Bei YouTube gibt es einen Video-Mitschnitt, der allerdings erst während der schon begonnenen Rede einsetzt1:
„[…] zum Beispiel einige der VeranstalterInnen haben sich explizit rassistisch geäußert beziehungsweise sich nicht von diesen Äußerungen distanziert. Die veranstaltenden Organisationen weigern sich, antirassistische Politiken als wesentlichen Teil ihrer Arbeit zu verstehen. In diesem Sinne muß ich mich von {dieser Komplizenschaft mit? – nicht genau zu verstehen, TaP} Rassismus, einschließlich antimuslimischen Rassismus, distanzieren. Wir haben alle bemerkt, daß Homo-, Bi-, Lesbisch-, Trans-, Queer-Leute benutzt werden können von jenen, die Kriege führen wollen, d.h. kulturelle Kriege gegen MigrantInnen durch forcierte Islamophobie und militärische Kriege gegen Irak und Afghanistan. Während dieser Zeit und durch diese Mittel werden wir rekrutiert für Nationalismus und Militarismus. Gegenwärtig behaupten viele europäische Regierungen, daß unsere schwule, lesbische, queer Freiheit beschützt werden muß, und wir sind gehalten, daß der neue Haß gegen MigrantInnen nötig ist, um uns zu schützen. Deswegen müssen wir nein sagen zu einem solchen deal. Und wenn man nein sagen kann unter diesen Umständen, dann nenne ich das Courage. Aber wer sagt nein? Und wer erlebt diesen Rassismus? Wer sind die queers, die wirklich gegen eine solche Politik kämpfen? Wenn ich also einen Preis für Courage annehmen würde, dann müßte ich den Preis direkt an jene weiterreichen, die wirklich Courage demonstrieren. Wenn ich so könnte, dann würde ich den Preis weiterreichen an folgende Gruppen: […]“
Anmerkungen:
1. Es folgt in der Rede eine Aufzählung und kurze Vorstellung verschiedener Gruppen. (Vielleicht habe ich später noch Muße das Video weiter abzutippen.)
2. Rassismus-Vorwürfe zu erheben, ohne ein einziges konkretes Beispiel, ein einziges konkretes Zitat zu nennen, ist immer und auch im vorliegenden Fall zu kritisieren. Im vorliegenden Fall bleibt außerdem noch in der Schwebe, ob sich die VeranstalterInnen selbst rassistisch geäußert haben sollen oder sich nur nicht distanziert haben.
3. Eine solche Vorgehensweise gießt nur Öl in eine Debatte zwischen ‚antinationalen’ (ehemals: antideutschen) und ‚antiimperialistischen’ Gruppen, deren sachlicher Kern seit Jahren immer mehr mit wechselseitigen Rassismus- und Antisemitismus-Vorwürfen, die in der Regel kaum oder nur sehr vage begründet werden, zugeschüttet wird.
4. Zweifelsohne ist es von Berkeley aus schwierig, sich zu solchen Berliner Lokalstreitigkeiten fundiert und mit konkreten Belegen zu äußern. Aber das zeigt nur wieder einmal, wie schwierig ist es, weltweit politisch intervenieren zu wollen.
Fundierte Diskussionen, zumal wenn es um Details konkreter politischer Auseinandersetzungen geht, benötigen den Austausch von Detail-Wissen, und dieser Austausch benötigt auch unter heutigen Bedingungen erhebliche Zeit. Das internationale Feld sollte auch heute in allererster Linie ein Feld der theoretischen Diskussion (ohne Zeitdruck), nicht des direkten politischen Intervenierens (unter Zeitdruck) sein.
5. Jedes Intervenieren von Ferne beinhaltet die Gefahr von Paternalismus und Alternativ-Imperialismus. Wenn auch meine Sympathien alles andere als bei der reformistischen, konsumistischen und kommerzialisierte Praxis des mainstream-CSD liegt (und erstrecht jede Sorge vor einer Kolonialisierung deutscher CSD-Veranstaltungen durch us-amerikanische Intellektuelle fehl am Platze wäre), zeigt dies Beispiel von Rassismus-Vorwürfen ohne Belege doch, daß diese Methode des Intervenierens von Ferne als solche problematisch ist. Die falsche Methode wird nicht richtig, wenn sie für die gute Sache angewendet werden.
6. Ohne für Mittellinien-Seichtigkeit und öffentlich-rechtliche Ausgewogenheit plädieren zu wollen, weist die Rede, jedenfalls soweit sie in dem verlinkten Video aufgezeichnet wurde, doch eine gravierende Leerstelle auf: Antisemitismus in Deutschland, Antisemitismus weltweit, kommt in dem aufgezeichneten Rede-Teil nicht vor.2 Und auch, daß es tatsächlich islamisch (genauso wie christlich) begründete Trans- und Homophobie gibt, kommt in dem aufgezeichneten Rede-Teil nicht vor.
Linker Antiimperialismus kann nur rekonstruiert werden, wenn inflationäre Antisemitismus-Vorwürfe der einen Seite nicht mit Schweigen zu Antisemitismus von der anderen Seite beantwortet werden.
Linker Antiimperialismus sollte sich weder imperialistischen Nationalismus noch antiimperialistischen Gegen-Nationalismus zu eigen machen. Linker Antiimperialismus muß von einem antikapitalistischen, feministischen, antirassistischen und gegen Antisemitismus gerichteten Standpunkt aus erfolgen. Linker Antiimperialismus kann nur rekonstruiert werden, wenn der Antiimperialismus nicht zu einer Unterordnung unter antiimperialistischen Gegen-Nationalismus führt.
7. Zur Reaktion der Moderatoren auf die Preisannahme-Verweigerung ist alles nötig im blog im garten mit satie bereits gesagt.
8. Weitere Anmerkungen zur Preisannahme-Verweigerung und Hinweise auf weiterführende links finden sich dort: http://theoriealspraxis.blogsport.de/2010/06/20/eine-radikale-geste-mit-schalem-nebengeschmack/.
Nachtrag vom 25.06.2010:
► Offizielle CSD-Stellungnahme zu Butlers Preisannahme-Verweigerung [nebst Übersicht über die bisherige Diskussion]
http://maedchenblog.blogsport.de/2010/06/25/offizielle-csd-stellungnahme-zu-butlers-preisannahme-verweigerung/
- Lt. http://www.l-talk.de/gesellschaften/judith-butler-csd-nicht-antirassistisch-genug.html soll es sich nur um einige Sekunden handeln, die fehlen. [zurück]
- Vgl. dazu auch bereits zu dem Vortrag, den Judith Butler am Freitagabend in der Berliner Volksbühne hielt: „Manchmal wird es ein bisschen brenzlig. Etwa dann, wenn Butler sich eher unkritisch mit Palästinensern solidarisiert, ohne mit einem Wort auf die ebenfalls prekäre Lage Israels einzugehen.“ (http://theater.blogsport.de/2010/06/19/judith-butler-in-der-volksbuehne/ und http://theater.blogsport.de/2010/06/19/judith-butler-in-der-volksbuehne/#comment-3) [zurück]
Hallo,
hier der Anfang der Rede, aber vielleicht fehlt immer noch was:
http://www.3sat.de/mediathek/mediathek.php?obj=19172&mode=play
Vielen Dank.
Der dort gezeigte Anfangssatz der Rede lautet: „Wenn ich darüber nachdenke, was es heutzutage heißt, einen solchen Preis zu akzeptieren, dann finde ich, daß ich meine Courage eher verlieren würde, wenn ich ihn unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen einfach akzeptiere.“
Der Anfang des bereits bekannten Videos („[…] zum Beispiel einige der VeranstalterInnen haben sich explizit rassistisch geäußert beziehungsweise sich nicht von diesen Äußerungen distanziert.“) deutet aus grammatikalischen Gründen darauf hin, daß immer noch ein Stück fehlt.