Versuch einer Aktualisierung der „Feministische[n] Kritik“ von 1993
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Ich dokumentierte hier kürzlich eine „Feministische Kritik“ an der sog. Neuen Politik der RAF seit 1992, die schließlich in nichts anderes als den Zerfall des Gefangenen-Kollektivs und der Selbstauflösung der RAF mündete. Von Neuer Politik keine Spur. Kapitulation auf der einen Seite. Und Hilflosigkeit auf der anderen Seite des antiimperialistischen Spektrums.
(„Antiimperialistischer Widerstand“ oder kurz „Antiimps“ bedeutete im damaligen linken Sprachgebrauch noch nicht [oder jedenfalls nicht in erster Linie] – wie heute zumeist – Orientierung an reaktionären trikontinentalen Regimen und Bewegungen, sondern eine gewisse Affinität zum Versuch der RAF und anderer westeuropäischer Guerillagruppen eine „antiimperialistische Front in Westeuropa“ aufbauen. Ich kam mit dieser Szene 1989, während des letzten großen Hungerstreiks der Gefangenen aus der RAF in losen, distanzierten Kontakt, als sich diese Orientierung schon in einer, nun auch von den AkteurInnen selbst als solche erlebten Krise befand.)
Leserin Bäumchen postete zu dem dokumentierten Text von 1993 folgenden Kommentar:
„Vielen Dank! Die Zivilisationstheorie von Norbert Elias könnte erklären, warum mir der Text zu Anfang sehr unangenehm erschien; Gewalt ist verpönt heutzutage und monopolosiert, Zwänge internalisiert; der Mensch zivilisiert. Deswegen würde es mich interessieren, wie du zu diesem Text stehst und welche Schlüsse du daraus für dich oder für den Feminismus ziehst.
Liebe Grüße!“
Auch, wenn ich nicht in der Lage bin, das bekundete Interesse („wie du zu diesem Text stehst und welche Schlüsse du daraus für dich oder für den Feminismus ziehst“) wirklich systematisch zu beantworten, sprengt doch auch schon ein dahingehender Versuch jede vertretbare Kommentar-Länge, sodaß ich daraus hier einen neuen Beitrag mache. Aufgeworfen ist damit nicht weniger als die Frage nach den Perspektiven revolutionärer Politik und eines revolutionären Feminismus – und damit zunächst einmal das Problem, diese überhaupt – und sei es auch nur intellektuell – zu rekonstruieren.
I. Zur Hauptthese des Textes
Bäumchen schreibt, daß ihr der Text zunächst unangenehm erschien – und zwar vielleicht deshalb, weil dort Gewalt – anders als zumeist – nicht verpönt ist. In der Tat, die – unabhängig von der damaligen Diskussion über die RAF – grundlegende These des Textes lautet:
„in einer gesellschaft, in der weltweit frauen und mädchen aufgrund patriarchaler machtordnung unterdrückt werden, vergewaltigt werden, ihre gefühle, ihre kreativität, ihre körper, ihre phantasie, ihre lust, ihre arbeitskraft, ihre intelligenz, ihr wissen ausgebeutet werden, in der frauen eine unterstellte, eine kolonisierte soziale klasse sind, haben frauen individuell und kollektiv die berechtigung, mit jedem mittel gegen das system ihrer unterdrückung und gegen jeden einzelnen unterdrücker vorzugehen!“
Ich kann die Schwierigkeiten von Bäumchen mit dieser klaren Ansage verstehen, denn ich habe es meinerseits bisher nicht einmal bis zu einem Steinwurf auf einer Demo gebracht.
Eine ernsthafte Diskussion über Gewalt zu führen, wie dies in der feministischen Kritik von 1993 gemacht wurde, setzt allerdings vieles voraus – vieles, was auch für diejenigen an linker und feministischer Politik Beteiligten wichtig ist, die nicht gerne Steine werfen, Mollis basteln oder mit Kalaschnikows raumlaufen.
Der Text von 1993 artikulierte noch eine Einsicht, die heute selbst viele, die ab und an mal bei Demos Steine schmeißen, nicht mehr haben (und die sich statt dessen auf Kindereien wie, „Die Bullen haben doch aber zuerst angefangen.“, stützen) – nämlich die Einsicht, daß ‚wir’ (ich weiß, dieses ‚wir’ existiert heute nicht; und es existierte auch 1993 nicht wirklich) irgendwann diejenigen sein müssen, die ‚anfangen’ müßten, wenn es uns denn die Bullen nicht abnehmen würden. Revolutionäre Politik ist nicht nur Selbstverteidigung; wir müssen mit dem Rücken von der Wand wegkommen, gegen die uns der staatliche, massenmediale und auch von vielen Linken mit einem undifferenzierten und extensiven Gewalt-‚Begriff’ betriebene (Anti-)Gewalt-Diskurs drängt – das ist die These der Feministischen Kritik:
„feminismus ist nicht nur selbstverteidigung mit dem rücken zur wand und dem grauen im herzen. feminismus ist nicht allein der gesellschaftliche rückzug in frauengemeinschaften. das empören gegen ungerechtigkeit, die wut im bauch, die theorie von unterdrückung und veränderung. feminismus ist mehr als die reaktion auf politische umstände oder materielle bedingungen. feminismus ist das bewußtsein, nicht nur von ursachen der unterdrückung, sondern auch von bedingungen, notwendigkeiten, möglichkeiten der veränderung.“
Entsprechend war auch Karl Marx der Ansicht:
„Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.“ (Das Kapital. Bd. 1, 24. Kap., 6. Genesis des industriellen Kapitalisten; MEW 23, 779).
Und Mao Tse-Tung sagte:
„Für alles Reaktionäre gilt, daß es nicht fällt, wenn man es nicht niederschlägt.“ (Ausgewählte Werke. Bd. IV, 7-23 [17]).
II. Zum damaligen politischen Kontext und den Verschiebungen, die bis heute eingetreten sind
1. Im Kontext der vorgenannten, in den 70er- und 80er-Jahren auch von vielen Feministinnen geteilten Ansicht, gab es auch Anfang der 1990er Jahre noch ganz andere feministische Strukturen als heute. (mehr…)