- Aus aktuellem Anlaß (Klopfzeichen – 06.11.2010; 2:35 h; TaP – 06.11.2010; 10:58 h) noch mal ein paar Argumente aus der BDSM-Debatte beim Mädchenblog im vergangenen Jahr (1, 2, 3) -
„Geschmack“ ist nichts anderes als die Nicht-Reflexion unserer Handlungen
Zu Freejazz, „richtig durchficken“ und noch einmal Weißwein und Rot
@ earendil – 26. Oktober 2009 um 2:50 Uhr
„Geschmackliche Präferenzen lassen sich aber so gut wie nicht durch Überzeugungen ändern! Du, ich bin davon überzeugt, dass Herrschaft, Unterwerfung, Gewalt und Folter scheiße sind – weil ich mir irgendwann mal Argumente dagegen hab einleuchten lassen. Das hat aber
nullkommanichts daran geändert, dass ich unter bestimmten Umständen diese Sachen geil finde!“
Ja, Du bist außer-sexuell gegen Herrschaft, Unterwerfung, Gewalt und Folter – sagst Du jedenfalls (mehr weiß ich ja nicht).
Aber der Punkt ist: Du hast Dich nicht überzeugen lassen, daß außer-sexuelle Herrschaft usw. und sexuelle Herrschaft usw. etwas mit einander zu tun haben.
Würdest Du das einsehen, und wäre es Dir mit der von Dir beanspruchten politischen Haltung ernst, dann würdest Du auch Deinen sexuellen Geschmack in Frage stellen. – Vielleicht nicht von heute auf morgen ändern (können) – aber Du würdest anfangen, ihn in Frage zu stellen.
Zu sagen, ‚das ist aber einfach mein Geschmack‘, ist nichts anderes als eine Sperre gegen diese Reflexion, gegen eine solche Infragestellung.
@ bigmouth – 25. Oktober 2009 um 18:33 Uhr
„einem eingefleischten klassikhörer kann ich free jazz oder death metal oder oder oder… vorspielen, bis der kotzt – wahrscheinlich findet der das auch nach dem 20. mal hören nicht supergeil. man kann sich nicht zwingen, sachen zu mögen oder nicht zu mögen. man kann sie nur häufig genug ausprobieren, um zu einem urteil gekommn zu sein“
@ n.n. – 25. Oktober 2009 um 18:21 Uhr
„Du kannst ja gerne mal versuchen jemanden so richtig durchzuficken, und „uns“ dann erzählen wie geil das für dich war.“
@ earendil – 26. Oktober 2009 um 2:50 Uhr
„Geschmackliche Präferenzen lassen sich aber so gut wie nicht durch Überzeugungen ändern!“
1.
Das Unbekannte einfach mal vorspielen, einfach mal machen / ausprobieren – das kann etwas bringen.
Das Nicht-Gemochte einfach vorspielen / einfach machen – das bringt gar nichts.
2.
Der Punkt ist vielmehr: „Geschmack“ ist nichts anderes als die Essentialisierung unserer Praxen: ‚Das mag ich halt so.‘ / ‚Das ist einfach so, daß ich auf super schlanke Frauen mit riesen Busen stehe.‘
Vielleicht meinte ADA das ja in dem Mirabella-therad mit seiner – mir unverständlichen – Formulierung vom „zur Gewohnheit geronnenen Urteil“.
M.E. verhält es sich so: Geschmack ist nicht ein „zur Gewohnheit geronnene[s] Urteil“, sondern: Geschmack ist eine zum Urteil geronnene Gewohnheit.
Beispiel: Um mir herum trinken (fast) alle Leute Bier (oder Wein oder gar kein Alk) – und ich übernehme das; finde das ‚normal‘ und deshalb gut. Weil ich das für gewöhnlich mache, ohne da groß drüber nachzudenken, sage ich: ‚Bier ist genau mein Geschmack.‘
3.
Der „Geschmack“ ist ab dem Moment in-frage-stell-bar und damit perspektivisch veränderbar, wo ich meine Gewohnheit nicht mehr als „Geschmack“ essentialisiere, sondern als eine der Reflexion und damit Entscheidung zugängliche Praxis.
Beispiel 1: Wenn ich es nicht habituell gewohnt bin, Freejazz zu hören, wird sich an meinem Geschmack wahrscheinlich dadurch nichts ändern, daß mir bigmouth drei Tage lang Freejazz vorspielt (außer evtl., wenn ich vorher noch nie Freejazz gehört habe).
Beispiel 2: Etwas anders liegt Fall des „richtig Durchficken[s]“ (n.n.). Da habe ich nicht nur einen (Nicht-)Geschmack, sondern dazu habe ich bereits eine reflektierte politische Position. Ohne diese zu knacken, würde sich an meinem Nicht-Interesse an „Durchficken“ nicht die Bohne ändern.
Beispiel 3: In Deutschland ’schmeckt‘ mir im Sommer kalter Weißwein besser als lauwarmer Rotwein; im Winter dagegen Rotwein besser. In Spanien trinke ich dagegen auch im Sommer Rotwein, weil ich dort noch keinen Weißwein gefunden habe, der mir ’schmeckt‘, und die SpanienerInnen dahin tendieren, Rotwein kälter zu servieren, als in Dtld. üblich.
Das nenne ich ‚Geschmack‘, weil ich mich damit nicht großer weiter auseinandergesetzt habe; das ‚ist‘ halt einfach. Das ‚ist‘ halt einfach mein ‚Geschmack‘.
Würde ich jetzt damit konfrontiert, daß die gesundheitlichen Auswirkungen von Weißwein und Rotwein, oder die Produktionsbedingungen für die ProduzentInnen von Weißwein und Rot oder die kulturelle Vergeschlechtlichung von Weißwein und Rotwein im erheblichen Ausmaß unterschiedlich wären, würde ich anfangen eine theoretische Distanz (vgl. TaP – 24.10.; 22:18 h) zu einer meiner Gewohnheit einnehmen. Ich könnte sie dann nicht mehr als ‚Geschmack‘ essentialisieren, sondern müßte eine politische Haltung zu den mir gemachten Vorhaltungen einnehmen und würde dann ggf. – je nachdem, was ich inhaltlich zu den Vorhaltungen sagen würde – meine Gewohnheit in Frage stellen.
Entsprechend beim Freejazz: Würde ich oder würde irgendjemandE andereS meinen musikalischen ‚Geschmack‘ in Frage stellen wollen, müßte ich mich mehr mit Musiktheorie als ich das getan beschäftigen bzw. die andere Person mich damit konfrontieren. Wenn ich die spezifische künstlerische
Konzeption von Freejazz – im Unterschied zu anderen Musikstilen – verstehen würde, dann könnte sich mein ‚Geschmack‘ in eine musiktheoretische/musikpolitische Haltung verwandeln und ich konnte anfangen, meinen ‚Geschmack‘ in Frage zu stellen.
Wehre ich dagegen die theoretische Konfrontation ab (‚Ja, ja – alles schön und gut, gefällt mir aber trotzdem nicht‘ oder sogar: ‚Ja, sehe ich völlig ein, aber ich habe trotzdem diesen inneren Drang‘), wird es auch keine Infragstellung der Praxis geben.
Der entscheidende Punkt ist die Essentialisierung der eigenen Gewohnheit als ‚Geschmack‘. Wer/welche an diesem Punkt bockig oder zickig ist, wird in der Tat auch mit tausend guten Argumenten nicht zu erreichen sein.
Wer/welche dagegen die Argumentation von „schon wieder“ (die mit der von Foucault übereinstimmt) überzeugend findet, daß es keine Homosexualität / keine homosexuellen Neigungen (und Hetero/a- entsprechend) ‚gibt‘, sondern das moderne politisch-kulturell-medizinisch-psychologische Konzepte sind, um bestimmte Handlungen zu denken, ist auch in der Lage, die eigene ‚Neigung‘ in Frage zu stellen und andere Praxen zu entwickeln.
Und das ist eben auch der Punkt bei den homophoben, homosexuellen Fundis: Die müßten ja ihr ganzes religiöse Weltbild in Frage stellen, wenn sie Foucaults Gedankengang, egal auf welchen Gegenstand konkret angewendet, überhaupt zulassen würden. -
Und das gilt aber nicht nur für die Fundis, denn in Bezug auf ‚Persönlichkeit‘, ‚Authentizität‘, ‚Individualität‘ usw., ist die Essentialisierung des Gegebenen ja keine spezifisch religiöse Haltung, sondern eine Haltung die vom bürgerlichen mainstream, Links-ExistentialistInnen, ‚Frankfurter‘ Entfremdungs-KritikerInnen und allen möglich anderen Leuten geteilt wird.
Diese Haltung des ‚Das ist halt so, das haben wir schon immer so gemacht‘, ist das entscheidende Hindernis einer Praxis der Veränderung. Und aus dieser essentialitisierenden Haltung bricht auch ein, ‚Das wollte ich schon immer so, aber ich mich aber nicht getraut / durfte ich nicht‘, nicht aus; es verschiebt nur das Objekt der Essentialisierung (statt der Gewohnheit wird das Willen essentialisiert).
PS.:
@ earendil – 26. Oktober 2009 um 2:50 Uhr
I.
1.
„Die gleichgeschlechtlich begehrenden Fundamentalisten sind davon überzeugt, dass Homosexualität, dass das, was sie tun, Sünde ist.
Dia haben sich die von entsprechenden Argumenten überzeugen lassen.“
Und, wieviele gibt es davon? 5.000 Fälle von 5 Mrd. Menschen, was ist das denn für ein gesellschaftstheoretisches Argument?!
Eine Erklärung könnte es bspw. sein, daß diese Leute sich aus ihren communities nicht lösen können/wollen (weil sie den Rest von dem Fundi-Kram gutfinden), und sie deshalb sagen / sich selbst die Sache so zu rechtlegen, daß sie die Ideologie teilen – damit sie nicht auch noch mit der in Konflikt geraten; dann müßten sie nämlich einen schwierigen politischen Kampf aufnehmen – und leider, leider wegen eines ‚inneren, sündigen Zwangs‘ nicht gemäß ihrer Einsicht handeln können. Das ist eine (Selbst)entschuldigung unter bestimmten hegemonialen ideologischen Verhältnissen.
Aber das ‚ist‘ nicht ‚einfach so‘.
2.
„Wenn du einen Rassisten argumentativ davon überzeugen kannst, dass sein Rassismus scheiße ist, dann kann er den sein lassen.“
Und wenn es nun einmal das „Geschmacksurteil“ des/r Rassisten/in, daß Türken schlecht röchen?! Das ‚fühlt‘ er/sie ‚einfach‘; das sei einfach seine/ihre Nase, das habe nichts mit mit Politik zu tun?!
3.
[bigmouth:] „dass etwas gemacht worden ist in der vergangenheit belegt noch lange nicht, dass es deshalb heute noch änderbar sein muss“
[Beispiel von e. dazu:] „Menschen, die bei einem Unfall ein Bein verloren haben. Das Beispiel leuchtet ein, ja?“
Dein Beispiel ist ein physisch-körperlicher – wenn Du so willst ‚biologischer‘ Vorgang. Ihr bestreitet ja aber, daß Euer Geschmack-Essentialismus biologistisch sei.
II.
„Und auch die [bei denen Regeln und eigene Überzeugung kongruent sind, TaP] lassen sich oft auf diese Art [ein Bulle mit Waffe, TaP] zwingen – die wollen diesen Zwang aber. Z.B. finden die meisten Menschen es ganz ok, dass der Staat Steuern erhebt – deshalb versuchen sie aber trotzdem, das Finanzamt nach allen Möglichkeiten zu bescheißen, und ärgern sich, wenn sie erwischt werden.“
Erklärungsbedürftig ist aber, warum sie die Regel wollen, obwohl sie selbst versuchen, die Regel zu umgehen. – Daß sie Regel wollen, ist nicht dem Bullen mit der Waffe zu erklären. Der Bulle mit der Waffe erklärt nur, warum sie ggf. von ihrer Umgehungsabsicht Abstand nehmen – nicht die (viel wichtigere) Zustimmung zur allgemeinen Regel.
III.
„bei dir als ML-Freundin kommen natürlich erst noch mind. 100 Jahre Sozialismus mit Lohnarbeit, Männerunterdrückung und Sexualkontrolle dazwischen.“
So ungefähr. Du hattest ja auch mal beansprucht (letzter Absatz), zu wissen, daß das mit dem Robinson-Kommunismus (Abschnitt III.) Unsinns-Utopismus ist… – War nicht so ernstgemeint?
Siehe außerdem zu dem Thema noch:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/03/ns-und-demokratie-verhalten-sich-zu-einander-nicht-wie-rosenkohl-und-sauerkraut/#comment-360, Nr. 2
und
Die ökonomischen Grundlagen für das Absterben des Staates.
Und wenn lahma (26. Oktober 2009 um 3:03 Uhr) schreibt,
„ich finde den gedanken, ZUERST löhne inkl. geschlechtsspezifischer lohndifferenzen zu SCHAFFEN, um sie DANN zu BEKÄMPFEN – etwas befremdlich.“,
geht das an der Tatsache vorbei, daß niemandE voschlägt, Löhne „zu SCHAFFEN“ – die sind nämlich SCHON DA. Der Punkt ist, daß wir sie außer in den Phantasien des Utopischen Sozialismus auch nach einer Revolution nicht von heute auf morgen abschaffen KÖNNEN. Und in der Tat ist politische Praxis zur Miniminierung und schließlich Überwindung von Herrschaft und Ausbeutung ohne Zwang NICHT MÖGLICH.
Jeder Streik ist Zwang, jeder Steinwurf bei einer Demo ist Zwang, jeder Anschlag auf einen Nazi-Laden ist Zwang, Vergewaltiger mittels Staatsgewalt in den Knast zu stecken, ist Zwang, Einzelkapitalisten mittels Staatsgewalt zur Einhaltung von Umweltvorschriften zu nötigen, ist Zwang; selbst jede Massendemonstration ist – zwar keine Gewalt, aber – Zwang. Derartiger Zwang ist UNVERMEIDLICH.
Wer/welche das bestreitet, kann sich jeden politischen Anspruch sparen und mit den Herz-Jesus-SozialistInnen für den Kommunismus und gegen das Patriarchat beten.
Ich halte deine implizite Annahme, „es gäbe a priori den richtigen Geschmack“ für falsch. Wenn jemand auf schlanke Frauen mit großen Brüsten, auf dünne, muskelbepackte Männer steht oder heterosexuell ist, dann ist dieser Geschmack, da er niemandem schadet auch nichts kritisierbares.
Wenn man diesem Geschmack, einen Geschmack, der eher auf dicke Menschen abzielt, eher die homo-/bisexualität hochhält oder auf die „inneren Werte“ gerichtet ist als politisch korrekter entgegenhält, dann ist dies Ideologie, d.h. etwas wofür es keine Begründung jenseits der eigenen Moral gibt.
Geschmack ist natürlich gesellschaftlich gemacht und dies selbst zu reflektieren kann durchaus Sinn machen, aber auf meinen Geschmack und dessen Änderung hat niemand außer mir einen Anspruch.
Als Kommunistin würde ich wie so oft dafür plädieren gesellschaftliche Verhältisse zu ändern, die bestimmte Geschmäcke hervorbringen und normieren, anstatt ganz postmodern eine Moralpredigt an das Individuum zu halten.
„Wer/welche dagegen die Argumentation von „schon wieder“ (die mit der von Foucault übereinstimmt) überzeugend findet, daß es keine Homosexualität / keine homosexuellen Neigungen (und Hetero/a- entsprechend) ‚gibt‘, sondern das moderne politisch-kulturell-medizinisch-psychologische Konzepte sind, um bestimmte Handlungen zu denken, ist auch in der Lage, die eigene ‚Neigung‘ in Frage zu stellen und andere Praxen zu entwickeln.“
du kannst nicht einfach „neigung“ in’s spiel bringen, wenn es um „geschmack“ geht. „neigung“ wird biologistisch begründet, geschmack konzeptionell.
ich kann nämlich sehr wohl sagen, mein geschmack geht in richtung dicker, weisser frauenarsch, als neigung taugt das allerdings nicht. foucault meinte nur eben nicht geschmack.
die „zum urteil geronnene gewohnheit“ ist die neigung, ein urteil über die präferenz. das „zur gewohnheit geronnene urteil“ wiederum ist der geschmack, die präferenz selbst.
zum durchficken/durchgefickt werden: wenn du angeblich so eine reflektierte position dazu hast, kannst du es ja ruhig mal versuchen. dann besteht nämlich keine gefahr zur bestätigung der gesellschaftlichen machtverhältnisse, die sich darin angeblich zwangsweise ausdrücken.
@ Zara:
Universell „richtigen“ nicht, aber feministischen, kommunistischen usw. schon – und ob das dann für richtig gehalten wird, hängt von der jeweiligen politischen Parteilichkeit ab.
Beides doch. Denn das Begehren wird überhaupt nur unter hetero/a/sexistisch-patriarchalen Verhältnissen unter diesen Begriffen gedacht.
Das ist auch nicht mein strategisches politisches Ziel; mein Ziel ist die schließliche Überwindung der Strukturierung des Begehrens durch derartige Kategorien.
Naja, was weißt „Anspruch“? Wir haben auch keinen „Anspruch“ darauf, daß die Leute KommunistInnen werden – trotzdem argumentieren wir dafür.
Die Verhältnisse ändern, ohne daß auch (die) Individuen ihre Praxis ändern, dürfte unmöglich sein.
@ Pele:
Der (als „kulturell“ gedachte) Geschmack ist doch also wohl noch eher zu ändern als die („biologisch“ gedachte) „Neigung“.
ja, aber doch nicht unbedingt die sexualle praxis. die ist viel mehr ausdruck der gesellschaftlichen verhältnisse und weniger reproduktion.
„neigung“ kann man dekonstruieren, die ist nämlich als biologismus schlicht verkehrt.
klar kann man geschmack ändern, nur wozu? wichtiger wäre es an den gesellschaftlichen verhältnissen selbst zu arbeiten. wie angedeutet, der reproduktionsgrad ist – wenn überhaupt vorhanden* – marginal.
*wie im letzten absatz schon angeführt“ – in reflektierten sexuellen machtspielchen gibt es ja gar keine reproduktion. manchmal sogar das gegenteil.
@ TaP:
Und das würde ich bezweifeln. Was soll „kommunistischer Geschmack“ sein? Boxershorts mit rotem Stern drauf? Nein, im Ernst: Ist jetzt PorNO oder PorYES feministischer Geschmack? Vor dreißig Jahren wurden Menschen aus der Szene rausgeschmissen, weil sie zugaben schon mal einen Porno gesehen zu haben, heute werden sie schief angeguckt, wenn sie noch keinen gesehen haben. Es gibt ganz sicher nicht den feministischen Geschmack. Es gibt immer bestimmte Fraktionen in einer Subkultur, die sich durch einen bestimmten Geschmack, durch einen bestimmten Habitus, durch eine bestimmte politische Ideologie von anderen Teilen der Subkultur oder anderer Subkulturen abgrenzen. Und nur weil eine bestimmte Fraktion lauter ist als andere, die Mehrheit stellt oder die Subkultur auf anderem Wege dominiert, schafft sie es zu keiem Zeitpunkt alle hinter ihr zu versammeln.
Das bedeutet, einen „feministischen Geschmack“ anzunehmen heißt den Geschmack der herrschenden Fraktion im Feminismus einer Epoche mit dem Geschmack aller FeministInnen zu identifizieren.
Ich halte im Übrigen dein rekurrieren auf „politische Parteilichkeit“ für schwierig, aber hier kommt vielleicht die Marxistin mit einem/r linken LeninistIn auch nicht überein. Denn diese Parteilichkeit bedeutet doch nichts anderes als Parteilichkeit mit der herrschenden Fraktion und ihren Ideen. KommunistInnen ging es um die Überwindung von unterdrückenden Verhältnissen und nicht um die „sozialdemokratische“ Parteinahme für die Unterdrückten, aber das sehen LeninistInnen wohl anders.
Jein, Begehren wird immer unter den, die Verhältnisse repräsentierenden Begriffen der jeweiligen Epoche gedacht. KommunistInnen sagen, die Verhältnisse sind dafür zu kritisieren, dass sie dieses Begehren und diese Begriffe hervorbringen, postmoderne Linke sagen, das Individuum ist für die Reproduktion dieser Verhältnisse zu kritisieren. Das ist unser Streitpunkt in einem Satz zusammengefasst.
Aber nach was für Kategorien denn? Natürlich wandeln sich Kategorien, andere kommen hinzu, manche verschwinden. Aber Begehren wird immer an Kategorien hängen, mögen sie auch breiter und individueller sein. Denn sonst wäre es Wahllosigkeit und kein Begehren. Auch halte ich es für unwahrscheinlich, dass Begehren nicht mehr an Körperlichkeit festgemacht werden wird. Und dann sind „große Brüste“ nur ein Äquivalent zu „kleine Brüste“, das eine nicht besser als das andere.
Das Ziel wären für mich Verhältnisse in denen sich die Menschen frei von gesellschaftlicher Normierung ihren individuellen Geschmack und ihr Begehren entwickeln.
Ja, hier streiten wir uns wieder, was Ursache und was Wirkung ist: die MarxistIn: Die Verhältnisse müssen geändert werden und dann werden sich die Menschen als solche ändern*(mein Lieblingszitat an der Stelle: Revolution ist nicht ein kurzer Akt, wo mal irgendwas geschieht und dann ist alles anders. Revolution ist ein langer komplizierter Prozess, wo der Mensch anders werden muss.(Dutschke)). Der postmoderne Linke: Erst müssen sich die Menschen ändern und wenn die mal anders sind, dann kann auch Revolution und Kommunismus kommen.
*so platt auch nicht, verstehen lässt sich das Ganze nur als dialektischer Prozess, in dem Menschen neue Wege gehen, neue Dinge ausprobieren, aber eben nicht mit dem Ziel die Menschen im Hier und Jetzt moralisch auf diese aktuelle Mode der Subkultur zu verpflichten, sondern um die neue Gesellschaft zu antizipieren und die Bausteine für diese zu suchen.
@ pele:
07.11.2010; 0:27 h: „[TaP:]
Warum nicht unbedingt auch die sexuellen Praxen, wenn diese doch auch von Herrschaft und Ausbeutung geprägt sind?
Und warum weniger Reproduktion? (Antwort aber bitte auf dem Stand der letztjährigen Diskussion bei Mädchenblog [Nr. 2.b)]; nicht wieder Neubeginn der Diskussion von vorne, sondern wirklich neue Argumente.)
Zu Absatz 1: Siehe vorstehende Antwort (zu 0:27 h); zu Absatz 2: nur war von „reflektierten sexuellen machtspielchen“ – außer als Postulat – in den letztenjährigen Diskussionen beim Mädchenblog wenig zu lesen und jetzt beim Pornfestival wenig zu sehen – TaP – 09.11.2010; 10:50 h:
„in den Filmen wird (fast) keine Zustimmung zu dem praktizierten Sex gezeigt, und er findet häufig ziemlich gewaltsam statt – was jedenfalls vorderhand „nicht konsensuell“ anzeigt. […]. In der Tat hatten wir das letztes Jahr schon so ähnlich: Einerseits wird in Anspruch genommen, alles sei konseuell, die gesellschaftlichen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse würden nicht reproduziert, sondern reflektiert und gebrochen – aber wenn konkret nachgefragt oder konkrete Vorschläge gemacht werden, dann kommt entweder nichts oder aber: ‚Dann is es doch nicht mehr sexy.‘“
@ Zara:
Vor dem Sommer 1914 war die ganze II. Internationale gegen Vaterlandsverteidigung; nach dem Sommer 1914 war fast die ganze II. Internationale dafür – auch nur eine Geschmacksfahne im Wind?
(Ansonsten es mag nicht für jedes Gebiet nur einen feministischen, kommunistischen usw. ‚Geschmack‘ geben – aber einige Praxen lassen sich eben doch von einem feministischen, kommunistischen usw. Standpunkt ausschließen.)
Ja, gut – aber wie willst Du die Verhältnisse ändern, wenn sich die Individuen nicht weigern, sie zu reproduzieren?
Aber das heißt: Den Kampf für die Revolutionierung der sexuellen Verhältnissse heute zu beginnen – und sich nicht damit trösten, daß im Kommunismus vielleicht schon alles von alleine besser wird.
@ TaP:
Aber ist das nicht genau mein Argument: Soziale Bewegungen welcher Couleur auch immer bringen zu einer bestimmten Zeit bestimmte ideologische Moden und dem folgend bestimmte Geschmacksmoden auf. Als KommunistIn sollte man diese nicht mit der Theorie in eins setzen, sich bewußt machen, wie solche Hypes entstehen, dass sie die Konsequenz von bestimmten Machtkonstellationen* sind und sich selten stringent aus der ursprünglichen Theorie ableiten lassen. Deshalb sollte man sich von diesen aktuellen Hypes in etwas kritischer Distanz halten.
Ja, jetzt geht es in die richtige Richtung: ein kommunistischer oder feministischer Geschmack lässt sich wenn überhaupt ex negativo bestimmen. Aber auch dort rate ich, siehe PorYES versus PorNO, zu großer Vorsicht.
Dafür müßten sie sie erstmal erkennen, d.h. der gesellschaftliche Verblendungszusammenhang müßte zerschlagen werden. Natürlich muss er so weit es geht offengelegt und aufgelöst werden. Wie es aber möglich sein soll ihn hic et nunc so aufzulösen, dass alle Menschen „sich weigern diese Verhältnisse zu reproduzieren“ ist mir schleierhaft. „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ hat mal ein schlauer Mensch geschrieben und ich habe das Gefühl, dass du und postmoderne Linke im Allgemeinen dieses Diktum nicht nachvollziehen wollen. Bevor Menschen in großer Anzahl ihr Bewußtsein komplett ändern muss eben erst ihr gesellschaftliches Sein ein anderes sein.
Jein, die Revolutionierung der Sexualität als ein Vorscheinen des Kommunismus begreifen, als einen Schritt in diese Richtung, einen an dem man das Hier und Jetzt blamieren kann, aber nicht die Revolutionierung der Sexualität realpolitisch denken, als ein moralisches Diktum, das man der Gesellschaft vorhält.
D.h. Kategorien wie hetero, lesbisch oder schwul zu überwinden und eine Sexualität jenseits der bürgerlichen Moral zu leben finde ich bedingungslos richtig. Wenn man es aber wendet und auch von der Gesellschaft ein solches Leben einfordert, dann begibt man sich auf die Ebene von Moral und damit in den Sumpf des linksliberalen Reformismus.
*im Feminismus z.B. hat sich nach dem Ende des Staatssozialismus ein linker/linksliberaler Pomo-Feminismus gegen sozialistische FeministInnen durchgesetzt, nicht wegen der besseren oder schlaueren Theorie, sondern wegen dem Zeitgeist und so profanen Dingen wie der Besetzung von Lehrstühlen, mit der linksliberalen Antidiskriminierungs-Ideologie, die an den Gender-Lehrstühlen, wie hier an der HU, vertreten wird, gibt es Professorentitel, als VerteterIn einer Theorie, die die Abschaffung des Staates auf ihre Fahnen geschrieben hat, hat man es da doch etwas schwerer.
@ Zara:
Ja, aber was ich fragen wollte war: Anhand welcher Kriterien unterscheidest Du die ‚wirklich wichtigen Fragen‘, wie die Vaterlandsverteidigung, von ‚bloße Geschmacksmoden‘, wie – Deines Erachtens – die Pornofrage.
„Alle“ hat ja niemandE gesagt. Es müssen halt einige anfangen und für ihre Position kämpfen.
Und die wirkliche Differenz scheint mir nicht beim Verhältnis von Sein und Bewußtsein zu liegen:
1. Lenins These „Ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis“ dürfte sicherlich keine Revision von Marx‘ Materialismus sein. Denn auch die revolutionäre Theorie ist ein Produkt der bestehenden – widersprüchlichen – Verhältnissen. Weil die Verhältnisse widersprüchlich (und nicht homogen) sind, sind Störungen der Reproduktion der bestehenden Verhältnisse immer möglich.
2. Zum zweiten geht es bei derartigen ‚Geschmacksfragen‘ ohnehin nicht (nur) um Fragen des rein, transparenten Bewußtseins, das unseren geschätzten Freunden vom Gegenstandpunkt so am Herzen liegt1, sondern es geht immer auch – um nur teilweise bewußte – Prozesse der kollektiven Identifikation:
„Jede politische Bewegung geht notwendigerweise immer auch mit bestimmten kulturellen Artikulationen einher: Das galt für die aufstrebende Bourgeoisie, die sich auch auf kultureller Ebene vom Adel absetzte, teils aber auch Assimilation anstrebte; das galt für die – heute weitgehend aufgelöste – Arbeiter(Innen)bildungs-, Sport- usw. bewegung, das galt für die kulturellen Formen der 68erInnen, für die lila Latzhose, für die autonome Hassi – und es gilt auch für die androgyne Kurzhaar-Lesbe.
An allen Beispielsfällen läßt sich sicherlich auch immer etwas kritisieren und häufig auch die Frage aufwerfen, inwieweit das kulturelle Symbole die politische Botschaft unterstützt oder aber ersetzt; also die Frage, ob wir es mit einer Politisierung von Kultur oder einer Kulturalisierung von Politik zu tun.“
(http://maedchenblog.blogsport.de/2010/07/28/homonormativity/#comment-43817 sowie dort und dort).
Ich weiß an dieser Stelle nicht, ob ich dich oder du mich falsch verstehst. Ich mache im Grunde keinen Unterschied zwischen der Pornofrage oder der Kriegsfrage. Beides sind Moden, moralische Fragen, wo sich die Antwort nur begrenzt aus der Theorie ableiten lässt. Marx war nicht gegen Krieg. Wohl deshalb weil er, im Gegensatz fast allen, die nach ihm kamen einen analytischen und keinen moralischen Blick hatte. Aus Marxistischer Perspektive wäre es sogar nicht abwegig gewesen den 1. Weltkrieg zu begrüßen in der Hoffnung auf die „Umwandlung des imperialistischen Kriegs in den Bürgerkrieg“(Lenin, 1915).
Mir geht es konkret darum sich nicht zum Exekutor der gerade aktuellen linken Mode zu machen, sondern der Frage nachzugehen, wie wir dahin kommen können diese Verhältnisse zu überwinden und dies wird ohne eine kritische Distanz zu den aktuellen Hypes und eine Reflexion eben dieser nicht möglich sein.
Diese Positionen, individuell sich Weigern die Verhältnisse zu reproduzieren, sind nur eben keine über das Bestehende hinausweisende. Das macht sie nicht falsch, es sind nur keine kommunistischen, sondern linkspolitische, die der Kapitalismus in sich aufsaugen wird, sich also entsprechend wandeln wird. Dann haben wir vielleicht alle ein netteres Leben, mit schönerem Sex und besseren Pornos, nur sind wir dann vom Kommunismus exakt so weit entfernt wie vorher auch. Nicht, dass ich gerne ein netteres Leben hätte und deswegen finde ich es auch nicht falsch, mich stört nur, wenn so ein individuelles, anarchistisches Weigern und sei es auch das Weigern einer ganzen Subkultur mit Attributen wie kommunistisch belegt wird.
Ja, aber was bringen Störungen der Reproduktion der bestehenden Verhältnisse? Das ist ja kein Wert an sich. Ich möchte darauf hinaus, dass dein Durchsetzen des aktuellen linken Geschmacks oder Zeitgeist zwar den Kapitalismus verändert, er passt sich entsprechend an, bzw. übernimmt die linken Positionen, die bei dem Stand der Produktivkräfte von Nutzen sind, dies aber nichts weiter ändert. Das heißt, eine Störung der Reproduktion dieser Verhältnisse führt zu einer(manchmal auch wünschenswerten) Änderung der Reproduktion, nicht aber zu deren Ende.
Die Frage ist, ob eine solche Identitätspolitik nicht eher ein Problem als die Lösung ist. Was nutzt eine Bewegung, die sich überhaupt nicht mehr anschickt der Frage, wie denn alles anders werden kann, ernsthaft nachzugehen und sich dafür umso mehr über Identifikationssymbole definiert? Bringen uns Staat-Kapital-Scheiße Aufkleber oder eine Kurzhaarfrisur irgendwas näher? Im Übrigen schätze ich Gegenstandpunktler so gar nicht.
Fortsetzung der Diskussion:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/17/diskussion-ueber-antidiskriminierungspolitik-revolutionaerem-feminsmus-und-nebenwiderspruchs-marxismus/