Theoretische Nachbemerkungen zur CSD/Rassismus-Debatte und zugleich notwendige politische Anmerkungen zum diesjährigen transgenialen CSD
Zara wies in einem Kommentar zu meinem Beitrag „Noch einmal zu den Rassismus-Vorwürfen gegen den Berliner CSD“ auf den Text von Tove Soiland „Die Verhältnisse gingen und die Kategorien kamen. Intersectionality oder Vom Unbehagen an der amerikanischen Theorie“ in der feministischen internet-Zeitschrift querelles-net Nr. 26 aus dem Jahr 2008 hin.
Ich finde den Text auch sehr gut:
1. Ich teile den Eindruck, daß auch der Intersektionalitätsansatz letztlich zu einer bloß additiven Sichtweise tendiert:
„Die Kategorien kritischer Gesellschaftstheorie zeichnen sich […] dadurch aus, dass sie komplexe Mechaniken gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion bezeichnen; sie bezeichnen nicht oder nicht in erster Linie Gruppen. Und dies verweist zurück auf das Problem, dass die Forderung nach intersektionellen Analysen in einem Diskriminierungsdiskurs beheimatet ist. Kategorien, die für das Problem von Diskriminierung in Frage kommen, sind nun aber nicht per se auch solche, die maßgeblich an der Organisation gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion beteiligt resp. für diese zentral sind. Es geht [bei intersektionalen Analysen, TaP], wie Dietze et al. (2007, S. 10) zu Recht formulieren, um ‚Kategorien der Benachteiligung‘, die weniger komplexe Mechanismen gesellschaftlicher Organisation als die Zuschreibung ‚realer‘ oder vorgestellter Merkmale und die damit verbundenen Vorurteile bezeichnen. So ist denn auch selbstverständlich die Anzahl der Gründe, die zu einer Benachteiligung Anlass geben, in der Tendenz offen (Degele/Winker 2007, S. 11) und macht es – im Bereich der Antidiskriminierung – Sinn, nach diesen zu fragen.“
Damit sind wir dann wieder bei der Logik der Aufzählungen: Es werden ‚Benachteiligungen‘ aufgelistet und deren Gründe aufgezählt – und im Zweifelsfall hilft ein „usw.“ weiter.
Mit der Länge der Liste ist aber zur Adäquatheit der Analyse der Gründe und der darauf aufgebauten politischen Strategie noch nichts gesagt.1
Die politische Konsequenz der Aufzählungslogik ist, daß im Berliner CSD/Rassismus-Streit beide Seiten Opferkonkurrenz betreiben und sich gegenseitig vorwerfen: Judith Butler und die Gruppen, die sie – anschneinend mit ziemlich wenig konkreten Informationen (vgl. 1 und 2 [am Anfang]) – brieften, werfen dem CSD eine Vernachlässigung des Kampfes gegen Rassismus vor oder sogar dessen Komplize zu sein. Die andere Seite kontert mit dem Vorwurf der Vernachlässigung des Kampfes gegen Antisemitismus2, und der Kampf gegen Transphobie und Intersexuellenphobie wird von beiden Seiten beansprucht3. Nur am Feminismus scheinen beide Seiten gleichermaßen wenig Interesse zu haben.
2. Ich teile den Eindruck, daß es in Intersektionalitäts-Studien eine Vernachlässigung von Gesellschaftstheorie gibt. Es wird eher auf (quantifizierbare) Effekte geguckt als auf strukturelle Ursachen (auch wenn der Anspruch teilweise ein anderer ist):
„Es scheint, und dies ist für mich der eigentliche Grund, warum Erkenntnisse aus dem Feld der Antidiskriminierung nicht tel quel auf Fragen der Gesellschaftstheorie übertragen werden können, dass mit dem Wort ‚Kategorie‘ zwei Dinge zugleich benannt werden, die kategorial gesehen nicht auf derselben Ebene liegen. So kann die beschreibende Soziologie Interferenzen denken, weil sie diese als Merkmale konzipiert. Umgekehrt kann die Forderung, komplexe Dynamiken gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion interferent zu denken, erhebliche Schwierigkeiten bereiten und ist auch nicht in jedem Fall sinnvoll resp. kann nur eingelöst werden, wenn diese Dynamiken wiederum auf ‚Merkmale‘ einer Gruppenzugehörigkeit reduziert werden.“
Beide von Tove Soiland gemeinten Seiten beanspruchen über Kategorien zu reden, worunter die einen aber beschreibende Merkmale verstehen und die anderen analytisch-erklärende Begriffe4. – Die wissenschaftliche Konsequenz davon, sich mit Merkmalen zu bescheiden (statt Begriffe zu erarbeiten), wird von Tove Soiland klar ausgesprochen:
„Das eigentliche Untersuchungsobjekt sind damit nicht die Mechanismen der Segregation, sondern deren Effekte und daran anschließend die Frage, wie Gruppen zu konzeptualisieren sind, um genügend komplex, das heißt, den realen soziologischen Gegebenheiten angemessen zu sein.“ (Hv. d. TaP).
Und die politische Konsequenz des Guckens auf Effekte und der Aufzählungs-Logik, die diese beim transgenialen CSD hatten, hat die taz, wenn auch nicht aus inhaltlichem Interesse an revolutionärer Politik, sondern allein aus Häme-Gründen treffend auf den Punkt gebracht:
„Das Politische kam wahrlich nicht zu kurz, verursachte aber vielen Teilnehmern aufgrund der leider nicht kommerziellen Lautsprecheranlage Kopfschmerzen. Die Verlesung der Traktate kam so mitunter nur als Hintergrundkakophonie an: ‚Ismus…istisch…Ismus‘. Bei näherem Hinhören jedoch unterschieden sich die Forderungen nicht wirklich von jenen, die auch auf den großen CSDs gestellt werden. Etwa dem Aufruf zu Solidarität mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender in Osteuropa und in der ganzen Welt und zur Bekämpfung von Homophobie – plus einer Extraportion Antirassismus und Kapitalismuskritik.“
Weil auch der tCSD keine Begriffe von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat hat, wird vermeinliche Radikalität über die Länge von Aufzählungen, das Pathos von Adjektiven und sich überschlagender Stimmen sowie die moralisierende Kritik böser Absichten und strategielose „sofort“-Forderungen („Für die sofortige Abschaffung des heteronormativen Zweigeschlechtersystems!“ [Autotrans]) ‚hergestellt‘. So wurde etwa in der Manier linksparteilicher und gewerkschaftlicher verkürzter Kapitalismus-Kritik gepoltert: „Seit dem Finanzcrash 08 ist die unkontrollierte Eigenmacht des globalen spekulativen Finanzmarktes nicht begrenzt worden. Die Politnasen machten bisher bloss heiße Luft und drohen uns nun die Schock Therapie weiterer Verelendung an, statt die Vorherrschaft der Finanzlobbys anzugehen.“ (Redebeitrag von Ruth) Und in dem Redebeitrag der Gruppe „Nationen wegkicken“ hieß es: „Auch dass die ‚Männer‘-Fußball-WM so viel wichtiger als der gesamte Frauenfußball ist, deutet auf eine sexistische Gesinnung hin.“ Die GenossInnen, die sogar einen antinationalen Anspruch erheben, werden sich noch wundern, wie schnell sich diese „Gesinnung“ (sic!) wenden wird und wie wichtig Frauenfußball auf einmal im nächsten Jahr sein wird, wenn die Frauenball-WM in Deutschland stattfindet und deutsche Frauen in Deutschland ‚für Deutschland‘ unter den Augen der Welt (vgl. Ernst Reuter: „Völker der Welt … schaut auf diese Stadt“) spielen werden.
Als es noch einen revolutionären Feminismus gab, zielte dieser freilich nicht darauf, daß Frauen ‚genauso wichtig‘ wie Männer sein sollten; er war keine Teilbereichs-Politik, sondern stellte die herrschenden Verhältnisse als ganzes in Frage:
„Wir wollen keine ‚linke‘ Arbeitsteilung nach dem Motto: die Frauen für die Frauenfragen, die Männer für allgemeine politische Themen.“ „die Frauenbewegung ist keine Teilbewegung wie die AKW-Bewegung oder der Häuserkampf“ „Die Schwierigkeiten fangen für uns da an, wo feministische Forderungen dazu benutzt werden, in dieser Gesellschaft ‚Gleichberechtigung‘ und Anerkennung zu fordern.“ „‚Wir schlagen zurück!‘ – diese Parole der Frauen aus dem Mai 68 ist heute in Bezug auf die individuelle Gewalt gegenüber Frauen unumstritten. Heftig umstritten und weitgehend tabuisiert ist sie jedoch als Antwort auf die Herrschaftsverhältnisse, die diese Gewalt erst ständig auf’s Neue erzeugen.“ (Rote Zora im Emma-Interview im Juli 1984)
Während die Rote Zora eine militante und theoretische Praxis hatte, die den revolutionären Anspruch konkretisierte und rechtfertigte, ist die Radikalität des transgenialen CSD eine Radikalität der Phrase und der kulturalistischen Abgrenzung: „Parteifahnen und dergleichen sind unerwünscht“ (sonst würde vielleicht mehr Leuten die Konvergenz linksradikaler und linksparteilicher Spekulations-Kritik auffallen …) „und gehören in den Mülleimer oder zuhause gelassen!“ (verteilter Flyer „Sicherheitshinweise und Tipps für den transgenialen CSD“). Und: „gewaltiger queerer weltweiter Widerstand: vernetzt eure Banden !!“ (Redebeitrag Ruth).
„vernetzt eure banden !!“ – aber in der Praxis verwenden die Demo-OrdnerInnen mehr Energie darauf, sexuelle Belästiger und Störer der Demo vor der Polizei zu schützen, statt dafür zu sorgen, daß diese weiträumig den Bereich der Veranstaltung verlassen.
Bereits als die Demo noch den Kottbusser Damm entlang ging, gab es eine Lauti-Durchsage, daß ein Belästiger in der Demo ist. Der Belästiger konnte trotzdem – unter den Augen der OrdnerInnen (!) – weiter mitlaufen und verlies die Demo erst am Kottbusser Tor (anscheinend aus Eigeninitiative und kam später wohl wieder):
„Die Ordner_innen, die vorne liefen, hatten auf der Demo den Typen mit den 2 Hunden im Auge. Er hatte am Kotti die Demo verlassen, […].“ (Brian)
„Der Typ, der schon die nachmittägliche Demo störte und übergriffig wurde und der gegen 18 Uhr mitsamt Hunden bestimmt drei oder viermal in Minutenabständen von der Polizei eingefangen und in Richtung Mariannenplatz eskortiert wurde, hielt sich ohne seine Hunde (mit Unterbrechung) nach meiner Beobachtung bis ca.23Uhr hinter der Bühne auf, zu diesem Zeitpunkt und in einigem Abstand wurde er von bestimmt 4-5 Polizist_innen anvisiert, während genügend ruhig auf ihn einwirkende Ordner_innen bzw. Veranstaltungsteilnehmer_innen ihm den Zugang zur Veranstaltung abschnitten.“ (im garten mit satie)5
3. Aber kommen wir zurück zu dem Text von Tove Soiland. Soll es nicht nur um eine verbalradikale Kritik an Effekten, sondern um die „zugrundeliegenden Segregationsmechanismen“6 gehen, so scheint mir allerdings, daß poststrukturalistische und postmoderne Ansätze eine weniger schroffe Zurückweisungen verdienen, als sie Zara in ihrem Kommentar vornimmt:
„Sie [Die VertreterInnen des Intersektionalitätsansatzes usw.] wollen nicht mehr materialistisch die Realität erfassen, sondern bauen sich ein abgeschlossenes System, das in sich natürlich widerspruchsfrei ist, aber für das ganz viele Grundannahmen getroffen werden müssen. […]. Diese Grundannahmen stehen aber schon im Widerspruch zu materialistischen Ansätzen. Hier ähnelns sich diese postmodernen/poststrukturalistischen Theorien, auch Foucaults Machtanalyse beispielsweise ist ähnlich aufgebaut.“
Ja, die Tendenz, nur noch über diskursive und nicht mehr über außer-diskurisve Praxen zu reden, ist ein analytisches und politisches Problem – aber eines, was m.E. innerhalb eines poststrukturalistisch-dekonstruktivistischen Ansatzes korrigierbar ist (vgl. dort, S. 47 ff. und verstreut sowie außerdem dort und dort).
4. Demgemäß würde ich dann auch die „Methoden der Dekonstruktion [und] Genealogie“ einerseits sowie Gesellschaftstheorie andererseits nicht so scharf gegenüberstellen, wie Tove das macht. Sie schreibt:
„So stellen Klinger und Knapp fest, dass ein wichtiger Beitrag der beiden Begriffe ‚Rasse‘ und ‚Geschlecht‘ darin bestand, den Nachweis ihrer Nicht-Natürlichkeit zu erbringen. […]. Auch hier mag deshalb eine kurze Rückbesinnung auf das, was gesellschaftstheoretische Kategorien ursprünglich leisten wollten, nützlich sein. Marx wollte mit seinem Klassenbegriff ja nicht den Nachweis erbringen, dass diese nicht natürlich sind. Er fand den Begriff eigens, um etwas zu bezeichnen, was es nicht gab. Es war nicht seine Frage, ob es Klassen gibt oder nicht, ob sie natürlich sind oder nicht. Marx begründete die Klassen auch nicht essentialistisch, und er interessierte sich wenig für die Frage, wer wozu gehört. Sondern er wollte mit Hilfe des Klassenbegriffs, und anderer, die Frage klären, wie das Kapital es anstellt, sich zu akkumulieren. Analog dazu würde ich sagen, dass auch die gesellschaftstheoretische Leistung von ‚Geschlecht‘ und ‚Rasse‘ ursprünglich im Anliegen bestand, die darin involvierten Mechanismen der Hierarchisierung zu verstehen und darüber hinaus den Nachweis zu erbringen, dass diese zentrale Strukturmerkmale der Produktion und Reproduktion westlich-kapitalistischer Gesellschaften darstellen, dass sie eine ihrer zentralen Bedingungen sind, in die sie eingehen und worin sie sich gleichzeitig reproduzieren.“
Ich stimme grundsätzlich zu, würde aber doch eine Präzisierungen und eine Ergänzung vornehmen wollen:
Die Präzisierung: Marx hat den Klassenbegriff nicht erfunden, sondern vorgefunden – und umgearbeitet, soweit dies die von ihm tatsächlich neu erarbeiteten Begriffe erforderten. Marx schrieb bereits, bevor seine Schriften zur Kritik der politischen Ökonomie auch nur begonnen hatte:
„Was mich nun betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, weder die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft noch ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Bürgerliche Geschichtsschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung dieses Kampfes der Klassen, und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt. Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet.“ (MEW 28, 507 f. – Brief an Weydemeyer v. 5. März 1852; engl.; kursive Hv. i.O.; fette durch TaP).
Die Ergänzung: Auch der Marxismus scheint mir durchaus auf Ent-Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse und der Existenz der von ihnen konstituierten gesellschaftlichen Gruppen zu zielen. Schon das fett Gesetzte in vorstehendem Zitat zeigt dies. Und 1849 schrieb Marx bereits: „Eine Baumwollspinnmaschine ist eine Maschine zum Baumwollspinnen. Nur in bestimmten Verhältnissen wird sie zu Kapital.“ (MEW 6, 407) Auf der gleichen Linie liegt auch Maos Kritik der metaphysischen „Auffassung, daß die verschiedenen Dinge in der Welt sowie ihre Eigenschaften vom Beginn ihres Seins an unveränderlich blieben, ihre späteren Veränderungen bloße quantitative Vergrößerungen oder Verkleinerungen seien. Die Metaphysiker sind der Ansicht, daß ein Ding nur ewig sich selbst reproduzieren, sich aber nie in ein anderes, von ihm unterschiedliches Ding verwandeln könne. Die Metaphysiker glauben, daß die kapitalistische Ausbeutung, die kapitalistische Konkurrenz, die individualistische Ideologie der kapitalistischen Gesellschaft usw. – daß das alles auch in der antiken Sklavenhaltergesellschaft, ja sogar in der Urgesellschaft anzutreffen sei, daß es ewig und unverändert existieren werde.“ (MAW I, 367 – Über den Widerspruch).
5. Weiter heißt es in dem Text von Tove Soiland:
„die Mehrwertanalyse [beschreibt …] keine Kategorie, sondern einen Mechanismus. Marx spricht vom Wert – in seinem Verständnis das Organisationsprinzip kapitalistischer Produktion – als von einem unter dinglicher Hülle versteckten Personenverhältnis. Und es scheint mir nicht zufällig, dass man genau dieses Wort – Verhältnis – in den Analysen zur Intersektionalität weitgehend vergeblich sucht. Und dementsprechend auch auf die Frage keine Antwort findet, wie denn Verhältnisse, nicht Kategorien, in ihrer Interferenz zu denken wären.“
Lassen wir mal die „dingliche Hülle“ und die „Personen-“ beiseite. Ansonsten stimme ich zu. Über Strukturen und Verhältnisse zu reden, war ja aber genau der Anspruch der am Anfang der de-konstruktivistischen und ethnomethodologischen (doing gender) Wende des Feminismus stand: In den 90er Jahre rückten „die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit selbst“7 bzw. die „strukturellen Determinanten des Patriarchats“, die der „männlichen und weiblichen Person vorhergehen (oder diese gar allererst konstruieren)“8 (Rothfield 1990, 834) ins Zentrum der Analyse.
Und genau in diesem Sinne würde ich auch einige Zitate von Judith Butler sowie Candace West und Don H. Zimmermann, für die ich kürzlich eine deutsche Neuübersetzung vorgeschlagen hatte, verstehen.
Und es ist dieses Fragen nach den „strukturellen Determinanten“, die die „männlichen und weiblichen Person“ überhaupt erst konstituieren, die ermöglicht, daß
„Butlers De-Konstruktion der Kategorie ‚Geschlecht‘ […] den Streit zwischen Gleichheits- und Differenzfeminismus (Soll es dem Feminismus um die Gleichheit von Männern und Frauen oder die Anerkennung der Besonderheit von Frauen gehen?) hinfällig werden (meine Diss., S. 95) und nun auch theoretisch erkennen läßt, was Monique Wittig schon vorher politisch postulierte – nämlich, daß die Überwindung des Sexismus nicht weniger verlangt als die Überwindung der Geschlechter als soziale Kategorien (vgl. auch meine dortige FN * auf S. 54 f.).“ (s. dort, Abschnitt II. [mit weiteren Ausführungen und vgl. auch dort, Abschnitt III.)
Mit einer solchen revolutionären Perspektive ist freilich unvereinbar, über die Nicht-Einhaltung der „Menschenrechte“ zu lamentieren oder sich mit der Forderung nach deren Einhaltung zu bescheiden und einen pseudo-juristischen Diskurs über Freiheit und Gleichheit zu führen, wie es auch beim transgenialen CSD leider nur allzu häufig geschah:
„In den letzten Jahren gab es allerdings einen wichtigen Wechsel in der Diskussion über Trans-Leute: der Wechsel von der medizinisch-psychologischen Sichtweise hin zu einer Menschenrechtsperspektive.“,
so hieß es im Redebeitrag von “Transrespekt versus Transphobie weltweit” beim tCSD und im Redebeitrag „Stopp Trans Pathologisierung 2012″ wurde zustimmt erwähnt:
„Der Menschenrechtskommissar des Europa-Rates erklärte am 29. Juli 2009 auf einer Menschenrechts-Konferenz in Kopenhagen, daß die Pathologisierung von trans* Menschen der Verwirklichung ihrer Menschenrechte im Wege steht.“
Und das Queeres Bündnis Walter Tróchez bekundete:
„Wir wollen der honduranischen Regierung zeigen, dass uns die Menschenrechte von Queers und linken Aktivist_innen in ihrem Land nicht egal sind!“
„es gibt keine Gleichheit solange nicht alle gleich berechtigt sind. (danke judith butler)“ (Rede des Schwarzen Kanals- Hv. durch TaP)
Dieser Diskurs, der sich durch und durch in der herrschenden Ideologie bewegt, übersieht, daß wir die letzten Jahrzehnte einen massiven Zuwachs an Gleichberechtigung zunächst von Frauen, dann von Schwulen und Lesben und seit einiger Zeit auch eine Ausweitung der Rechte von Transsexuellen und zumindest eine einsetzende Diskussion in Bezug auf Intersexuelle haben. Nur ändert all dies nichts am Fortbestehen der (hetero/a/)sexistischen gesellschaftlichen Verhältnisse. Was für kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung ohnehin schon charakteristisch war, gilt nun auch zunehmend für den (Hetero/a/)sexismus: Sie funktionieren auf der Grundlage juristischer Freiheit und Gleichheit, ohne daß dadurch Herrschaft und Ausbeutung verschwinden würden.
Moderne Herrschaft und Ausbeutung ist im juristischen Diskurs über Freiheit und Gleichheit die zwangsläufige begriffliche Leerstelle; denn moderne Herrschaft und Ausbeutung zeichnen sich (im Unterschied zur förmlicher Ungleichberechtigung in feudalen und SklavInnenhaltergesellschaften) gerade dadurch aus, daß sie von freien und gleichen sub-jekten reproduziert werden (s. dort, S. 2 f.).
Wer/welche dennoch versucht, Kritik an moderner Herrschaft und Ausbeutung in juristischer oder pseudo-juristischer Terminologie zu formulieren, muß zwangsläufig Analyse durch Pathos und Strategie durch Lamentieren ersetzen.
Die Abgrenzung vom mainstream verbleibt auf der Ebene von Gesten, die keine Handlungen sind, und Wörtern, die keine Begriffe sind.9
- Wie ich schon vor zwei Wochen schrieb: „Nun ja, als ob sich politische Radikalität, das an die Wurzeln der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse Gehen, an der Länge des politischen Wunschzettel mißt, also es damit getan wäre, einfach auch noch etwas zu Rassismus zu sagen – und nicht daran, ob gesellschaftliche Antagonismen als solche erkannt und benannt werden und Strategien, die dem antagonistischen Charakter der gesellschaftlichen Verhältnisse angemessen sind, entwickelt werden. Zu kritisieren wäre also nicht (nur) die Rassismus-Blindheit der offiziellen CSD-Veranstaltung, sondern auch schon die integrationistische und rechts-zentrierte (Homo-Ehe usw.) Art und Weise, in der das den offiziellen CSD tragende Spektrum queere Politik betreibt. Nur – in dieser Hinsicht unterschied sich das, was Judith Butler am Freitagabend vortrug, allenfalls minimal vom schwullesbischen mainstream – obwohl gerade aus de-konstruktivistischer Perspektive einiges Kritisches zu dem Rechtsidealismus und Rechtsvoluntarismus zu sagen wäre, der nicht nur queere Politik prägt, sondern ansonsten durchaus scharf entgegengesetzte linke Strömungen verbindet (vgl. annäherungsweise die dort und dort genannten Texte).“[zurück]
- Jan Feddersen (taz): „Er ist ein CSD der GesinnungshüterInnen, der reinen Lehre – und wie man bei einem von diesen auch ersehen konnte, hat man dort stark etwas gegen proisraelische Bekundungen wie auch gegen die Kneipen, die sie nicht kennen. “ Bodo (CSD e.V.) // Jun 21, 2010 at 16:24: „Der Berliner CSD wendet sich stets gegen jede Form des Rassismus und Antisemitismus. Wir freuen uns über das schwenken israelischer Fahnen auf dem CSD, anders als beim Transgenialen CSD.“[zurück]
- Butler lt. Frankfurter Rundschau: „Die Veranstaltung […] richte sich nicht genügend gegen Probleme wie Rassismus und doppelte Diskriminierung von beispielsweise Migranten, die homosexuell oder transsexuell empfinden.““; Bodo // Jun 21, 2010 at 16:24: „wir diesmal mit Thema und Motto ein klares Bekenntnis für die Menschenrechte von Trans* und Intersexuellen abgeben wollten. Ammo Recla, ABQueer, sprach auf der Bühne über Transrechte im Berliner Akzeptanzplan. Dieses Thema fiel nun durch Butlers Eklat nach hinten.“ [zurück]
- „Die Wissenschaft von der Wirklichkeit begnügt sich nicht mit dem phänomenologischen Wie; sie sucht nach dem mathematischen Warum.“ (Bachelard 1938, 37 – Hv. i.O.). „Irgendein Begriff von Determination (was nicht dasselbe wie Determinismus ist) scheint grundlegend zu sein für jede erklärende Darstellung der sozialen Welt“ (Johnson 1978, 44). „[…], the outstanding landmarks in the development of science are discoveries of patterns of determination“ (Therborn 1976, 69 m.w.N., s.a. 70). (Entschlüsselung der Sigle für die Literaturangaben: dort, S. 268 ff.[zurück]
- Vgl. auch noch: „den helfenden händen wurde der mensch durch die polizei hinter der veranstaltungsgrenze entrissen.“ (unbelästigt aber beteiligte Person) [zurück]
- Tove: „Soll Ungleichheit nicht lediglich, wie Helga Krüger es formuliert, in „einer personalisierten Weise erlebt und in Form von Personalisierung reflektiert“ werden (2007, 180), ist es notwendig, die zugrundeliegenden Segregationsmechanismen zu verstehen. Dies versucht teilweise die feministische Ökonomie, doch sucht man Hinweise auf diese in der Diskussion um Intersektionalität vergeblich.“ [zurück]
- Regine Gildemeister und Angelika Wetter, Wie Geschlechter gemacht werden. Die soziale Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit und ihre Reifizierung in der Frauenforschung, in: Gudrun-Axeli Knapp / Angelika Wetterer (Hg.), Traditionen. Brüche. Entwicklungen feministischer Theorie, Kore: Freiburg i. Br., 1992, 201-254 (202) [zurück]
- Philipa Rothfield, Subjektivität, Erfahrung, Körperlichkeit. Feministische Theorie zwischen Humanismus und Anti-Humanismus, in: Das Argument H. 196 Nov./Dez. 1992, 831-847 (834) [zurück]
- Abschließend noch eine kritische Anmerkung zu dem Schlußabschnitt „Geschlecht als Bestandteil des Akkumulationsregimes thematisieren“ von Toves Aufsatz: So sehr ich mit dem Vorschlag einverstanden bin, die „Debatte um die ethnisierte Umverteilung der Hausarbeit“ auch als eine solche des Wandels des kapitalistischen Akkumulationsregimes zu führen, so ergibt sich doch eine ethnische Arbeitsteilung niemals als solches aus der ‚Kapitallogik‘ oder ‚Kapitalstrategien‘, sondern auch jedes konkretes Akkumulationsregime ist das Produkt der Interferenz unterschiedlicher Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse.
Demgegenüber habe ich den Eindruck, daß die diesbzgl. Ausführungen von Tove eine ökonomistische und klassenreduktionistische Schlagseite haben:„Es ist meine These, dass dem Phänomen einer ethnisierten Umverteilung von Hausarbeit, das gegenwärtig unter dem m. E. unglücklichen Etikett ‚deutsche Karrierefrau mit migrantischer Haushaltshilfe‘ verhandelt wird, nur begegnet werden kann auf der Grundlage eines eingehenden Verständnisses der veränderten Dynamiken des Akkumulationsregimes, wie sie spätkapitalistische Gesellschaften kennzeichnen.“
„Wenn man diesen Umstand nun als ‚Doing Ethnicity‘ (Lutz 2007, S. 224-227) verhandelt und damit der ‚erfolgreichen Karrierefrau‘, die eine ‚migrantische Haushaltshilfe‘ in ihrem Haushalt beschäftigt, in der Tendenz Rassismus unterstellt, so scheint mir dies genau jene Privatisierung einer gesellschaftlichen Problemlage zu wiederholen, die für das Geschlechterverhältnis schon immer konstitutiv war.“Mir scheint, sowohl analytisch als auch für die Entwicklung politischer Gegenstrategien ist durchaus wichtig zu wissen, wie sie sub-jekte durch doing ethnicity, doing gender und doing class (vgl. bei FN 10) in den Wandel von Akkumulationsregimen und die Reproduktion von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen aktiv eingebunden sind.
[zurück]
Ich komme eigentlich auch aus einer queer-feministischen Ecke und würde bestimmte Grundsätze auch definitiv weiter hochhalten. Inzwischen haben diese postmodernen/poststrukturalistischen Ideologien eine solche Verbreitung gefunden, dass das Pferd von hinten aufgezäumt werden muss. Erst, wenn die Kritik an diesen voll entfaltet und bis tief in die linke Szene hinein verstanden ist, dann lässt sich die Frage stellen, was von diesen Ideen brauch- und nutzbar ist.
Eine seichte Kritik, die nicht diese Theorien entzaubern und bloßstellen, sondern nur etwas korrigieren möchte wird von ihnen aufgesogen.
Es ist inzwischen schon so weit, dass die größten ApologetInnen dieser postmodernen Ideologien, das AntiSexismusBündnisBerlin, anderen Strömungen ernsthaft „Entradikalisierung“ vorwirft(vgl. http://phase2.nadir.org/rechts.php?artikel=793). Das ist wahrlich grotesk. Hier gibt es überhaupt keinen Begriff mehr von radikaler Gesellschaftskritik und es wird in großen Kreisen der postautonomen Linken nicht verstanden, dass dies etwas anderes ist als Antidiskriminierungspolitik.
By the way: es wäre der Lesbarkeit und der Diskussion zuträglich, wenn du die Themen auf mehrere Artikel aufteilst. Ein Gedanke, ein Artikel statt versuchen alles in einen zu packen. Aus diesem hätte man auch sechs eigene Artikel machen können. (s. http://imgriff.com/2008/08/05/besser-schreiben-auf-einfaelle-verzichten/)
An den/die Autor_in:
Natürlich finde ich es voll wichtig, nichts Geringeres als das revolutionäre Ziel im Blick zu haben: die weitestgehend befreite Gesellschaft. Nicht überzeugend finde ich aber deine Kritik am Menschenrechtsdiskurs von „Transrespekt vs. Transphobie“ oder dem „Queeren Bündnis Walter Tróchez“. Zitat:
„Wer/welche dennoch versucht, Kritik an moderner Herrschaft und Ausbeutung in juristischer oder pseudo-juristischer Terminologie zu formulieren, muß zwangsläufig Analyse durch Pathos und Strategie durch Lamentieren ersetzen.“
Analyse und Strategie sprichst du den Leuten ab, behauptest, sie würden nur pathetisch sein und klagen. Vielleicht würde es helfen, sich mal etwas fundierter mit den Inhalten auseinanderzusetzen? Was konkret gedenkst DU im gegebenen Rahmen zu tun, um transphobe Morde weltweit zu verhindern?
Du kannst analysieren, dass alles nur auf den Kapitalismus zurückzuführen ist. Und die revolutionäre Strategie „Kapitalismus abschaffen“ wählen. Ich bin dabei. Da das Ziel aber auch ein halbes Jahr nach dem Verfassen deines Beitrags noch nicht erreicht ist, stellt sich die Frage, ob du nicht unterdessen etwas machen kannst, etwa um transphobe Morde zu verhindern.
Achselzucken? Muss es wirklich ein Widerspruch sein, auf Rechte zu rekurrieren bzw. Unrecht/Ungerechtigkeit transparent zu machen und zu verfolgen UND für eine Aufhebung der Hetero- und Zweigeschlechternorm/des Kapitalismus zu kämpfen? Die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen bringt nachweislich etwas, wenn auch nicht alles. Aber für jede_n einzelne_n macht es vermutlich einen Unterschied, ob er/sie überlebt.
Zu pathetisch? Was ist die Alternative? Den Rahmen ignorieren, rhetorisch alles wollen, über das „Lamento“ der anderen lamentieren?
So wichtig das Morgen ist, bitte vergiss doch das Jetzt nicht!
@ Laika:
Eine indirekte Antwort findet sich nunmehr dort:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/04/19/worum-geht-es-eigentlich-dem-transgenialen-csd/#comment-5525
Fortsetzung der Diskussion:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/17/diskussion-ueber-antidiskriminierungspolitik-revolutionaerem-feminsmus-und-nebenwiderspruchs-marxismus/
Sozusagen noch eine Fortsetzung zum hiesigen Artikel:
Eine revolutionär-feministische Perspektive auf die „linksradikale, queerfeministische Perspektive“ (von Samstag) auf den 8. März
https://linksunten.indymedia.org/de/node/108153