Heute bei Facebook gepostet – jetzt auch mit Ergänzung vom 03.03. - zur dortigen Selbstbeschreibung des Institut Solidarische Moderne:
Eine interessante Idee, und dennoch habe ich ein schwerwiegendes Bedenken:
Die grundlegende Prämisse des Instituts scheint in der Formulierung impliziert zu sein, „dass aus der danach [nach der „programmatische politische Alternative zum Neoliberalismus“] fragenden gesellschaftlichen Mehrheit wieder eine politische Mehrheit in demokratischen Wahlen“ werden solle.
Ich sehe eine solche „gesellschaftliche Mehrheit“ z.Z. nicht:
1. Die drei für ein solches Projekt in Betracht kommenden Parteien sind in heutigen sozialen Bewegungen viel weniger vertreten, als es die Grünen in den 80er Jahren waren. Auch massenmedial-diskursiv ist kaum etwas von einem Fragen nach „programmatische[n] politische[n] Alternative zum Neoliberalismus“ zu bemerken.
2. Es ist nicht einmal eine arithmetische Mehrheit in Sicht (die bei der letzten Bundestagswahl nur an Wahlrechts-Feinheiten wie 5 %-Hürde und Überhangmandaten gescheitert wäre). Wahr ist vielmehr: „Gegenüber 1998“ – das war das erste mal, daß es auf Bundesebene eine Mehrheit links von Union und FDP gab – „ist das rot-rot-grüne Lager massiv eingebrochen und dessen rot-grüner Teil massiv nach rechts gewandert. Und SPD und Linkspartei zusammen sind schwächer als die SPD von 1961 bis 2002 allein; nur geringfügig stärker als die SPD 2005; in etwa genauso stark wie SPD und KPD 1949 zusammen. Nur 1953 und 1957 fielen die Ergebnisse von SPD + KPD bzw. SPD noch (geringfügig) schlechter aus.“ (http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/27/fuenf-anmerkungen-zum-wahlergebnis/)
3. Eine „programmatische politische Alternative zum Neoliberalismus“ ist schon gar nicht vorhanden. Aber daran will das Institut ja erfreulicherweise arbeiten. Daß das zum Erfolg wird, setzt allerdings voraus, die massive Präsens neoliberaler Strömungen in Grünen, SPD und selbst der Linkspartei zur Kenntnis zu nehmen.
4. Es sollte daher beim gegenwärtigen Stand der Dinge auch nicht darum gehen, eine angeblich schon vorhandene Mehrheit in „eine politische Mehrheit in demokratischen Wahlen“ – d.h. ein parlamentarisches Projekt – zu verwandeln.
Was – in diesem Bereich – ansteht, ist vielmehr:
1. Ökologische und feministische Anliegen aus ihrer neoliberalen Umklammerung, der sie bei den Grünen seit 15 bis 20 Jahren unterliegen, zu befreien.
2.a) Bei großen Teilen der Linkspartei überhaupt erst einmal eine Sensibilität für ökologische und feministische Anliegen zu schaffen.
b) Die Situation zu überwinden, daß diejenigen in der Linkspartei, die klar gegen eine neoliberale Politik und tendenziell für eine antikapitalistische Position stehen, und diejenigen, die für ökologische, feministische und andere Anliegen der sog. neuen sozialen Bewegungen offen sind, sich nicht mehr in erster Linie von einander abgrenzen und sich beide gleichzeitig dem sozialdemokratischen mainstream in der Linkspartei an die Brust werfen, sondern zu einer Diskussion und Kooperation miteinander finden.
3. Vom Zustand der SPD gar nicht zu reden.
Ansatzweise scheint mir diese Problemlage reflektiert zu werden, wenn es heißt: „Es geht darum, an die industrielle Moderne und die Postmoderne anzuknüpfen, und beide zu einer neuen, solidarischen Moderne weiterzuentwickeln“. Mal abgesehen von Terminologie-Fragen: Die nach der Bundestagswahl installierte SPD-Führung (Gabriel/Steinmeier) und die jetzt designierten Linkspartei-Vorsitzenden (Ernst/Lötzsch) stehen für ein solches Projekt so gar nicht. Diese Personalangebote haben den Charme von „industrielle Moderne“ + (insb. auf SPD-Seite) großer Offenheit für den Neoliberalismus (was ja wohl nicht mit „Postmoderne“ in dem zitierten Satz synonym sein soll).
Wenn sich dem nicht aller Schärfe gestellt wird, dann wird ein rot-rot-grünes Projekt genauso enden, wie das rot-grüne Projekt unter Schröder – oder noch schlimmer.
Vgl. ergänzend auch noch meine Antwort von Mi., den 03.02., um 13:29 auf die Frage von Sven Giegold an die LeserInnen der Facebook-Seite des Instituts:
Welche Vorschläge habt Ihr?
1. Die InstitutsgründerInnen sollten m.E. ihre Situationsanalyse (‚gesellschaftliche Mehrheit ist schon vorhanden; fehlt nur noch die politische‘) noch einmal überdenken. S. das von mir im discussion board zum dem Thema Geschriebene [gemeint war der oben dokumentierte Text].
2.a) Im Sinne der m.E. zunächst vorrangig im gesellschaftlichen Bereich liegenden Aufgabe sollten sich die InsitutsmacherInnen klar zu den Linken positionieren, die, wenn sie „politisch“ sagen, nicht gleich „parlamentarisch“ meinen.
b) Wenn auch diese Linken angesprochen werden soll, wäre es – als eher sprachlich-symbolische Sache – dringend angesagt, sich sich von „freiheitlich“ (diesem falschen, staatsschützerischen Lernen aus dem Scheitern der Weimarer Republik – ich kann das hier, in der gebotenen Kürze, nur andeuten) in der Gründungserklärung und der Satzung zu verabschieden.
§ 2 I Satzung
Der Verein … verfolgt den Zweck, gesellschaftspolitische Ideen und Handlungskonzepte im Sinne … der freiheitlichen Demokratie auf der Grundlage einer sozialpflichtigen und ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsordnung zu erarbeiten
Das ist nicht Postmoderne, sondern 50er Jahre (Art. 18, 21 + 14 II GG: Grundrechtsentzug + Parteiverbot als Peitsche und ‚Eigentum verpflichtet‘ [so wie früher Adel verpflichtete…!] als Zuckerbrot).
Gründungsaufruf
Grundwerten der freiheitlichen Selbstbestimmung
„Grundwerte“ – auch so ein Begriff aus der BRD-Staatsideologie. Und statt des Kalte Kriegs-Begriffs „freiheitlich“ würde zumindest „frei“ reichen; wenn nicht einem linken und nicht neoliberalen Projekt ohnehin „demokratische Selbstbestimmung“ viel angemessener wäre.
3. Ist Erwerbsarbeit nicht mehr zentral?
Gründungsaufruf
Zu den konzeptionellen Schwächen der industriellen Linken gehörte und gehört ebenso die Fokussierung auf Erwerbsarbeit und eine damit einhergehende Ignoranz gegenüber anderen, gesellschaftlich gleichermaßen bedeutenden Tätigkeiten wie Reproduktionsarbeit, politisches Engagement, Bildungsarbeit und Muße.
Das mit der Reproduktionsarbeit ist völlig richtig.
Das mit der „Bildungsarbeit und Muße“ hat dagegen für meine Ohren aber einen etwas merkwürdigen Klang. Vgl. meine Anmerkung im discussion board zur „Proletariate“-Diskussion.
Was konsumiert werden soll, muß erst einmal produziert werden – und das ist auch heute noch kein rein geistiger Prozeß und schon gar nicht durch Muße zu bewirken.
Derartig laxe Formulierungen bieten dem Neoliberalismus Einfallstore.
Denn PRAKTISCH lief die Diskussion über eine Entkoppelung des Einkommens von Arbeit bisher auf eine Entkoppelung der Arbeit von Einkommen hinaus.
4. – und das ist vielleicht die grundlegende Frage – müßte nüchtern analysiert werden: Welche Reformspielräume bestehen heute überhaupt? Und welche massiven gesellschaftlichen Mobilisierungen und Kämpfe wären allein schon dafür nötig, um diese durchzusetzen?
Und warum sind die Projekte von Allende in Chile, von Mitterrand/Marchais in Frankreich sowie von Schröder/Fischer hier so ausgegangenen, wie sie ausgegangen sind?
Persönliche Schwächen der Akteure (Feigheit auf der einen und Verrat auf der anderen Seite) dürften jedenfalls die schlechtesten Erklärungen sein.
Und wie haben sich die strukturellen Kampfbedingungen und Kräfteverhältnisse seitdem noch mal verändert?