein unterschiedlicher Kreis von Beteiligten in Betracht kommt (auch dem ist zuzustimmen): „Konstituierendes, unverzichtbares Element der Einheitsfrontorientierung ist das Prinzip der Klassenunabhängigkeit – ‚Einheitsfront’ mit bürgerlichen, kapitalistischen Parteien ist ‚Volksfront’. Das heißt allerdings nicht, SPD und GRÜNE aus Aktionseinheiten auszugrenzen (genauso wie keiner was dagegen hat, wenn kritische CDU’ler bei den Protesten gegen ‚Stuttgart 21’ mitmachen).“
Darüber hinaus dürfte auch noch klar sein, daß eine „Aktionseinheit“ etwas kurzfristig-punktuelles und eine „Einheitsfront“ etwas mittel- bis langfristiges ist. Bleibt aber trotzdem die Frage: Wofür kommen Einheitsfronten in Betracht? (Wie) unterscheidet sich eine „Einheitsfront“ organisatorisch von einer bloßen „Aktionseinheit“? Bedeutet „Einheitsfront“ auch eine größere organisatorische Festigkeit des Zusammenhalts als „Aktionseinheit“? Und wofür muß/sollte sich auf letzteres (die Bündnisform der „Aktionseinheit“) beschränkt werden?
Also ganz praktisch gefragt: Was darf auch mit kritischen Unions-Leuten, mit SPD-lerInnen und Grünen gemacht werden, soweit hinreichende inhaltliche Konvergenzen gegeben sind? Und was darf mit ihnen selbst dann nicht gemacht werden, wenn inhaltliche Gemeinsamkeiten gegeben sind? Was ist zulässige Aktionseinheit? Und was unzulässige Einheitsfront?
Oder ist es einfach so, daß alles (egal was), was mit Beteiligung von Grünen usw. gemacht wird, Aktionseinheit genannt wird? Und alles (egal was), was ohne deren Beteiligung gemacht wird, Einheitsfront genannt wird? – Oder gibt es auch inhaltlich-organisatorische Unterschiede zwischen beiden Bündnistypen?
Anmerkung 4 – Zum Konflikt ‚Anti-Deutsche’ vs. ‚Antiimperialisten’:
Klar und richtig erscheint mir die doppelte Abgrenzung von ‚Anti-Deutschen’ (jedenfalls jenen ‚Anti-Deutschen’, die gar nicht mehr anti-deutsch sind) und jenen AntiimperialistInnen, die nichts anders als „Antiimperialismus“ zu bieten haben: „Dem ganz breiten ‚anti-imperialistischen’ Bündnis von Kim über Ahmadinedschad und Lukaschenko bis Scheich Nasrallah sollte unser ‚Projekt’ keinesfalls beitreten. Wir sollten uns klar gegen diese außenpolitische Linie der ‚Jungen Welt’ und die Argumentation der ‚Anti-Imps’ stellen, denn für uns hören die Klassengegensätze nicht an den Grenzen des Trikont auf zu existieren […]. Diese klare Frontstellung muss sich allerdings ihrerseits scharf distanzieren vom militanten ‚Anti-Anti-Imperialismus’ der so genannten ‚Anti-Deutschen’, die eben keine ‚linken Anti-Deutschen’, sondern ‚(verdammt) deutsche Anti-Linke’ sind. In ihren schärfsten Ausformungen handelt es sich um offenen Pro-Imperialismus.“
Anmerkung 5 – Zum neu-alten ‚Hauptwiderspruch Kapitalismus’:
Die Verfasser werfen in einem – so betitelten – Unterabschnitt zum Abschnitt „Klasse, Prekariat, soziale Bewegung“ ernstlich erneut die Frage, „Triple Oppression oder Hauptwiderspruch?“, auf.
a) Schon bevor der fragliche Unterabschnitt beginnt, heißt es in dem Text bereits: „ArbeiterInnen sind nicht besser, schöner oder klüger als Feministinnen oder Anti-Atom-Aktivisten, aber als Mehrwertproduzenten sind sie die einzigen, die die Herrschaft des Kapitals unmittelbar und direkt in Frage stellen (können).“
Dies ist so wahr wie banal. Nur ist damit noch nicht begründet, was anscheinend damit zugleich ausgesagt werden soll – nämlich: (1.) Feminismus ist auf einer Ebene mit Anti-Atom-Aktivismus anzusiedeln und (2.) die Beseitigung der Herrschaft des Kapitals sei irgendwie (wichtiger [?] oder) grundlegender (oder dringender [?]) als die Beseitigung der Herrschaft der Männer.
Und, daß diese beiden Botschaft mitgemeint sind, zeigt sich spätestens, wenn es auf der nächsten Seite heißt: „Die LohnarbeiterInnenklasse ist nach wie vor das ‚eine’ revolutionäre Subjekt auch wenn sich ihr ‚Gesicht’ seit 1970 und erst recht seit 1917 dramatisch verändert hat.“
Das mit dem Wandel des Gesichts der Klasse der Lohnabhängigen ist allerdings wahr. Und wahr ist auch, daß, falls überhaupt irgendjemandE das kapitalistische Klassenverhältnis umstürzen wird, es genau diese Klasse sein wird.
Damit ist aber noch nicht gesagt, daß es z.Z. nur ein zu revolutionierendes gesellschaftliches Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnis, nämlich das kapitalistische Klassenverhältnis, und folglich nur eine Revolution und ein potentiell, so ist hinzuzufügen, revolutionäres Subjekt gibt.
So wahr, wie es ist, zu sagen, daß die Nutzung von Atomenergie keine gesellschaftliche Struktur (sondern ein konjunkturelles Symptom der gesellschaftlichen Strukturen) und die Anti-AKW-Bewegung (als Anti-AKW-Bewegung) folglich auch kein revolutionäres Subjekt ist, so unzutreffend wäre es, das Gleiche über das patriarchale Geschlechterverhältnis und den Feminismus zu sagen.
b) Die Papierverfasser gestehen sogar zu: „Frauenunterdrückung und Rassismus sind sehr viel älter als der Kapitalismus und werden auch nach seinem hoffentlich baldigen Ende nicht automatisch verschwinden.“
Und trotzdem legen sie Wert auf die Formulierung: „Natürlich gibt es im Kapitalismus ‚Triple Oppression’.“ Wenn wir die mit dem Begriff der „Unterdrückung“ verbundenen theoretischen Probleme hier für einen Moment beiseitelassen und „oppression“ einfach mal als Oberbegriff für „Herrschaft und Ausbeutung“ auffassen, so ist jedenfalls der Unterschied zwischen der von den Papierverfassern gemachten Aussage, „Natürlich gibt es im Kapitalismus ‚Triple Oppression’.“, und der nicht gemachten Aussage „Der Kapitalismus ist ein Element der ‚Triple Oppression’“ auffällig.
Der Hinweis auf diesen Unterschied macht deutlich, daß an der tatsächlich gemachten Aussage ‚etwas nicht stimmt’: Denn, wenn wir mal annehmen, daß mit den drei Unterdrückungen Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus gemeint sind, so läuft die von den Papierverfassern tatsächlich gemachte Aussage auf die etwas merkwürdige, teil-tautologische Formulierung hinaus: „Im Kapitalismus gibt es Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus.“
c) Die Papierverfasser sagen weiter: „Eine schwarze Arbeiterin ist ohne Zweifel ‚dreifach unterdrückt’ – als Arbeiterin, als Frau und als Schwarze.“
Ja, zweifelsohne; aber damit ist das entscheidende – jedem Primat des Klassenkampfs, jeder These vom Hauptwiderspruch Kapitalismus entgegenstehende – Punkt noch nicht erfaßt: Auch die schwarze Bourgeoise-Frau wird als Frau und Schwarze von (weißen sowie schwarzen) Männern und Weißen (Frauen wie Männern) jedenfalls beherrscht (ob auch „ausgebeutet“, lasse ich an dieser Stelle der Einfachheit halber offen).
Und entsprechend ist auch die weiße Bourgeoise-Frau von Männern und der schwarze Bourgeois-Mann von Weißen beherrscht.
Und mehr noch: Auch im Fall der schwarzen Arbeiterin haben wir es nicht einfach mit der Addition von drei Unterdrückungen zu tun, sondern: die Überlagerung mehrerer Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse bewirkt nicht deren schlichte Addition, sondern deren gegenseitig Modifikation: Das Patriarchat ‚funktioniert’ in der ArbeiterInnenklasse anders als in der Bourgeoisie, aber es ‚funktioniert’ in beiden Klassen.
Dies wird übersehen, wenn der Ausdruck „triple oppression“ – wie anscheinend von den Papierverfassern – nur als Fortschreibung der marxistischen These von der „doppelten Unterdrückung“ der Frau2 aufgefaßt wird.
d) Weiter wird in dem Papier ausgeführt: „Wenn wir sagen, auch eine noch so erfolgreiche Bearbeitung der Kategorien ‚Geschlecht’ und ‚Rasse’ führt alleine nicht zum Sturz des Kapitalismus, dann heißt das nicht, den Kampf gegen Sexismus, Rassismus, Frauenunterdrückung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag (‚nach der Revolution’) zu verschieben.“
Auch dies ist zweifelsohne wahr. Nur würde (1.) die in der ersten Satzhälfte kritisierte Auffassung ja auch auf die These von einem einzigen Hauptwiderspruch Rassismus oder einen einzigen Hauptwiderspruch Patriarchat hinauslaufen – was aber ohnehin allenfalls von marginalen Sektoren der Linken behauptet wird. Die zwar denkbare, aber nicht einzig denkbare Alternative dazu ist die These vom Hauptwiderspruch Kapitalismus.
Vorzuziehen ist freilich diese These von der strukturellen Gleichrangigkeit von Klasse, Rasse, Geschlecht/Sexualität.
Und zum (2.) ist ebenso wahr: „Wenn wir sagen, auch eine noch so erfolgreiche Bearbeitung der Kategorien ‚Klasse’ führt alleine nicht zum Sturz des Patriarchats und zur Beseitigung von Rassismus, dann heißt das nicht, den Kampf gegen Kapitalismus auf den Sankt-Nimmerleins-Tag (‚nach der Revolution’) zu verschieben.“
e) Die Verfasser plädieren für eine Vergesellschaftung von Hausarbeit statt für die Forderung nach „Lohn für Hausarbeit“.
aa) Was die Ablehnung der letztgenannten Forderung anbelangt, so ist den Verfassern zuzustimmen. Allerdings wird jene Forderung ja auch nur von wenigen Feministinnen erhoben, während viele Feministinnen vielmehr davor warnen, daß „Lohn für Hausarbeit“ gerade zu einer Verfestigung der geschlechtlichen Arbeitsteilung und nicht zu einer Überwindung des Patriarchats führen würde.
Zurecht kritisieren die Verfasser auch die von AVANTI vertretene Auffassung (?) oder – wie vielleicht besser zu sagen ist – gewählte Formulierung: „Mit der Reproduktionsarbeit wird die ‚Ware Arbeitskraft’ (die der Lohnarbeiter verkauft) erst hergestellt. Daher befindet sie sich eigentlich auch im Kreislauf der Mehrwertproduktion.“ Satz 1 des AVANTI-Zitates ist wahr. Satz 2 ist ‚wahr’, wenn das Wort „eigentlich“ dick unterstrichen und damit ausgedrückt wird, daß dies eine metaphorische und nicht analytische Redeweise ist.
Die Hausarbeit ist keine Ware (sei es denn sie würde in ein Lohnarbeitsverhältnis zwischen den sie Leistenden und den sie Bekommenden/Konsumierenden [bzw. etwaigen ‚ZwischenhändlerInnen’] umgewandelt), und deshalb hat der Begriff „Mehrwertproduktion“ in dem Zusammenhang nichts zu suchen.
Im Gegensatz zur Neigung von Anti-Marxistinnen vom Marxismus zu erwarten (und den Marxismus wegen Verfehlung dieser Erwartung zu verwerfen) und von Marxistinnen zu beanspruchen, daß der Marxismus alle Fragen (jedenfalls auf gesellschaftsanalytischem Gebiet) beantworten könne, sollte die begrenzte Reichweite des Marxismus anerkannt werden. MarxistInnen mögen als PolitikerInnen etwas zur Hausarbeit zu sagen haben; der Marxismus als wissenschaftliche Theorie eines spezifischen Gegenstandes, der Klassenverhältnisse, vorrangig sogar des kapitalistischen Klassenverhältnisses, hat zum Thema „Hausarbeit“ kaum etwas Relevantes zu sagen – und das ist aber auch kein Drama:
Das patriarchale Geschlechterverhältnisse ist eben nicht dasselbe wie das kapitalistische Klassenverhältnisse und deshalb benötigen wir zur Analyse beider unterschiedliche (und jeweils präzise definierte) Begriffe (und nicht eine metaphorischen Begriffstransfer hin und her).
bb) Was die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit anbelangt – für die vieles spricht, soweit sie überhaupt sinnvoll möglich ist –, so ist für Feministinnen als Feministinnen allerdings das wichtigere Anliegen, daß die (ehemalige) Hausarbeit, egal ob sie (weiterhin) in den einzelnen Haushalten oder haushaltsübergreifend (vergesellschaftet) erledigt wird, auf Männer und Frauen gleichmäßig verteilt wird und diese Arbeit nicht – wie es Lenin ausdrücklich noch propagiert hatte (S. 336, FN 50) – keine Frauendomäne bleibt.
So mag also auch das folgende politisch richtig (Satz 1) und analytisch wahr (Satz 2) sein: „Hausarbeit gehört abgeschafft und vergesellschaftet, sprich ausgelagert und professionalisiert. Das wird im Kapitalismus nicht funktionieren, ….“ Vollständig mag das im Kapitalismus vielleicht nicht funktionieren, aber diese Tendenz können wir ja gerade live beobachten: Pflegeversicherung; Putzfrauen und andere „haushaltsnahen Dienstleistungen“.
Aber: Selbst wenn der (erste Halbsatz des) zweite(n) Satz(es) wahr ist, folgt daraus nicht die Schlußfolgerung, die die Papierverfasser daraus ziehen: „…, weshalb es für uns dabei bleibt: Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau, ohne Befreiung der Frau kein Sozialismus.“
Abgesehen von dem fragwürdigen Kollektivsingular („die Frau“ ist genauso eine Fiktion wie „der Arbeiter“): Es ist keinesfalls ausgemacht – und auch von den Verfassern nicht einmal behauptet worden –, daß die Überwindung des Patriarchats ausschließlich durch Vergesellschaftung der Hausarbeit und nicht auch durch Gleichverteilung privater Hausarbeit (+ jeweils weitere Maßnahmen) möglich ist.
Zutreffend ist allerdings, daß Frauen, soweit sie Lohnarbeiterinnen sind, als Lohnarbeiterinnen ausgebeutet bleiben, solange der Kapitalismus besteht, und in diesem Sinne gilt selbstverständlich: Ohne Sozialismus keine Befreiung von Frauen (und Männern) vom Kapitalismus.
f) In Entsprechung dazu, daß die Verfasser ausgerechnet den Sozialismus zur Bedingung der „Befreiung der Frau“ erklären („Ohne Sozialismus keine Befreiung der Frau“), sagen sie umgekehrt über den „klassenunspezifischen Feminismus“: „Und drittens zeigt sich hier [an den – vielfach migrantischen – (unter)bezahlten / überausgebeuteten Hausarbeiterinnen] deutlich, dass ‚Frauenförderung’ unter kapitalistischen Vorzeichen bzw. ein Mainstream gewordener klassenunspezifischer Feminismus nur neue, größere soziale Ungleichheiten / Diskriminierungen hervorruft.“
Dem ist entgegenzuhalten: Dieser Feminismus ist gerade nicht klassenindifferent – was entgegen der Ansicht der Papierautoren richtig wäre –, sondern er hat eine Klassen-bias.
Klassenindifferenter Feminismus hieße gegen die Männer und für deren Übernahme von 50 % der Haus- und Erziehungsarbeit zu kämpfen. Und das wäre richtig. – Pseudofeministische Schichten- oder Klassen-3 und Rasseninteressen werden dagegen verfolgt, wenn die Umverteilung von Hausarbeit von weißen, akademisch ausgebildeten Frauen auf schwarze Frauen (die trotz ihrer hiesigen Haushaltstätigkeit oft akademisch ausgebildet sind) und nicht-akademisch ausgebildete weiße Frauen betrieben wird.
Um ein bißchen zu provozieren: Mehr Sozialismus ist natürlich nie schlecht; aber: was wir in dem Fall brauchen, ist nicht in erster Linie mehr Sozialismus, sondern mehr Feminismus, mehr Männerfeindlichkeit und weniger ‚Umverteilung innerhalb eines Geschlechts’ (hier: dem der Frauen).
Im übrigen ist noch anzumerken: Der/die typische KäuferIn der verschiedenen „haushaltsnahen Dienstleistungen“ dürfte – wegen der fortbestehenden Frauenlohndiskriminierung – weiterhin nicht die Klischeefigur der „feministischen Karriere-Single-Frau“, die arme Proletarierinnen ausbeutet, sein, sondern heterosexuelle und schwule Single-Männer, schwule Haushalte mit mehreren Lohneinkommen sowie heterosexuelle Paare mit zwei Einkommen.
g) Im Hintergrund der Haltung der Verfasser zum Feminismus dürfte die Postmoderne-Kritik von Ellen Meiksins Wood stehen, auf die sich die Papier-Autoren an anderer Stelle des Textes ausdrücklich berufen: „Wenn Postmodernisten auf Fragmentierung und ‚Differenz’ beharren, meinen sie, neben anderem, auch, dass es so etwas wie ein ‚totalisierendes’ System des Kapitalismus nicht gibt, ein System, das seine eigene, vereinheitlichende Logik, seine eigenen Bewegungsgesetze der Gesamtheit der Gesellschaft aufzwingt. Was sind also die Implikationen einer solchen Sichtweise? Meines Erachtens, dass es kein übergreifendes Herrschaftssystem wie das der Macht des Kapitals oder das der Systemzwänge des kapitalistischen Marktes gibt, und dass es nur eine Menge unterschiedlicher und unverbundener Machtbeziehungen gibt.’ (…..) ‚Die Menschen mögen heute über Identitäten reden anstatt von Interessengruppen, doch der postmoderne Pluralismus verschleiert ebenso wie seine alten Spielarten die Realitäten der Macht in kapitalistischen Gesellschaften. Er entwaffnet und zersetzt auch den Widerstand gegen den Kapitalismus.’“
Ich möchte dem folgende Gegenposition entgegenstellen:
aa) Identität und Interessen sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen. Vor allem sind Interessen nicht ‚natürlich’ oder schlicht gegebene ökonomische ‚Fakten’, und Identitäten dagegen nur Schall und Rauch oder Illusionen. Vielmehr sind Interessen [von lat. inter esse = dazwischen sein] schon sprachlich etwas (und sie sind auch in der politischen Praxis nur in diesem Sinne relevant), das subjektives Überzeugtsein und Engagement impliziert. Die Herausbildung von Identitäten und Interessen geschieht in ein und demselben politischen Prozeß. Das ist die große Lehre von Lenins Ökonomismus-Kritik in Was tun?4
bb) Die Darstellung der Postmoderne durch die Verfasser ist ihrerseits zu totalisierend. Nicht alle ‚Postmodernen’ (oder der Postmoderne Zugeordneten) sind pluralistisch und kennen nur noch eine diffuse „Menge unterschiedlicher und unverbundener Machtbeziehungen“.5
cc) Die postmoderne Kritik der Kategorie der „Totalität“ zu verwerfen, ohne Althussers These, daß die Kategorie der „Totalität“ Hegel ‚gehöre’, Marx aber die des komplex, gegliederten Ganzen6, macht es sich auf alle Fälle einfacher als es der Debattenstand erlaubt.
Die These, daß der Kapitalismus ‚total’ sei, ein System, das seine eigene, vereinheitlichende Logik, seine eigenen Bewegungsgesetze der Gesamtheit der Gesellschaft aufzwingt, ist genau viel oder genauso wenig wahr und sinnvoll, wie die These, daß Patriarchat und Rassismus ‚total’ seien, daß sie jeweils einer bestimmten ‚Logik’ folgten, die in der gesamten Gesellschaft zum Tragen komme.
In dem Sinne bzw. in dem Maße, in dem diese Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse tatsächlich ‚total’ (im schwache Sinne) sind, also sie nicht rein und von einander getrennt existieren, sondern sich gegenseitig beeinflussen und modifizieren, sind sie gerade nicht ‚total’ (im starken Sinne, daß es nur eine die gesellschaftliche Entwicklung bestimmende ‚Logik’ gebe).
Um es so zu sagen: Die Kategorie der „Totalität“ begünstigt nicht die von Lenin geforderten konkreten Analysen konkreter Situationen, sondern von Engels als hohl kritisierte „ewige Wahrheiten“.
dd) Richtig ist statt der mainstream-postmodernen Präferenz für „Differenz statt Einheit“ und statt der mainstream-marxistischen Präferenz für „Einheit ohne Differenzen“ das, was die linksleninistische Postmoderne vorschlägt: „Einheit, die Differenzen zuläßt (und voraussetzt)“. Ein Bündnis hat nur Sinn und kommt nur zustande, wenn den Beteiligten der Raum gelassen wird, ihre jeweiligen eigenen Motive und Interessen einzubringen und nicht die Einheit jedem ‚Partikularismus’ der Beteiligten übergeordnet wird.7
Schlußbemerkung
In diesem Sinne möchte ich also sagen: Antikapitalistisch ist nicht revolutionär genug.
Eine neue antikapitalistische Organisation mag einige bereits bestehende Grüppchen und Klein-Organisationen zusammenführen, aber sie wird keine gesellschaftliche Dynamik auslösen.
Chance auf eine solche gesellschaftliche Dynamik besteht allenfalls mit einer revolutionären Organisation, die sich nicht auf Antikapitalismus konzentriert, sondern auch in Sachen Feminismus und Antirassismus (sowie Ökologie, die aber kein eigener gesellschaftlicher Widerspruch ist) auf der Höhe der Zeit / dem Stand der Diskussion ist.8
----
Als Parallellektüre dürfte sich anbieten (ich habe in einiges auch erst hineingeblättert):
I.
http://sol-hh.de/images/Broschueren/sol-grundsatzpapier-april2011.pdf
http://www.perspektive.nostate.net/ueber_uns
http://prp.bplaced.de/wordpress/?page_id=2
II.
http://8maerz.blogsport.de/images/8maerz.pdf
http://www.prager-fruehling-magazin.de/article/671.geschlecht-sexualitaet-nur-ein-nebenwiderspruch.html
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/03/gegen-den-strom/
III.
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/29/ich-sag-wies-ist-papier-und-interventionistische-linke/
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/25/radikal-interview-mit-der-militanten-gruppe-zu-organisierung-des-revolutionaeren-widerstandes-teil-iv-der-rezension-zu-radikal-nr-161/.
- Im übrigen wird die wahlpolitische Bedeutung der Linkspartei explizit anerkannt: „Zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg gibt es eine wahlpolitisch relevante Partei links von der Sozialdemokratie in der Bundesrepublik, von der Episode der Grünen in den 80ern abgesehen.“ [zurück]
- Die Redaktion der Zeitschrift Perspektiven wies 1988 (S. 8) auf folgendes hin: „Hat August Bebel die doppelte Unterdrückung mit vergleichsweise gesundem Menschenverstand als Unterdrückung durch das Kapital einerseits und Männer andererseits beschrieben […], so wurde diese Definition später praktischerweise abgewandelt. Danach würden Frauen doppelt vom Kapital ausgebeutet und unterdrückt: als Verkäuferinnen ihrer Arbeitskraft und als Geschlechtswesen.“ [zurück]
- Hier ist eher von Schichten- als von Klasseninteressen zu sprechen: Für Bourgeoise-Frauen ist es keine neue, erst in der neoliberalen Epoche aufkommende Erfahrung, über Hauspersonal zu verfügen. Womit wir es vielmehr zu tun haben, ist der verstärkte Einkauf von persönlichen Dienstleistungen durch die Hochlohn-Segmente der Klasse der Lohnabhängigen. [zurück]
- Vgl. zu diesem Problemkreis: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/15/warum-ideologie-kein-notwendig-falsches-bewusstsein-ist-und-aus-einer-erkenntnis-nicht-automatisch-eine-bestimmte-politische-haltung-folgt/ sowie Frieder Otto Wolf, Performierte Identitäten in der Diskussion zwischen Old Labour und Neuen Sozialen Bewegungen in dem dort vorgestellten Buch. [zurück]
- Siehe dagegen: http://theoriealspraxis.blogsport.de/1996/10/10/pluralismus-und-antagonismus/. [zurück]
- Louis Althusser, Ist es einfach, in der Philosophie Marxist zu sein?, in: ders., Ideologie und ideologische Staatsapparate (Reihe Positionen 3 hrsg. von Peter Schöttler), VSA: Hamburg/Westberlin, 1977, 51 – 88 [65]; vgl. Marx (Einleitung von 1857, S. 617 und 631): Das „Allgemeine […] ist selbst ein vielfach Gegliedertes, in verschiedne Bestimmungen Auseinanderfahrendes.“ (Hv. i.O.). „Es findet Wechselwirkung zwischen den verschiednen Momenten statt.“
[zurück] - Vgl. dazu http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/06/27/bombardiert-das-hauptquartier-der-philosophen-koenige-oder/: „Der Kommunismus ist […] kein irdisches Paradies der universellen Gemeinsamkeit, sondern der konkrete und negative Kampf gegen jede Form von Herrschaft und Ausbeutung, keine neue ideale Ordnung; kein Ende der Geschichte. Ich möchte [… in diesem] Sinne einen Satz von Althusser über den Humanismus meinerseits gegen den Universalismus wenden: Althusser sagte, das Wort ‚Humanismus’ tötet den Klassenkampf. Der Universalismus […] tötet ebenfalls den Klassenkampf, tötet feministische Kämpfe, tötet antirassistische Kämpfe. Gesellschaftliche Kämpfe sind Kämpfe zwischen partikularen Interessen; revolutionäre Kämpfe sind Kämpfe, die sich nicht mit einem Kompromiß zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen Ausbeutenden und Ausgebeuteten bescheiden. Und über den kämpfenden partikularen antagonistischen Interessen steht kein Universelles, das die Antagonismen schließlich einer philosophischen Synthese zuführt.“ [zurück]
- Das hieße dann auch, den Feminismus nicht auf dem Stand von 1975 (der Hausarbeitsdebatte einerseits und Shulamith Firestone andererseits) und dem anscheinend zufällig aufgeschnappten (und einseitig im Sinne von neoliberalem gender-mainstreaming verstanden) Begriff gender, um den sich die feministischen Kontroversen seit Mitte der 60er Jahre ranken*, abzukanzeln: „Die aktuellen Erscheinungsformen des Feminismus scheinen uns allerdings für eine Befreiungsperspektive nicht nur vom Kapital, sondern auch vom Patriarchat eher hinderlich als förderlich. Einerseits ein klassenunspezifischer Ultra-Feminismus (Frauen und Männer als ‚Klassen’, zurückgehend auf Shulamith Firestones „Dialectics of Sex“ 1975). Andererseits ein angepasster ‚Staatsfeminismus’ der Gender- / Gleichstellungspolitik.“
Was zumindest zur Kenntnis genommen werden müßte, ist, daß jedenfalls anfangs der Anspruch der Theoretikerinnen des neueren, queeren Feminismus war, aus der double blind-Alternative von biologistischem Differenzfeminismus und reformistischem Gleichheitsfeminismus hinaus zu kommen (vgl. 1 und dazu einleitend: 2 [zum dortigen Text 2.]) – welche Fehler (die dann allerdings konkret aufgezeigt werden müßten, was wiederum Kenntnis des Debattenstandes voraussetzen würde) auch immer schon in der ursprünglichen Theoretisierung dieses Ansatzes vorhanden gewesen sein mögen und welch fehlerhafte, instrumentalistisch-interessierte Auslegung dieser theoretische Ansatz in den politischen und kulturellen Praxen der vergangenen rund 20 Jahren erfahren haben mag (einiges davon erschließen die dort am Ende genannten Texte und die Fußnoten zum ersten Abschnitt des dort genannten Textes; vgl. außerdem noch dort).* Vgl. rückblickend:
Donna Haraway, Geschlecht, Gender, Genre. Sexualpolitik eines Wortes, in: Kornelia Hauser (Hg.), Viele Orte. Überall? Feminismus in Bewegung (FS Frigga Haug), Argument: [West]berlin / Hamburg, 1987, 22 – 41.
dies., Stichwort „Geschlecht“. Abschnitt I., in: Wolfgang Fritz Haug (Hg.), Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus. Bd. 5, Argument: Hamburg, 2001, Sp. 470 – 480.
Linda Nicholson: Was heißt „gender“?, in: Institut für Sozialforschung Frankfurt (Hg.), Geschlechterverhältnisse und Politik, Suhrkamp: Frankfurt am Main 1994, 198 – 220.
Joan W. Scott: Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review, Vol. 91, Nr. 5, Dec. 1985, S. 1053 – 1075; dt. Übersetzung in: Nancy Kaiser (Hg.): Selbst Bewußt. Frauen in den USA, Reclam: Leipzig 1994, 27 – 75. [zurück]
Mal abgesehen von deinem sprachlich ungenauen Begriff des Ausbeutungsverhältnisses: es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Klassenverhältnis und anderen Unterdrückungsverhältnissen.
Das Klassenverhältnis ist ein dichotomes Verhältnis: Es gibt eine Klasse von Menschen, die arbeiten müssen, um zu überleben bzw. auf niedrigstem Niveau zu existieren und es gibt eine Klasse, die nicht arbeiten muss, sondern von der Arbeit der anderen Klasse lebt. Diese Trennung ist im Grunde total.
Die Unterdrückungsverhältnisse, die die Postmoderne jetzt, durchaus begründet, so stark macht, sind in keinster Weise dichtom und sie sind grundlegend anders wie das Klassenverhältnis. Betrachtet man nur ein Verhältnis, beispielsweise das Patriarchat, dann ist hier weder jeder Mann sehr unterdrückend, noch jede Frau unterdrückt, genauso wenig gilt, dass ein Mann nicht unterdrückt ist oder eine Frau nicht andere unterdrückt. Betrachtet man jetzt nicht ein Verhältnis, sondern alle möglichen oder euer Tripple Oppression, dann stellt man fest, dass Subjekte in unzähligen Dimensionen jeweils unterschiedlich zu einander positioniert sind. Es lässt sich also überhaupt keine Aussage mehr treffen, dass eine Frau per se unterdrückter als ein Mann ist.
Für all diese Unterdrückungsverhältnisse gilt, dass sie im Durchschnitt gelten. Im Durchschnitt ist der schwarze Mann schlechter gestellt wie der Weiße, im Durchschnitt ist die Frau schlechter gestellt wie der Mann. Der Klassenwiderspruch ist dem gegenüber aber eben keiner, der im Durchschnitt gilt, sondern einer, der absolut gilt, weil es eben eine ganz andere, keine soziologische Definition ist.
Deine obigen Ausführungen zu mehreren Revolutionen oder revolutionären Subjekten gehen deshalb weit an den Begriffen vorbei. Wenn du dir „mehr Feminismus“ wünschst und damit „mehr Männerfeindlichkeit“ meinst, dann solltest du deine Begriffe und generell deine vulgärmarxistische und voluntaristische Übernahme von Begriffen und Kategorien auf andere Bereiche überdenken.
Die These der strukturellen Gleichrangigkeit wurde von Kulturwissenschaftlern und Soziologen entwickelt, die von Marx so gar nichts verstanden haben und denen es um realpolitische Fragen von Diskriminierung geht. Wenn man einen Einführungskurs Marx hinter sich hat, dann kann man so etwas nicht vertreten. Wie oben ausgeführt, bezeichnet der Klassenwiderspruch etwas grundlegend anderes wie die von der linksliberalen Diskriminierungskritik hervorgebrachten soziologische Kategorien.
Deshalb sei folgendes festgestellt: Der Klassenwiderspruch ist der Hauptwiderspruch des Kapitalismus, weil er der einzige Widerspruch ist, der konstitutiv für diesen ist. Das heißt nicht, dass andere Widersprüche nicht genauso schlimme oder schlimmere Auswirkungen haben. Das ist in erster Linie aber eine moralische Frage und keine marxistische. Es geht bei der Frage des Hauptwiderspruchs aus marxistischer Sicht eben nicht um eine moralische Bewertung, sondern um die Frage, was den Kapitalismus konstituiert und wo deshalb der Ansatzpunkt für seine Überwindung ist. Leider haben die postmodernen Linken und Linksliberalen noch nicht mal diese grundlegendste Frage des Marxismus verstanden, sondern denken „die Marxisten sehen das Klassenverhältnis als Hauptwiderspruch, also meinen sie, dass alle anderen Verhältnisse weniger schlimm sind“, was nur zum Ausdruck bringt, dass sie von Marx noch nicht mal den Klappentext gelesen haben, was bekanntlich selbst Gerhard Schröder für sich reklamiert.
Zum einen gibt es keine marxistischen Politiker, solche nennt man Sozialdemokraten, und zum anderen kann man aus marxistischer Sicht Hausarbeit wunderbar erklären, was auch in der Hausarbeitsdebatte getan wurde, nur halt nicht so, wie es Feministen gerne hätten: Marxisten können halt nicht so einfach interessengeleitet eine leichte körperliche Tätigkeit (ja, es gibt einen Unterschied zwischen dem acht Stunden langen Schleppen von 30 Kilo-Säcken und dem Putzen eines Bades), mit freier Zeiteinteilung, als unglaublich unterdrückerisch bezeichnen, wenn andere Menschen 12 Stunden am Tag im Kohlebergwerk arbeiten. Dieses interessengeleitete Denken ist dem Materialisten fremd und deshalb kann er nicht überall mitgehen, wo die Feministen gerade wieder die schlimmste patriarchale Erscheinung ausgemacht haben.
Beginnen wir mit dem grundlegendesten Punkt:
Ja, aber nicht dies ist der Streitpunkt. Der wahre Streitpunkt ist, ob das Lohnarbeits-Kapital-Verhältnis die einzige Struktur der heute existierenden Gesellschaftsformationen ist oder aber, ob das (hetero)sexistisch-patriarchale Geschlechterverhältnis und das rassistische Verhältnis zwischen Weißen und Schwarzen ebenfalls auf materielle Arbeitsteilungsstrukturen gegründete Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse sind.
Vielleicht ist nicht jeder Mann „sehr unterdrückend“ – wie es auch heute noch ein paar sozialpartnerschaftlich eingestellte Unternehmer gibt. Aber das Patriarchat als gesellschaftliches Verhältnis macht gerade aus, daß Männer von ihm – ganz unabhängig von ihrem individuellen ‚guten‘ oder ‚bösen Willen‘ – profitieren;
genauso wie es Marx über die Kapitalisten sagte: JedeR bleibt Geschöpf gesellschaftlicher Verhältnisse, sosehr er/sie „sich auch subjektiv über sie erheben mag.“
1. Auch, wenn es viele pseudo-marxistische TechnokratInnen gab – was waren Lenin, Luxemburg, Trotzki, Gramsci (bis er durch Inhaftierung aus der aktiven Politik ausscheiden mußte), Mao, wenn nicht große PolitikerInnen?!
2. Gerade wissenschaftlich erklärt haben MarxistInnen die Hausarbeit nicht, aber – qua politischer Intuition – hat Lenin die Hausarbeit ziemlich (von einer Erötertung der Problematik des Produktivitäts-Begriffs sei hier der Einfachheit halber abgesehen) gut beschrieben: „Die Frau bleibt nach wie vor Haussklavin, trotz aller Befreiungsgesetze, denn sie wird erdrückt, erstickt, abgestumpft, erniedrigt von der Kleinarbeit der Hauswirtschaft, die sie an die Küche und an das Kinderzimmer fesselt und sie ihre Schaffenskraft durch eine geradezu barbarisch unproduktive, kleinliche, entnervende, abstumpfende, niederdrückende Arbeit vergeuden lässt.“
Patriarchat und Rassismus – individuelle Diskriminierungen oder gesellschaftliche Strukturen?
Ja, aber was hier verteidigt wird und was in der Debatte zwischen revolutionärem Feminismus und Nebenwiderspruchs-Marxismus auf dem Spiel steht, ist nicht die Frage „linksliberale[r] Diskriminierungskritik“.
Der Streitpunkt ist vielmehr, daß sich der Nebenwiderspruchs-Marxismus mit den Linksliberalen einig ist, daß in Bezug auf das Geschlechterverhältnis und den Rassismus nur Antidiskriminierungspolitik in Betracht kommt (weshalb diese Felder für revolutionäre Politik nur von nachrangiger Bedeutung seien).
Demggü. lautet die Gegenthese revolutionärer Feministinnen und AntirassistInnen, daß es auch auf jenen Feldern nicht nur um individuelle Diskriminierungsakte oder Vorurteile geht, sondern das auch diese Verhältnisse Determinanten der gesellschaftlichen Struktur darstellen:
„Der Feminismus definiert die Unterdrückung der Frauen nicht nur über die individualisierten Handlungen der Männer, sondern als System – das Patriarchat.“ (Jenny Bourne – in dem dort genannten Text, S. 3)
Die „general assumption behind the discussion of present-day patriarchy […] that even if women have been oppressed throughout history, patriarchy today is not simple a historical left-over. The subjection of women is not just the last kind of inequality to be removed, as John Stuart Mill thought, but an integrated part of the structure of present-day society.“
(Drude Dahlerup, Confusing concepts – confusing reality: a theoretical discussion of the patriarchal state, in: A. Showstack Sassoon [Hg.], Women and the State. The shifting boundaries of public and private, London: Unwin Hyman 1987, 93-127 [93, 96]).
Entsprechend schreibt auch Juliet Mitchell*, daß der Begriff Patriarchat verwendet wird, „nicht um die Herrschaft des Vaters zu bezeichnen, sondern die Herrschaft der Männer überhaupt. […], so daß wir sagen können, Feminismus ist die Überzeugung, daß die Unterdrückung der Frau zuallererst dagewesen ist und losgelöst werden kann von jedem spezifischen historischen Kontext.“ (Letzterer – etwas mißverständlich formulierte Halbsatz – meint: also nicht nur ein Nebeneffekt der Klassenverhältnisse im allgemeinen oder sogar nur des Kapitalismus im besonderen ist.)
* Juliet Mitchell, Frauenbefreiung – Frauenbewegung, Ullstein: Frankfurt am Main / [West]berlin / Wien. 1981 (60, 62).
Auch der maßgebliche Szene-Texte zu dem Thema, das 3:1-Papier von Viehmann u.a., machte sich eine ähnliche Definition/These zu eigen („Das lange Zitat über diesem Abschnitt teilt die hier verwendete Definition des Begriffs Patriarchat mit“):
http://www.nadir.org/nadir/initiativ/id-verlag/BuchTexte/DreiZuEins/DreiZuEinsViehmann.html
(Ob die Zitat-Autorin im übrigen ihrem anti-biologistischen Anspruch gerecht geworden ist, kann für die hiesige Diskussion offenbleiben.)
Was für eine Verteidigung des Nebenwiderspruchs-Marxismus also gezeigt werden müßte, ist, daß jener behaupteter „systemische[r] Charakter“ des patriarchalen Geschlechterverhältnisses in Wirklichkeit nicht besteht, sondern Liberale völlig Recht haben, wenn sie bloß von einzelnen individuellen Diskriminierungshandlungen und Vorurteilen sprechen.
Ich muss Dir wirklich widersprechen, kein Marxist würde behaupten, dass das „Lohnarbeits-Kapital-Verhältnis die einzige Struktur der heute existierenden Gesellschaftsformationen ist“, das würde wahrscheinlich auch sonst niemand behaupten. Das Problem manifestiert sich im Wörtchen „Struktur“. Wenn Du von Strukturen sprichst, dann ziehst Du den Marxismus auf eine soziologische Ebene, mit der er nichts zu tun hat. An dieser Stelle, in dieser Unkenntnis des Marxismus, liegt auch das Kernproblem der ganzen Auseinandersetzung mit ihm.
Natürlich lassen sich in allen bisherigen Gesellschaften strukturelle Gewaltverhältnisse in beliebigem Ausmaß finden, ihnen detektivisch nachzuspüren ist bis heute das zentrale Anliegen der Linken. Das ist halt nur nicht der Punkt der Marxisten. Ihnen geht es als Marxisten um die Überwindung des Kapitalismus, um also überhaupt erst die Möglichkeit zu schaffen, gewaltvolle Verhältnisse an sich zu überwinden. You know, „alle Verhältnisse umzuwerfen…“.
Die Frage der Marxisten ist auch nicht Arbeitsteilung oder „materielle Arbeitsteilungsstrukturen“, was auch immer das sein mag, sondern die Überwindung des Kapitalismus.
Der Kapitalismus entstand aus einer Gesellschaft, mit vielfachen Ungleichheitsverhältnissen, die er in sich aufnahm und die beständig genutzt und verändert wurden, um sich Vorteile im kapitalistischen Kampf aller gegen alle zu verschaffen. Linke rennen beständig gegen diese gewandelten und veränderten Ungleichheitsverhältnisse an, Marxisten argumentieren, dass man sie nur in toto beseitigen kann, indem man die Ursache beseitigt.
Das bedeutet natürlich nicht, dass Marxisten nicht auch realpolitische linke oder feministische Argumente vertreten können, nur werden dann daraus keine marxistischen Argumente, sondern es bleiben linke oder feministische aus dem Mund von Marxisten. Insofern waren „Lenin, Luxemburg, Trotzki, Gramsci (bis er durch Inhaftierung aus der aktiven Politik ausscheiden mußte), Mao“ vielleicht „große PolitikerInnen“ und mehr oder weniger Marxisten, sie waren aber keine marxistischen Politiker. Denn dort wo sie Politiker waren, war ihr Handeln links-sozialdemokratisch. Marxistische Politik ist ein Widerspruch in sich.
Und hier kommt eben wieder der Unterschied zwischen den von dir benannten Strukturen und dem Klassenverhältnis zum Tragen. Es profitiert eben nicht jeder Mann vom Patriarchat und es verliert eben nicht jede Frau. Das könnte man für das klassische Patriarchat, wo ein konkreter Patriarch über seine Frauen herrschte, was man fast nur noch in bestimmten islamisch geprägten Gesellschaften findet, sagen. Genauso ist ein in Analogie zum Klassenverhältnis bestimmter Rassismus nur in der Sklavenhaltergesellschaft zu finden. Für die Gesellschaften, über die wir hier reden, sind das strukturelle Verhältnisse, die der Tendenz nach bzw. im Durchschnitt gelten und damit etwas grundlegend anderes wie das Klassenverhältnis.
Die Revolution von der du eben sprachst würde bedeuten, dass Barack Obama auf der Barrikade den weißen Obdachlosen erschießt, weil dieser ihn so krass unterdrückt. Es ist offensichtlich, dass sich hier eine Parallelisierung verbietet.
Wissenschaftlich erklärt haben Marxisten die Hausarbeit in meinen Augen schon, so viel ist da aus marxistischer Perspektive halt nur nicht zu erklären. Marxisten erklären ja auch nicht die „geradezu barbarisch unproduktive, kleinliche, entnervende, abstumpfende, niederdrückende Arbeit“ eines kleinen Selbstständigen gesondert, der seine Schaffenskraft mit dem Übersetzen von Texten vergeudet. Aus marxistischer Perspektive ist Hausarbeit keine so unheimlich spezifische Tätigkeit. Aus einer realpolitisch-feministischen Perspektive natürlich schon und das ist der Grund, warum wir hier darüber reden.
Mal provokativ formuliert, hätten Alice Schwarzer nicht „Der kleine Unterschied“ und Mariarosa Dalla Costa nicht „Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“ geschrieben, dann würden wir uns nicht näher über Hausarbeit austauschen, da es nicht schwer ist sie in die marxsche Systematik einzuordnen, nur ist sie dann halt nicht eine so exponierte Grausamkeit, wie sie Feministen für ihre Argumentation benötigen. Zur Klarstellung, es liegt mir absolut fern den Aufwand und die Anstrengung, die mit Hausarbeit und Kinderaufsicht verbunden sind kleinzureden, als jemand der aber auch schon mal in einer Fabrik mit dem Heben von Auto-Ersatzteilen beschäftigt war, kann ich aber auch keine spezifische Widerwärtigkeit sehen. Alice Schwarzer hat in „Der kleine Unterschied“ ein Beispiel für Hausarbeit gewählt (ich habe das Buch gerade nicht parat, deshalb kann ich es nur aus dem Kopf aufschreiben), wo die Frau eines Bankangestellten bis Mittag mit der Hausarbeit durch ist und sich dann bis zur Ankunft ihres Mannes langweilt. Alice Schwarzer expliziert dieses zur Langeweile verdammte Dasein, dann als Frauen unterdrückend. Ich will nicht zum Ausdruck bringen, dass Hausarbeit etwas Tolles ist, aber man muss doch ein bisschen die Relation waren. Um in Zeiten von Spühl- und Waschmaschinen, von nine-to-five Betreuung der 1,3 Kinder und von Fertigpizza Hausarbeit als etwas zu skizzieren, was kurz hinter Völkermord rangiert, muss man schon sehr interessengeleitet argumentieren. Hausarbeit besitzt sicher ein paar Spezifika, aber im Grunde ist es eine Arbeit wie jede andere auch und sicher nicht die schlimmste.
Was Engels, Lenin und Bebel immerhin wußten:
1. Das patriarchale Geschlechterverhältnis ist nicht nur eine Frage rechtlicher Diskriminierungen
„Die modernen zivilisierten Gesetzsysteme erkennen mehr und mehr an, erstens, daß die Ehe, um gültig zu sein, ein von beiden Teilen freiwillig eingegangner Vertrag sein muß, und zweitens, daß auch während der Ehe beide Teile einander mit gleichen Rechten und Pflichten gegenüberstehn sollen. Seien diese beiden Forderungen aber konsequent durchgeführt, so hätten die Frauen alles, was sie verlangen können. Diese echt juristische Argumentation ist genau dieselbe, womit der radikale republikanische Bourgeois den Proletarier ab- und zur Ruhe verweist. Der Arbeitsvertrag soll ein von beiden Teilen freiwillig eingegangner sein. Aber er gilt als für freiwillig eingegangen, sobald das Gesetz beide Teile auf dem Papier gleichstellt. Die Macht, die die verschiedne Klassenstellung dem einen Teil gibt, der Druck, den sie auf den andern Teil ausübt – die wirkliche ökonomische Stellung beider –, das geht das Gesetz nichts an.“ (MEW 21, 74).
2. Das patriarchale Geschlechterverhältnis ist nicht nur eine Frage des ideologischen Überbaus
Lenins richte 1894 gegen Michailowski Nahelegung, die Kindererzeugung nicht Bestandteil der materiellen Basis sei (LW 1, 141 f.), die ironische Frage: „Wie denn, glaubt Herr Michailowski am Ende, die Verhältnisse bei der Kindererzeugung gehörten zu den ideologischen?“ (143).
(Deren ideologischer [= Überbau] Charakter ist die logische Konsequenz aus Michailowskis, von Lenin kritisierter Verneinung deren materiellen Charakters. Lenins rhetorische Frage läuft also auf ein argumentum ad absurdum gegen Michailowski hinaus, während Lenin selbst die Kindererzeugung in den Begriff der materiellen Basis einschließt.)
3. Es gibt a) einen Interessensgegensatz zwischen Frauen und Männern und folglich hat b) ein interklassistischer Feminismus Berechtigung für die Überwindung des patriarchalen Geschlechterverhältnisses
a)
„Die Frauen dürfen so wenig auf die Hilfe der Männer warten, wie die Arbeiter auf die Hilfe der Bourgeoisie.“ (August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, 1879/1909, 180).
„Es ist derselbe Gedanke, der auch die Arbeiterklasse leitet, auf die Eroberung der politischen Macht ihre Agitation zu richten. Was für die Arbeiterklasse recht ist, kann für die Frauen nicht unrecht sein.“ (ebd., 318).
b)
„Immerhin haben die feindlichen Schwestern weit mehr als die im Klassenkampf gespaltene Männerwelt eine Reihe Berührungspunkt, in denen sie, getrennt marschierend, aber vereint schlagend, den Kampf führen können: Das ist auf allen Gebieten der Fall, auf welchen die Gleichberechtigung der Frauen mit den Männern, auf dem Boden der gegenwärtige Staats- und Gesellschaftsordnung, in Frage kommt: also der Betätigung des Weibes auf allen Gebieten, für die ihre Kräfte und Fähigkeiten reichen, und für die volle zivilrechtliche und politische Gleichberechtigung mit dem Manne. Das sind sehr wichtige und, wie sich zeigen wird, sehr umfangreiche Gebiete.“ (ebd., 29)
Selbst diese Einsichten wurde freilich später von MarxistInnen ‚vergessen‘…
All das, was Du hier so zitierst und ich zu spät gesehen habe, hat wenig bis nichts mit meiner Argumentation zu tun. Du hängst dich zu sehr an dem Begriff der Diskriminierung auf.
Meine Argumentation in aller Kürze lautet:
- Jede auf Konkurrenz basierende Gesellschaft bringt notwendig strukturelle Unterdrückungsverhältnisse hervor.
- Es kann systemimmanent zwar ein Unterdrückungsverhältnis vermindert werden, es entstehen aber neue, andere werden verstärkt… Der linke bzw. linksliberale Kampf gegen diese Unterdrückungsverhältnisse steht dem des Herakles gegen die Hydra in nichts nach. Der Kampf dauerte so lange bis Iolaos das Feuer brachte und auch die Linke wird ihren Kampf bis zum Tage der kommunistischen Revolution führen.
- Erst mit der Überwindung des Kapitalismus werden diese strukturellen Unterdrückungsverhältnisse nach und nach zum Verschwinden zu bringen sein. Da dann die Ursachen, die sie hervorbringen und in der ganzen Menschheitsgeschichte hervorgebracht haben, überwunden sind.
Nein, was ich aufzeige ist, dass Unterdrückungsverhältnisse notwenig zum Kapitalismus gehören. Das heißt, der Kampf gegen ein ausgewähltes Unterdrückungsverhältnis nichts an der Existenz von Unterdrückungsverhältnissen ändert, sondern nur eine soziale Gruppe besser stellt und eine andere schlechter. Was nicht falsch ist, aber auch nur begrenzt richtig. Um Unterdrückungsverhältnisse an sich abzuschaffen, müsste die Gesellschaft eine sein, die frei ist von Konkurrenz, mit anderen Worten, sie müsste kommunistisch sein.
@ Zara, 16. Mai 2011 um 19:26 Uhr:
1. Was sind Strukturen?
Ja, in der Tat.
Meinetwegen. Aber nicht jedes Gewaltverhältnis ist ein strukturelles; und nicht alle Strukturen sind gewaltsam. (So zeichnet sich die kapitalistische Produktionsweise gerade dadurch aus, daß sie nicht in erster Linie mittels Gewalt / ‚persönlicher‘ Herrschaft, sondern mittels freien und gleichen Warentauschs / ’sachlicher‘ Herrschaft funktioniert.)
Eine gesellschaftliche Struktur ist etwas anders als das Gewaltverhältnis zwischen DiebIn und EigentümerIn oder zwischen raufenden SchülerInnen. Im Französischen ist infrastructure die Übersetzung für den marxistischen Begriff Basis und suprastructure für Überbau.
„Strukturen“ sind gerade nicht einzelne, vertreute Phänomene, sondern ein grundlegendes Muster: „Unter Struktur (von lat.: structura = ordentliche Zusammenfügung, Bau, Zusammenhang; bzw. lat.: struere = schichten, zusammenfügen) versteht man das Muster von Systemelementen und ihrer Wirk-Beziehungen (Relationen) untereinander, also die Art und Weise, wie die Elemente eines Systems aufeinander bezogen sind (durch Beziehungen „verbunden“ sind), so dass ein System bzw. Organismus funktioniert (entsteht und sich erhält).“ (dt. Wikipedia, s.v. – Hv. d. TaP).
Strukturen sind in diesem Sinne gerade das Grundlegende – jedenfalls für den Strukturalismus und den strukturalen Marximus (über den wir reden, wenn ich von Dominante der gesellschaftlichen Struktur, vom komplex, gegliederten Ganzen, von Überdeterminierung verschiedener Widersprüche usw. spreche): „Die strukturalistische Methode begreift ihre Objekte nicht als an sich seiend, sondern als Objekte, die kraft ihrer Einordnung in Strukturen überhaupt erst bestehen.“ (dt. Wikipedia, s.v. Strukturalismus).
2. Arbeitsteilungsstrukturen
Und grundlegend sind die gesellschaftlichen Arbeitsteilungsstrukturen.
Ach so, und ich dachte immer „Kapitalismus“ habe etwas mit Klassen und Kommunismus mit Überwindung der Klassen und Klassen etwas mit Arbeitsteilung zu tun – z.B.: Lenin:
Klassen sind „große Menschengruppen, die sich voneinander unterscheiden durch ihren Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion, nach ihrem […] Verhältnis zu den Produktionsmitteln“ (LW 29, 410; engl.).
Was Lenin freilich nicht klar genug gesehen hat: Daß nicht nur das „Verhältnis zu den Produktionsmitteln“ den „Platz in einem geschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion“ bestimmt, sondern daß Rasse und Geschlecht ebensolche ‚Platzanweiser‘ sind (vgl. zur diesbzgl. Argumentation den dort genannten Text).
3. Der Kapitalismus als Angelpunkt für alles andere?
Das, was Du mit dem „also“ als so selbstverständlich voraussetzt, ist aber gerade das Umstrittene – jedenfalls, je nachdem, in welchem Sinne Dein Satz zu verstehen ist.
-- Selbstverständlich läßt sich (abgesehen von den Einwänden, die ich gegen einen so weiten „Gewalt“-Begriff habe, aber das ist hier nicht ausschlaggebend) sagen, daß, solange es noch Kapitalismus gibt, es noch „gewaltvolle Verhältnisse“ gibt.
-- Aber dies erlaubt nicht die Schlußfolgerung, daß die Überwindung aller anderen „gewaltvolle[n] Verhältnisse“ an die Überwindung des Kapitalismus gebunden ist, wie aber die – im Ausgangstext von mir kritisierte – Parole „Keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus“ impliziert.
Ja, aber das heißt weder,
-- daß der Kapitalismus nicht einerseits auch ohne diese vorgefundene „Ungleichheitsverhältnisse“ existieren kann,
noch,
-- daß diese „Ungleichheitsverhältnisse“, sofern deren Überwindung nicht bereits vorher erkämpft wird, automatisch mit der Abschaffung des ebenfalls verschwinden.
Vielmehr spricht der Umstand, daß sie vom Kapitalismus vorgefunden wurden und bloß ‚benutzt‘ und modifiziert werden, gegen diese beiden Annahme – und für die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit eines relativ selbstständigen Kampfes gegen jene „Ungleichheitsverhältnisse“.
Da sie vom Kapitalismus aber bereits vorgefunden wurden, kann dieser nicht deren Ursache sein. Logisch, oder?
Das meinte vielleicht der alte Engels, als er über die bloße „Verwaltung von Sachen“ sprach; Lenin und Mao machten aber – im Gegensatz zu Stalin, der diese technokratische Utopie teilte und verallgemeinerte – das Primat der Politik geltend.
4. Der Mann im Patriarchat
Doch jeder Mann profitiert, ob er es will oder nicht, beispielsweise von gender-Implikationen, die in Qualifikations-, Leistungs- und damit Bezahlungsdefintionen eingehen, von Standards, was für Männer, aber nicht für Frauen normal ist.
5. Hausarbeit
a) Das von Lenin immerhin erkannte Entnervende ist, bspw. daß Staub jeden Tag neu da ist, unabhängig davon, ob Du bspw. etwas gekocht hast (was im Ggs. dazu wischen mit einer außer-häuslichen Produktivitätserfahrung durchaus vergleichbar ist).
b) Und im übrigen ist erklärungsbedürftig, warum Hausarbeit fast ausschließlich an Frauen hängen bleibt. Das wird aber vom Marxismus nicht erklärt – und das muß er auch nicht erklären, solange er sich bescheiden darauf beschränkt, zu beanspruchen, zu erklären, wie die kapitalistische Produktionsweise funktioniert. – Nur ist damit eben noch nicht alles Notwendige gesagt.
Neben den schon genannten, daß sie gegenleistungs-los verausgabt wird (Unterhaltsansprüche sind keine Gegenleistung für Hausarbeit).
@ Zara, 16. Mai 2011 um 20:46 Uhr:
Ja, das mit der privaten Aneignung des Mehrwertes verbundene „Unterdrückungsverhältnis“.
Andere „Unterdrückungsverhältnisse“ werden vom Kapitalismus nicht hervorgebracht, sondern Leute, die in derartigen „Unterdrückungsverhältnissen“ schlecht plaziert sind, haben aus kapitalismus-externen Gründen schlechte Karten im kapitalistischen Konkurrenzkampf. -
Damit sind auch Deine weiteren Sätze, die in der Tat logisch aus der – allerdings unzutreffenden – Hervorbringungs-These hervorgehen, widerlegt.
Das Klassenverhältnis ist ein dichotomes Verhältnis: Es gibt eine Klasse von Menschen, die arbeiten müssen, um zu überleben bzw. auf niedrigstem Niveau zu existieren und es gibt eine Klasse, die nicht arbeiten muss, sondern von der Arbeit der anderen Klasse lebt. Diese Trennung ist im Grunde total.
Da stellt sich mir die Frage: ist dies denn heute überhaupt noch der Fall?
Denn es gibt durchaus eine Vielzahl von Menschen die von der Arbeit durch sie selbst eingestellter Lohnabhängiger lebt, aber dennoch selbst arbeiten müssen um ihre Existens zu sichern.
Auf der anderen Seite gibt es durch Beteilligung an Unternehmen durchaus für viele Menschen die Lohnabhängig sind die Möglichkeit von der Arbeit anderer finanziel zu profitieren.
Letzen Endes gibt es auch kaum noch eine klare Einheit von Produktionsmittel-Besitzenden und Herrschaft-Ausübenden. Siehe Funktionsträger in Unternehmen wie etwa Manager. Oder sind Manager (da „Lohnabhängig“+kein Besitz von Produktionsmitteln) teil der Arbeiterklasse?
Ja, das ist auch noch ein Problem (ganz unabhängig von der „Nebenwiderspruchs“-Diskussion):
Zwar mag es einerseits mehr oder minder hochrangige Angestellte, die ein Gehalt beziehen (entsprechend: Beamte und PolitikerInnen), geben, die aber trotzdem aus Produktionsmittel-Besitz (Aktien) hinreichend Einkommen beziehen, um davon zu leben. Die lassen sich weiterhin ziemlich klar als „herrschende Klasse“ identifizieren.
Áber das „dichotomische“ Weltbild bricht sich in der Tat an den von Dir beschriebenen Faktoren. Bspw. ‚Dank‘ der neoliberalen Kapitalisierung der Rentenversicherung gibt es kaum noch Leute, die ausschließlich Lohn-/Gehalts-Einkommen haben, und nicht irgendwie – und als wie ideologisch auch immer zu kritisieren – an die Kapitalakkumulation gebunden sind.
Das macht kommunistische Agitation auf alle Fälle noch schwieriger als sie früher schon war.
ansonsten zum Thema Hausrabeit lesenswert: http://entdinglichung.wordpress.com/2008/02/29/kapitalismus-und-hausarbeit-betrachtungen-uber-die-reproduktion-als-grundlage-kapitalistischer-geschlechterspaltung/
Banal. Nur als Anmerkung dazu, es gibt unzählige strukturelle Gewaltverhältnisse von denen nur ein sehr geringer Teil überhaupt benannt sind. Die Verhältnisse zwischen Lehrer und Schüler, zwischen Pfleger und Gepflegtem, zwischen psychisch Kranken und den anderen sind alles strukturelle und gewaltvolle Verhältnisse. Welche davon überhaupt einen Begriff erhalten oder gar ins Triple-Oppression-Pantheon aufgenommen werden, hängt nur begrenzt davon ab, was wie schlimm oder wirkmächtig ist, sondern von sozialen Kämpfen, die von Schülern, psychisch Kranken oder Pflegebedürftigen nur einfach nicht so gut geführt werden können.
Man kann also ad infinitum Gewaltverhältnisse entdecken und moralisch anprangern. Das gibt sicher ein gutes Gefühl, grundlegend ändern kann das aber nichts.
Wenn du von etwas sprichst, dann redest Du davon. Der Strukturalismus ist für mich kein primärer Bezugspunkt. Althusser hatte ein paar gute Gedanken, die man weiter ausbauen kann, ich kann mich aber nicht in seinem Gedankengebäude einschließen.
Vielleicht bist du hier einfach nur sehr unsauber mit dem Begriff oder du nimmst ihn so, um im Endeffekt auf etwas anderes hinauszukommen, z. B. auf
Ein Kapitalist, der nicht arbeitet, sondern nur ein mal im Monat auf sein Bankkonto guckt, teilt sich mit niemandem die Arbeit. Natürlich steht er dennoch in einem bestimmten „Verhältnis zu den Produktionsmitteln“, denn sie gehören ihm.
Hier ist wieder das Problem, dass du auf Teufel komm raus dem Marxismus die Analyse anderer Gewaltverhältnisse unterschieben willst und dafür die Begriffe nach Gutdünken biegst.
Noch mal zum Verständnis: Meine These lautet nicht, dass es nicht einen Kapitalismus ohne Frauenunterdrückung oder Rassismus geben könnte. Den könnte es geben. Meine These lautet, dass es keinen Kapitalismus ohne Gewaltverhältnisse geben kann. Die Überwindung einzelner gewaltvollen Verhältnisse (bis auf das Verhältnis Kapital-Arbeit) sind nicht an die Überwindung des Kapitalismus gebunden, die Überwindung von Gewaltverhältnissen an sich schon.
Habe ich auch an keiner Stelle behauptet, das ist deine Projektion. Mit der Überwindung kann der Prozess beginnen, der Gewaltverhältnisse an sich zum Verschwinden bringt.
Die Ursache ist der Kampf und die Konkurrenz um Ressourcen, da es diese auch in den vorkapitalistischen Gesellschaften gab, existierten Gewaltverhältnisse auch schon vorher. Der Kapitalismus ist aber die letzte dieser Konkurrenzgesellschaften, insofern geht seine Überwindung mit der Überwindung der Ursache einher.
Ob jetzt der Staub, die Aktenberge oder die zu übersetzenden Texte jeden Tag wieder da sind ist doch wirklich egal. Es gibt unzählige Jobs, die an Monotonie die Hausarbeit bei weitem übertreffen, die einsam im Büro gefristet werden, die schlecht bezahlt werden usw. Es gibt keinen Aspekt der Hausarbeit, der nicht durch irgendeinen Lohnarbeitsjob locker in den Schatten gestellt würde.
Und dass sie Gegenleistungslos verausgabt wird ist doch absurd. Man füllt doch nicht sein Leben lang eine Tätigkeit aus, ohne eine Gegenleistung zu erhalten.
Du widerlegst meine These, indem du behauptest, dass alle „Unterdrückungsverhältnisse“ außer dem „mit der privaten Aneignung des Mehrwertes verbundene“ kapitalismus-extern sind. Okay, meinst du das ernst? Aktuell vorhandene Unterdrückungsverhältnisse haben also keinerlei Bezug zum aktuellen Schalten und Walten den Kapitalismus?
Im übrigen habe ich von „auf Konkurrenz basierende Gesellschaft“ geschrieben. Da „Kapitalismus“ reinzulesen ist das eine, aber dann zu behaupten irgendwas widerlegt zu haben, nun ja.
So groß ist die Anzahl an Menschen, die vielleicht einen kleinen Handwerksbetrieb besitzen, in dem sie mitarbeiten, dann auch noch nicht. Dein Argument würde durchgehen, wenn die Bourgeoisie heute, anders als vor 150 Jahren fast vollständig aus solchen Kleinstbetrieben bestehen würde. Aber an der quantitativen Größe des Kleinbürgertums, wie auch der des Proletariats oder des Großbürgertums hat sich wenig geändert.
Manager, die arbeiten müssen sind im Grunde Teil des Proletariats. Die entscheidende Trennung ist die Frage, ob jemand von dem Mehrwert (und eine Aktien-Dividende ist nichts anderes als Mehrwert) leben kann oder seine Arbeitskraft verkaufen muss. Es geht also nicht um ein „profitieren an“. Natürlich kann man sich spitzfindig verschiedenste Konstellationen ausdenken, wo das dann nicht in Reinform gilt. Damit musste sich bereits Marx zur Genüge herumschlagen. Diese Spitzfindigkeiten ändern aber nichts an der Tatsache, dass es seit Anbeginn des Kapitalismus nahezu unverändert diese dichotome Trennung gibt. An der Größe des Proletariats und der der Bourgeoisie hat sich quantitativ nichts geändert und, an TaP gerichtet, ein Proletarier mit 20 Telekom-Aktien bleibt natürlich ein Proletarier.
Und es bedarf auch keiner Einheit von Produktionsmittel-Besitzenden und Herrschaft-Ausübenden. Das ist nicht der Punkt.
I. Über Begriffe und Kritik
1. Strukturen
Ja, meinetwegen. Aber wenn Du einen Text von mir kritisierst, dann hast Du zwei sinnvolle Kritikmöglichkeiten:
a) Du kannst mir eine unklare Begriffsverwendung vorwerfen.
oder
b) Du kannst argumentieren, daß die Begriffe, so wie ich sie verwenden, nicht die Wirklichkeit treffen.
Keine sinnvolle Kritikstrategie ist dagegen, meinen Begriffen einen ganz anderen Sinn beizulegen, und dann zu argumentieren, meine Sätze hätten keinen Sinn oder seien falsch oder unzutreffend.
Konkret: Wenn ich mit einem engen Strukturbegriff argumentiere, hat es keinen Sinn mich mit Leuten in einen Topf zu werfen, die einen weiten Strukturbegriff verwenden, und dann statt meiner Argumentation einen weiten Strukturbegriff zu kritisieren. Diese Kritik mag dann richtig sein, widerlegt aber nicht meine Position.
Das gilt logischerweise auch umgekehrt:
2. Konkurrenz
Gut, ist für mich eine etwas überraschende Begriffsverwendung – von „Konkurrenz“ losgelöst von einem (großen) freien Warenmarkt zu sprechen. – Dann war meine erste Kritik jedenfalls nicht treffend.
Neuer Versuch:
In diesem weiten Sinne von „Konkurrenz“ zu sprechen, hört sich für mich allerdings weniger nach Marx als nach einer sozialdarwinistischen Lesart des „Kampfes ums Dasein“ an. Von einer Analyse konkreter Produktionsweisen kommen wir zu einer anthropologischen Geschichtsphilosophie: vom K zum K, von der Konkurrenzgesellschaft zum Kommunismus. – Habe ich Zweifel, ob wir solche eine ‚große Erzählung‘ brauchen.
II. Geschlechterverhältnis und Kapitalverhältnis
1. Struktur-Inflation?
Ja, also: Wie schon in der vorstehenden ‚methodologischen‘ Antwort I. gesagt: Ja, das gibt’s, ist nur nicht meine Position.
a) Ich habe ich weder einen solch weiten Struktur- noch insbesondere Gewaltbegriff.
und
b) Ich denke – im Gegensatz zu einer endlosen Auflistung von immer mehr -ismen – bietet die von mir in Bezug genommene Arbeitsteilung zwischen großen gesellschaftlichen Gruppen ein ziemlich brauchbares Kriterium:
-- Transitorische Hierarchieverhältnisse wie Alter scheiden damit schon mal aus; SchülerIn-LehrerIn würde ich (obwohl gewissermaßen auch eine ‚Arbeitsteilung‘) eben wegen des transitorischen Charakters analog behandeln.
-- Ableism wird sich als Nebeneffekt in erster Linie des Klassenverhältnisses (Verwertbarkeit) fassen lassen; ist also auch keine Dominanten der gesellschaftlichen Struktur.
-- Im Lookism treffen vergeschlechtlichte und rassifizierte Schönheitsideale und Aspekte der (kulturellen) Klassendistinktion und unterschiedliche (ökonomische) Konsummöglichkeiten zusammen; ist also auch kein eigener Widerspruch.
-- Speciesism ist jedenfalls kein gesellschaftlicher Widerspruch, sondern wenn einer zwischen (menschlicher) Gesellschaft und Tieren.
-- Sexualität/Homophobie würde ich nicht neben gender, class und race stellen, sondern mit gender zusammenfassen. (Die Kategorien von Sexualität und Geschlecht ‚erläutern’ sich im herrschenden Diskurs in Termini der jeweils anderen Kategorie [Sedgwick]: Heterosexualität ist das, was Frauen und Männer mit einander machen, und Frauen sind Wesen, die Sex mit Männern haben – Männer Wesen, die Sex mit Frauen haben. Mittels dieser zirkulären Definitionen erlangen Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität und die hierarchisch-komplementäre Geschlechterdifferenz den Status des Selbstverständlichen.)
2. Arbeitsteilung
a) EinE KapitalistIn, der/die einfach nur seinen/ihren Profit auffrißt (und nicht bspw. in irgendwelche Aufsichtsräten sitzt), dürfte schon ziemlich selten sein. Schließlich war der Müßigang des Adels das gemeinsame Feindbild der ehemals noch als „arbeitende Klassen“ zusammengefaßten Klassen Bourgeoisie und Proletariat. – Außerdem: Die einen arbeiten – die anderen arbeiten nicht; das ist doch eine Arbeitsteilung, eine Form der Aufteilung der Arbeit.
b) „dem Marxismus die Analyse anderer Gewaltverhältnisse unterschieben willst und dafür die Begriffe nach Gutdünken biegst“. Nein, das kritisiere ich gerade an dem Versuch, die Hausarbeit werttheoretisch zu fassen. Aber, daß die Arbeitsteilung nicht nur nach Klassen, sondern auch nach Geschlechtern und Rassen strukturiert ist, liegt doch auf der Hand (und nach Schichten innerhalb der Klassen).
3. Kein analytischer und politischer Vorrangig des Klassenkampfes
Okay, wenn wir uns da einig sind – dann sehe ich nun wirklich überhaupt keinen Grund, dem Klassenkampf einen analytischen und/oder politischen Vorrang zu geben.
(Und: Auch eine post-kapitalistische Gesellschaft, selbst in ihrer ‚höheren‘, kommunistische Stufe wird nicht das Paradies auf Erden sein. Auch dort wird es Konflikt und Kämpfe und daher Politik geben [s. oben – Abschnitt 3.]. Und deshalb folgt auch aus dem Hinweis, daß mit einem „Gewaltverhältnis“ nicht alle „Gewaltverhältnisse“ abgeschafft sind, kein durchgreifendes Argument gegen meine Position. Das Ende der Geschichte wird nie geben.)
4. Hausarbeit
Jede neue Akte ist aber ein neuer ‚Fall‘ oder eine Neuentwicklung eines allen ‚Falls‘, und jeder – als solches monotoner – Handgriff am Fließband ist ein Beitrag zu einem neuen Auto, Kühlschrank usw.
Und was ist die Gegenleistung? (Unterhaltungszahlungen sind – wie gesagt („noch mal zu 7.“) – keine Gegenleistung für [Haus]arbeit, sondern an Bedürftigkeit gekoppelt: Eine Hausfrau mit großem eigenem Vermögen hat keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann.)
Vom Ehemann (oder LebenspartnerIn) geliebt zu werden?
5. Kapitalismus-externe „Unterdrückungsverhältnisse“
Ich: „Andere ‚Unterdrückungsverhältnisse‘ werden vom Kapitalismus nicht hervorgebracht, sondern Leute, die in derartigen ‚Unterdrückungsverhältnissen‘ schlecht plaziert sind, haben aus kapitalismus-externen Gründen schlechte Karten im kapitalistischen Konkurrenzkampf.“
Du: „Aktuell vorhandene Unterdrückungsverhältnisse haben also keinerlei Bezug zum aktuellen Schalten und Walten den Kapitalismus?“
Daß die Gründe dieser anderen „Unterdrückungsverhältnisse“ kapitalismus-extern sind, heißt nicht, daß es „keinerlei Bezug“ gibt. Daß sich ein feudales und ein kapitalistisches Patriachat von einander unterscheiden, hatte ich schon geschrieben; genauso, daß sich die verschiedenen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse gegenseitig beeinflussen und modifizieren („Überdeterminierung“).
Zu 1. Du benutzt häufiger Begriffe, die in einem marxistischen Kontext eine bestimmte exakt definierte Bedeutung haben für etwas anderes oder sehr ungenau. Beispiele wären Ausbeutung, Arbeitsteilung oder deine Uminterpretation von Lenins Klassenzitates. Natürlich gehen mir auch mal die Begriffe durcheinander und eine Blog-Diskussion ist keine Doktorarbeit, was ich aber bei deiner Argumentation schwierig finde ist, dass dir die Bedeutungen der Begriffe geläufig sind, du sie aber sehr gewollt umdeutest und aus ihrer ursprünglichen Bedeutung heraushebst um zu bestimmten Argumentationsergebnissen zu kommen.
Das Problem mit dem Strukturbegriff liegt auch darin, dass er so schwammig und beliebig ist. Ich könnte auch nach dieser Diskussion nicht sagen, was du unter einer engen Auslegung verstehst.
Wenn wir darin einig sind, dass Unterdrückungsstrukturen zwar ihre Form im Kapitalismus gewandelt haben, aber schon viel früher entstanden sind, dann stellt sich natürlich sofort die Frage, warum sie entstanden. Und für diese Frage kann es aus materialistischer Perspektive im Grunde nur eine Antwort geben, eben der Kampf um Ressourcen. Xenophobie ist eine Konstante in der Menschheitsgeschichte, weil Fremde immer eine Bedrohung für die eigenen Ressourcen darstellten.
III. Klassenanalyse
1. Die wissenschaftliche Seite des Problems
Emek: „es gibt durchaus eine Vielzahl von Menschen die von der Arbeit durch sie selbst eingestellter Lohnabhängiger lebt, aber dennoch selbst arbeiten müssen um ihre Existens zu sichern.“
Du: „So groß ist die Anzahl an Menschen, die vielleicht einen kleinen Handwerksbetrieb besitzen, in dem sie mitarbeiten, dann auch noch nicht.“
Das betrifft ja nicht nur Handwerksbetriebe, sondern auch viele der neueren Dienstleistungsanbieter. – Jedenfalls scheint es mir wenig wahrscheinlich, daß wirklich von einer Tendenz zur Reduktion auf zwei glasklar geschiedene Grundklassen gesprochen werden kann – was allerdings den Klassen-Begriff nicht falsch macht.
Ja, der bliebt lohnabhängig. Aber das habe ich auch nicht bestritten. Was Emek und ich bestreiten, ist, daß es wirklichkeits-adäquat ist, den Klassengegensatz zwischen Kapital und Lohnarbeit als „dichtomotisch“ zu bezeichnen (was Du eingeführt hast, um einen Unterschied zwischen Kapitalismus und Patriarchat zu behaupten).
Der Klarheit halber noch:
Zu sagen, daß ein Gegensatz nicht dichotomisch ist, heißt nicht zu sagen, daß er nicht existiert. Daß wir es beim Unterschied zwischen Lohnabhängigen und Bourgeoisie nicht mit einem Schwarz-Weiß-Gegensatz zu tun haben, heißt nicht, daß er nicht existiert. Auch Graustufen-Unterscheidungen sind sinnvolle Unterscheidungen.
2. Die politische Seite des Problems
Und im übrigen: Während sich emek auf die analytische Seite des Problems konzentrierte, hatte ich auf das propagandistische Problem fokussiert: „Das macht kommunistische Agitation auf alle Fälle noch schwieriger als sie früher schon war.“
Der Typ, dessen 20 Telekom-Aktien an Wert verlieren, sagt nämlich nicht: ‚Wie toll, jetzt geht’s aber mal endlich los mit dem dichtomotischen Klassenkampf gegen das Kapital.“, sondern der macht sich zunächst einmal Sorgen.
Und das macht den Kapitalismus unheimlich stark, und damit müssen wir uns sowohl in der wissenschaftlichen Analyse als auch in der politischen Propaganda auseinandersetzen. – Und da in der Manier von irgendwelchen 68er-Studies anzukommen, und dem Typen mit den Telekom-Aktien zu erzählen, daß er aber ein „falsches Bewußtsein“ habe, wenn er sich um den Wert seiner Aktien sorgt, bringt gar nichts – außer vielleicht einen proletarischen Schlag aufs Maul.
Aber das ist doch ein beliebig gewähltes Kriterium. Selbst wenn die Arbeitsteilung komplett überwunden wäre, dann wären doch damit nicht die Gewaltverhältnisse beendet. Patriarchat ist eben mehr als die Verteilung der Hausarbeit. Auch kann die Arbeitsteilung zwischen großen gesellschaftlichen Gruppen durchaus sinnvoll sein. Akademiker versus Nicht-Akademiker, Schwere Arbeit tendenziell Männerarbeit, weil Männer tendenziell kräftiger sind…
Wenn man schon Realpolitik betreibt, dann wäre es schon plausibler zu fragen, was ist wie schlimm für die Menschen. Und solange Menschen an Hunger sterben ist für mir die Aufteilung der Hausarbeit nicht ganz so relevant. Folglich halte ich hier den weiten Strukturbegriff für diese Fragestellung für plausibler. Nur ist es halt nicht meine Fragestellung.
Wenn wir einen Kuchen vor uns haben und ich esse ihn, habe ich dann irgendetwas geteilt? Der Punkt ist auch nicht, ob der Firmenbesitzer die Firma auch noch quasi als Hobby leitet. Es ist vollkommen egal, ob er das tut oder einen Geschäftsführer bestellt. Der Punkt ist, dass er das nicht tun muss, sondern vom Mehrwert, den seine Angestellten produzieren lebt.
Mit dem Begriff der Arbeitsteilung kommst du hier nicht weiter. Ich verstehe schon, dass du ihn so brauchst, um die Analogie zur geschlechtlichen Arbeitsteilung herzustellen, nur bringst du damit Dinge mit viel Gewalt zusammen, die sich nicht so simpel zusammenbringen lassen.
Wo biegt denn die Werttheorie Begriffe, nur weil sie dem soziologisch interessierten nicht erklärt, warum sie vor allem von Frauen geleistet wird? Was aber halt einfach nicht die Frage ist, auf die sie eine Antwort geben möchte. Oder was meinst du genau?
Die Arbeitsteilung ist aber in Bezug auf Rasse oder Geschlecht wieder nur eine Tendenz, d. h. es ist nicht unmöglich, dass ein türkischer Migrant Deutsche Bank-Vorstandsvorsitzender wird, es ist nur weniger wahrscheinlich, weil wir eben in rassistischen Verhältnissen leben. Die tendenzielle Teilung ist aber wie schon ausgeführt, etwas gänzlich anderes, wie das Arbeit-Kapital-Verhältnis und mit dem obigen Zitat wollte ich die von dir vorgenommene Parallelisierung dieser Verhältnisse kritisieren und nicht in Frage stellen, dass es eine tendenzielle Arbeitsteilung gibt.
Das verstehe ich nicht. Ich habe zwei Optionen, ich kann mich darum kümmern, dass eine bestimmte soziale Gruppe weniger oder nicht mehr unterdrückt wird oder darum, dass alle Menschen nicht mehr unterdrückt werden. Ersteres bedeutet Triple oppression-Kämpfe, zweiteres „Klassenkampf“ (wobei ich den Begriff schwierig finde, da die meisten etwas damit verbinden, was ich nicht meine. Mir fehlt aber zur Zeit noch eine Antwort auf die Frage, wie die Überwindung des Kapitalismus geschafft werden kann)
Das wäre zu diskutieren, ich strebe ja auch nur das Ende der Vorgeschichte an ;-). Wie gesagt, ich würde die Abschaffung der Gewaltverhältnisse in einer kommunistischen Gesellschaft als einen Prozess fassen, in dem sie permanent geringer werden, also gegen 0 konvergieren. Das sie wahrscheinlich nie restlos verschwinden mag sein, aber ich gehe scho davon aus, dass sie so weit verringert werden, dass es keiner Kämpfe mehr bedarf, sondern die Menschen es vernünftig unter sich regeln können und damit auch Politik nicht mehr existieren wird.
Ja, und? Aber den entfremdeten Arbeiter kann es doch schnuppe sein, ob er für den Mülleimer, für ein altes oder ein neues Auto produziert. Bei einem Autozulieferer weißt du doch gar nicht, ob der Kolben später in einem VW oder einem Audi landet. Hier ist doch die Hausarbeit viel weniger entfremdet, viel selbstbestimmter (was mache ich wann, was mache ich wie, was für Arbeitsgeräte kaufe ich dafür), viel unbeaufsichtiger und damit entspannter (man kann sich auch mal einen Vormittag frei nehmen, am Fließband kann man das keine 15 Sekunden) und befriedigender (man sieht, was man geschafft hat) als die Fließbandarbeit. Dass es dennoch ein Scheißjob ist, stelle ich nicht in Frage, nur muss man schon ein großes Interesse haben, um sie als widerwärtiger wie die Fließbandarbeit zu beschreiben.
TaP, lege mal kurz deine juristische Brille ab. Die Geldaufteilung zwischen Ehepartnern ist doch keine juristische Frage, wo der Mann der Frau vorrechnet, dass sie nach dem und dem BGH-Urteil so und so viel Geld zu bekommen hat. Welche Frau mit großem Vermögen schmeißt denn für ihren armen Gatten den Haushalt? Ist es ernsthaft strittig, dass sie Geld zur Verfügung gestellt bekommt? Ist es ernsthaft strittig, dass sich doch keine Frau auf die Hausarbeit einlassen würde, wenn das zur Verfügung gestellte Geld ihr nicht ein ganz bekömmliches Auskommen und die Erfüllung verschiedenster Bedürfnisse ermöglichen würde? Wir leben doch nicht 1950, wo du noch etwas mehr Recht mit deinen Argumenten gehabt hättest.
Ich glaube, dass das vor allem ein Begriffsproblem ist. Mit „hervorbringen“ meine ich, dass auf struktureller oder individueller Ebene Differenzen zwischen Menschen markiert und benannt werden, um sie auszunutzen. Dass dies passiert ist Folge kapitalistischer Konkurrenz, Unterdrückungsverhältnisse sind also nichts Kapitalismus-externes, sondern werden aus den kapitalistischen Verhältnissen hervorgebracht. Eine Gesellschaft, in der jedes Bedürfnis befriedigt wird, bedarf nicht mehr der Abwertung des Anderen, da es keinen Vorteil bringen würde.
Die Gesellschaft lässt sich in zwei dichotome Klassen aufteilen. Die Klasse derer, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen und die, die von vorhandenem Geld oder dem Mehrwert ihre Bedürfnisse befriedigen können. Ich muss vielleicht hier noch genauer sein: Ich beziehe mich marxistisch auf die dichotome Trennung zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Ich meine nicht, eine dichotome Aufteilung der ganzen Gesellschaft, sondern nur, dass die Trennung zwischen denen die Arbeitskraft verkaufen müssen und denen, die vom Mehrwert leben können trennscharf ist. Die Definition ist einfach genau so dichotom gewählt.
Dass es darüber hinaus auch noch das Kleinbürgertum, mit dem mitarbeitenden Besitzer, Bauern oder Menschen, die ihren Beruf als Hobby betreiben gibt stimmt ja alles, nur soll diese Definition ja eben nicht soziologisch jede gesellscftliche Schicht beschreiben, sondern das konstitutive Element des Kapitalismus erfassen.
PS. Kommunistische Agitation ist nicht mein point of view.
„Und für diese Frage kann es aus materialistischer Perspektive im Grunde nur eine Antwort geben, eben der Kampf um Ressourcen. Xenophobie ist eine Konstante in der Menschheitsgeschichte, weil Fremde immer eine Bedrohung für die eigenen Ressourcen darstellten.“
Hier würde ich gerne außer der materialistischen Perspektive die du ja bereits benannt hast noch eine weitere hinzufügen.
Denn Xenophobie, wird zwar durch Konkurrenz (insbesondere im Kapitalismus) gefördert, jedoch entsteht sie nicht aus ihr heraus, zumindest erscheint mir dies nicht vollkommen schlüssig.
Xenophobie und Diskriominierung jeglicher Art, ob Rassismus, Homophobie oder auch Sexismus ist letztendlich ein Produkt von Gruppenzugehörigkeiten, welche vom Kollektiv definiert werden und in die Einzelpersonen sozialisiert werden.
Wenn ich Mitglied einer sozialen Gruppe bin, welche für mich die „In-group“ darstellt, so werte ich meine eigene Gruppe auf, ich sehe positive Seiten, übersehe negative und da ich Teil dieser Gruppe bin werde ich mich hüten meine In-group schlecht zu machen da es gleichzeitig ein Angriff auf einen Teil meiner Identität, meines Selbst wäre.
Das kann man bei sämtlichen Gruppen Beobachten von der „Igelgruppe“ im Kindergarten bis zur Einsatzhundertschaft. Konkurrenz facht dieses Verhalten natürlicherweise ungemein an, erzeugt es jedoch nicht und muss nichtmal vorhanden sein, um derartige Identifizierungsprozesse herzustellen.
Wenn ich weiss, männlich, christlich, hetero bin und jemandem begegne (bei der ersten Begegnung natürlich aus der Distanz) der nicht Teil meiner Gruppe ist, dann merke ich als allererstes: Der ist nicht wie ich. Wenn man bereits sehen kann dass die Person gegenüber kein Teil der eigenen Gruppe ist geschieht dies schnell, wenn man es später herausfindet, beispielsweise durch ein Outing dann tritt der Effekt erst ein nachdem man erfahren hat, dass die Person zu einer Out-group gehört.
Überhöhung der eigenen Gruppe wirkt gegenüber anderen Gruppen dementsprechend negativ und führt zu einer Abwertung dieser, dafür gibt es ja genug Alltags-Beispiele.
Je stärker die Identifikation mit der eigenen Gruppe (Nation, Geschlecht etc.) desto stärker auch die Effekte von Überhöhung und Abwertung.
Natürlich kann man sich von diesen Mustern in jeder Phase seines Lebens emanzipieren.
Konkurrenz ist denke ich jedoch eher Katalysator als Ursache.
„Aber das habe ich auch nicht bestritten. Was Emek und ich bestreiten, ist, daß es wirklichkeits-adäquat ist, den Klassengegensatz zwischen Kapital und Lohnarbeit als „dichtomotisch“ zu bezeichnen“
An der Definition was Proletarier und was Bougeois ist ändert das übrigens nichts.
Wenn jemand Anteile beispielsweise über Aktien an Produktionsmitteln hat und dadurch finanzielles Plus aber dennoch lohnabhängig ist dann ist er natürlich trotzdem Proletarier,denn nur von den Aktien könnte er nicht Leben und ausgebeutet bleibt er.
Wenn jemand genug Kapital hat, um davon zu Leben, ist er Bourgeois, auch wenn dieser jemand Lohnarbeit nachgeht, obwohl er es nicht müsste (beispielsweise Spitzenmanager).
Wenn dies nicht auf die Definition zutrifft, so denke ich dass die Begriffe tatsächlich nicht mehr sinnig auf heutige Verhältnisse anzuwenden sind.
(Was wie gesagt nichts an der Definition ändert.)
Der Besitz von Produktionsmitteln ist noch komplizierter, denn nicht einmal mehr der Vorstandschef eines Unternehmens ist im Besitz der Produktionsmittel außer über Aktienanteile, wie alle anderen Teilhaber auch.
Dazu kommt der Aspekt, dass Anleger und Teilhaber heutzutage zunehmend von den Unternehmen deren Anteile sie besitzen entfremdet sind (auch dadurch dass der Besitz der Aktien ständig wechselt), es sei denn sie haben direkten Einfluss auf das Unternehmen (welchen sie heute nur über eine hohen Posten im Unternehmen, also letztendlich als Lohnabhängige ausüben können).
@ Zara:
Technische Zwischenbemerkung: Mir ist nicht klar, warum Deine Kommentare z.Z. erst in der Moderationsschleife laden.
Hallo ekmek
Ich finde deine Argumentation bezüglich der Frage, wie Gruppen und die Abgrenzung zu anderen Gruppen funktionieren, vollkommen richtig. Du machst aber in meinen Augen einen Fehler, indem du Gruppen oder Kollektive als a priori gegeben setzt. Gruppen sind in deiner Argumentation irgendwie immer schon da und quasi Selbstzweck. Die materialistische Wendung, die Marx gegen Hegels Idealismus ins Feld führte, ist gerade das Pochen darauf, dass diese Kollektive eben nicht Manifestation einer Idee oder des Weltgeistes sind, sondern sich aus den materiellen Verhältnissen ergeben. Jedes Kollektiv vom Wolfsrudel, über die Mammutjäger, den bürgerlichen Staat bis hin zur Ehe lässt sich unschwer auf seinen Vorteil im Kampf um Ressourcen zurückführen. Diese große Erzählung, die TaP so ungerne liest, ist das materialistische Denken.
Deshalb ist zwar deine Agumentation stringent, nur setzt sie einen Schritt zu spät an. Nämlich schon beim existierenden Kollektiv. Meine Argumentation setzt aber bereits bei der Entstehung eines Kollektivs ein.
Das stimmt ja alles und das ist sicherlich ein Problem für TaPs „kommunistische Agitation“, weil Kapitalismus nicht mehr simpel personifiziert im Fabrikbesitzer daher spaziert kommt, nur ändert das doch nichts an der Richtigkeit einer Definition. Für die Frage, ob eine Definition zutrifft, ist es unerheblich, ob man das, was sie definiert einfach fassen kann.
Ich finde den Einwand, daß ekmek quasi ‚zu spät‘ einsetze, das Funktionieren der Gruppen, aber nicht deren Entstehung erkläre, richtig. „Kampf um Ressourcen“ ist aber m.E. weiterhin nicht die zutreffende Antwort auf die richtige Frage. Und es scheint mir auch keine „materialistisch“ Antwort auf gesellschaftswissenschaftlichem Felde, also keine marxistische Antwort, zu sein; vielmehr bleibe ich bei meinem Verdacht, daß wir es hier mit einem problematischen Fall von ‚Interdisziplinarität‘ mit sozialdarwinistischen Implikationen zu tun haben.
Mein Antwortvorschlag lautet: Große, gesellschaftsstrukturell relevante Gruppen entstehen aus der Verfestigung spontaner (in Marx‘ Sprache: naturwüchsiger, nicht: natürlicher!) Arbeitsteilung. Das schaffe ich aber erst in den nächsten Tagen auszuformulieren (heute erst einmal Vortrag um 19:30 h: „Über die Probleme des juristischen Politisierens und der politizistischen Juristerei. Zu den sog. ‚politischen Beweisanträgen‘ im Berliner mg-Prozeß“).
Und ich werde dafür wahrscheinlich auch einen neuen Beitrag schreiben, denn mir scheint, daß sich unsere Diskussion über die Entstehung von Herrschaft und Ausbeutung ziemlich weit von dem Ausgangspunkt, dem Vorschlag der Gründung einer Neuen Antikapitalistischen – oder: Revolutionären – Organisation entfernt.
Eine solche Organisation braucht keine umfassende, gemeinsame Geschichstheorie oder -philosophie, sondern eine gemeinsame Vorstellung davon, welche Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse heute existieren, wie sie funktionieren und wie sie überwunden werden können.
Deshalb würde ich die hiesige Debatte ganz gerne etwas in die – von Zara nicht sonderlich geschätzte – Richtung der Realpolitik, die hier keine ‚Real‘politik, sondern reale Politik ist, verschieben – wozu dann allerdings auch diese von Zara angesprochene Frage gehören würden:
Wie die Überwindung des Kapitalismus (Patriarchats, Rassismus) geschafft werden soll – auf diese Frage bräuchte eine solche Organisation in der Tat eine – weitgehend gemeinsame – Antwort.
Ach,
und im übrigen, der ‚Vorlauf‘ zur hiesigen theoretischen Diskussion ist dort zusammengestellt:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/17/diskussion-ueber-antidiskriminierungspolitik-revolutionaerem-feminsmus-und-nebenwiderspruchs-marxismus/
Du bist ebenso wie ekmek schon einen Schritt weiter. Warum kam es überhaupt zur Arbeitsteilung? Warum hat sie sich verfestigt? Warum war man Fremden gegenüber vorsichtig oder feindlich gesinnt? Die Antwort darauf lautet, weil es ihnen Vorteile brachte. Ob man das jetzt sozialdarwinistisch liest und behauptet, dass die Gruppen, die die Hochschwangeren mit auf die Jagd genommen haben ausgestorben sind oder ob man den Menschen dieser Zeit die Erkenntnis zutraut, dass jemand, der im achten Monat schwanger ist, sich nicht so schnell bewegen kann, ist für meine These egal.
Die naturwüchsige Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern entwickelte sich halt nicht spontan oder beliebig, sondern, nach meiner These, und ich weiß nicht, ob Marx das auch so fasste, aus gerade dieser Differenz zwischen Mann und Frau. Hier die Männer, die immer zur Jagd gehen konnten, dort die Frauen, die sich mehrere Monate im Jahr nur eingeschränkt an der Jagd beteiligen konnten. Dass sich dann aus der Arbeitsteilung Klassen und manche deiner „großen, gesellschaftsstrukturell relevante Gruppen“ entwickelten, stell ich nicht in Frage, da hat Marx einiges zu geschrieben. Mir geht es nur um den Punkt davor, um die Ursache und die kann ich materialistisch nur aus dem Kampf um Ressourcen herleiten.
L.nsentrug erwähnt die hiesige Diskussion lobend: „erhellend“ und „spannend“.
http://linsentrug.blogsport.de/2011/05/18/ohne-vernuenftigen-kartoffelsalat-kein-richtiger-arbeiterstaat/
@ Entdinglichung (17.05.2011; 11:59 h):
Ich bin immer noch nicht zum Lesen des dokumementierten Textes gekommen – aber immerhin mal kurz zur Vorbemerkung:
Ich gehe meinerseits auch nicht von einer „Getrenntheit patriarchaler beziehungsweise kapitalistischer (wie auch anderer) Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse“ aus (Hv. d. TaP) – von einer „tendenziell[en …] Getrenntheit“ (Hv. d. TaP) allerdings schon.
Oder genauer gesagt: Die verschiedenen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse sind analytisch zu unterscheiden, weil sie nach unterschiedlichen ‚Logiken‘ funktionieren. Aber: Mal abgesehen von der Ur-Kommunismus-Hypothese, in der bisherigen realen Geschichte dürften immer mehrere Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse gleichzeitig bestanden und sich gegenseitig beeinflußt und modifiziert haben.
Oder wie ich im vergangenen Jahr, stärker auf die politischen Konsequenzen fokussierend – im Rahmen der Butler/CSD/Rassismus-Diskussion – beim Mädchenblog geschrieben hatte:
„Ich würde sagen, hypothetisch kann es eine Gesellschaft geben, die kapitalistisch ist, ohne sexistisch und ohne rassistisch zu sein. Die kapitalistische ‚Logik‘ ist als solche indifferent gegenüber den Geschlechtern und Rassen.
Sie ist historisch kontingent mit Patriarchat und weißen Rassismus verbunden; genauso kontingent könnte sie auch mit umgekehrten Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen oder eben auch mit der Auflösung dieser Verhältnisse verbunden sein. [….].
Eine ganz andere Frage wäre es, ob es in Anbetracht der (historisch kontingent) gegebenen Verpflechtung der verschiedenen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse faktisch möglich ist, sie unabhängig von einander wirklich erfolgreich zu bekämpfen.
Da bin ich skeptisch, ohne das endgültig ausschließen zu wollen. […].
Rassismus und Sexismus sind m.E. keine Folgen der kapitalistischen Produktionsweise.
Notwendige (i.S.v. logisch erforderliche) Voraussetzungen der kap. PW sind sie aber auch nicht.
Vielmehr handelt es um daneben bestehende Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse, die sich gegenseitig modifizieren, häufig gegenseitig stabilisieren – vielleicht aber auch gegenseitig destabilisieren können.“ (fett-Setzung hinzugefügt).
Und:
„Rassismus und Sexismus hängen nicht vom gesellschaftlichen Verhältnis ‚Kapitalismus‘ ab. Aber sie sind selbst gesellschaftliche Verhältnisse, und in dem Sinne ’sozial konstruiert‘, d.h. weder naturgegeben noch notwendigerweise ewig (omnihistorisch).“
Der oben stehende Artikel wurde im übrigen am 18.5. auch von scharf-links veröffentlicht.
Noch zwei Stellungnahmen zu dem hier diskutierten Papier/Thema:
http://entdinglichung.wordpress.com/2011/05/17/hinweis-auf-einen-debattenbeitrag-zu-neue-antikapitalistische-organisation-na-endlich-woruber-mussen-wir-uns-verstandigen-und-woruber-nicht/#comment-3147
http://entdinglichung.wordpress.com/2011/05/17/hinweis-auf-einen-debattenbeitrag-zu-neue-antikapitalistische-organisation-na-endlich-woruber-mussen-wir-uns-verstandigen-und-woruber-nicht/#comment-3150
Und noch zwei weitere Kommentare zur Debatte bei Entdinglichung:
-- von mir
und
-- von Entdinglichung selbst.
Anscheinend nicht die Bildung einer neuen antilkapitalistischen Organisation, aber eines antikapitalistischen Netzwerkes wird von der Sozialistischen Kooperation vorgeschlagen:
(http://www.sozialistische-kooperation.de/soko_faq/soko_faq_antikap_netzwerk.pdf, S. 2 f.)