- Exzerpt aus Anlaß von gf [= gender ficken] – 14. November 2009 um 1:09 Uhr -
„was heißt freiheit, tap?“
Auf dem Kongreß der Bundeskoordination Internationalismus des Jahres 2008 fand u.a. eine Diskussion über „Globale Soziale Rechte“ (GSR) statt. In einem der Vorbereitungstexte wurde u.a. der Satz formuliert: „Rechte sind immer die Rechte der Anderen.“ Aus diesem Anlaß schrieb ich damals u.a. das Untenstehende; eine Kurzfassung des Gesamt-Textes findet sich hier.
Die Fußnoten und Literaturangaben zu dieser Passage liefere ich bei Gelegenheit nach. Die Verwendung der Ausdrücke „negativ“ und „positiv“ zur Charakterisierung zweier unterschiedlicher Freiheits-Begriffe geht auf den Erz-Liberalen Isaiah Berlin, Zwei Freiheitsbegriffe, in: ders., Freiheit . Vier Versuche, Fischer: Frankfurt am Main, 2006, 197 – 256, 313 – 319 (engl. Erstveröff.: Clarendon Press: Oxford, 1958) zurück.
Auch zu ihm und der Frage, wo meine kommunistische Kritik an dem Liberalen Isaiah Berlin ansetzt, kommt demnächst mehr.
Rosa Luxemburg, ‚negative’ Freiheiten und ‚positive’ Rechte
c) Es ließe sich schon einiges gegen den in aller Regel aus dem Kontext des Luxemburgischen Gesamtwerkes gerissenen – und deshalb entgegen Luxemburgs eigenen Zwecken instrumentalisierten – Satz „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“ sagen. Dessen Reformulierung als „Rechte sind immer die Rechte der Anderen.“ führt allerdings endgültig in die Irre, denn sie verkennt den Unterschied zwischen Freiheiten und Recht, zwischen liberties und rights. Freiheit ist in der Tat (außer für StalinistInnen und andere Gemeinschafts-IdeologInnen) immer sog. ‚negative’ Freiheit . Diesen Aspekt der ‚Negativität’ betont der Original-Luxemburg-Satz: Freiheiten eröffnen einen Spielraum zum willkürlichen Selber-Entscheiden, d.h.: vorher Selber-Denken. Wenn ich nicht nur beanspruche zu wissen, was gut für den/die AndereN ist, (und dafür meine Argumente vorbringe), sondern – darüber hinaus – auch noch erfolgreich beanspruche, an Stelle des/r Anderen zu entscheiden, dann ist der/die Andere nicht frei, sondern unfrei – mag es ihm/ihr mit meiner Entscheidung auch noch so gutgehen.
Der umformulierte, von Freiheiten auf Rechte übertragene Satz der VerfechterInnen des GSR-Konzeptes bedeutet dagegen entweder eine Banalität oder ist aber sogar eine Karikatur auf Luxemburgs Satz: Der umformulierte Satz kann die Banalität bedeuten, daß andere einen Rechtsanspruch gegen mich haben (können). Z.B.: Wenn ich eine Ware kaufe und entgegennehme, hat der/die andere das Recht, den Kaufpreis von mir zu verlangen. Soweit ist die Sache gleichermaßen unspektakulär wie unrevolutionär. In der karikierenden, weil tatsächlich eine Analogie zwischen Rechten und Freiheiten aufmachenden Bedeutung wird dagegen verdrängt, daß Freiheiten bedeuten, Beliebiges (im Geltungsbereich der jeweiligen Freiheit) tun zu dürfen (was die Akzentuierung der ‚Negativität’ der Freiheit – die Freiheit ist nicht meine, sondern die des/r Anderen – vollauf berechtigt macht), während Rechte immer bedeuten, etwas Bestimmtes (Konkretes) verlangen zu dürfen. Wer/welche in diesem – abweichenden – Kontext Luxemburgs Formulierung wiederaufgreift, macht sie zu einem netten Spruch, ohne ihren Sinn zu verstehen.
[…]
Grundrechtsausübung erleichtern – ohne Autopoiesis
Auch für die faktischen Möglichkeiten, daß Rechte und Freiheiten nicht nur bestehen, sondern auch tatsächlich genutzt werden können, ist sicherlich einiges zu tun. Und völlig gleiche Möglichkeiten zur Rechtsausübung setzen sicherlich nicht weniger als die Beseitigung sämtlicher Ausbeutung und Herrschaft voraus. Nur ergibt sich diese Beseitigung – wie ebenfalls bereits dargelegt – nicht autopoietisch (selbst-schaffend) aus den Menschenrechten im allgemeinen oder – sei es im positivistischen oder überpositivistischen Sinne verstandenen – subjektiven globalen sozialen Rechten im besonderen. Vielmehr bedürfte es zahlreicher konkreter politischer Diskussionen und Entscheidungen über die Frage, wie denn – u.d.h.: vor allem mit welchen objektivrechtlichen Regelungen und faktischen Maßnahmen – civil rights & liberties besser implementiert werden können.
Das Beispiel Pressefreiheit
So ist es bspw. keine besonders schlagkräftige Ideologiekritik, zu sagen, die Pressefreiheit sei nur ein Grundrecht für Reiche, und sie müsse statt dessen zu einem Grundrecht für alle gemacht werden. Wer/welche so redet ist vielmehr so vollständig in der juristischen Ideologie gefangen, daß er/sie gar keinen Unterschied mehr zwischen Recht und Wirklichkeit sieht und jeden ‚Mangel’ in der Wirklichkeit zugleich für einen Mangel des Rechts hält. Die Pressefreiheit gilt aber in bürgerlich-parlamentarischen Staaten wirklich für alle. Wahr ist allerdings, daß die Möglichkeiten zu ihrer Ausübung sehr ungleich verteilt sind. Dies ist aber nicht als Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit (s. dazu grundsätzlich die Kritik von Marx in FN #) des Grundrechts der Pressefreiheit abzubilden; das Grundrecht auf Pressefreiheit verspricht nicht mehr, als es auch tatsächlich realisiert: das Recht, unbehelligt vom Staat publizistisch tätig zu sein.
Oder anders gesagt: Es wäre eine unsinnige Forderung, von den Gerichten zu verlangen, sie sollten denjenigen, denen es an den ökonomischen Mitteln zur Herausgabe einer Zeitung fehlt, in ‚Umsetzung’ des Grundrechts der Pressefreiheit diese Mittel verschaffen. Dies wäre nicht Grundrechtsumsetzung, nicht Rechtsprechung, sondern Rechtssetzung (Gesetzgebung). Und selbst an den parlamentarischen Gesetzgeber wäre es eine unsinnige Forderung, er solle in Ergänzung der bisher ‚nur formellen’ Pressefreiheit ein ‚materielles’ Grundrecht auf Pressefreiheit in der Form schaffen, daß der Staat jedem/r, der/die mit der Auflagenhöhe der Bild-Zeitung konkurrieren möchte, aber nicht über das nötige Kapital verfügt, dieses als Subvention zur Verfügung stellt. Dieses Problem ist nicht (allein) in Form der Forderung und Schaffung neuer subjektiver (globaler) sozialer Rechte zu lösen (und auch nicht im Wege deren autonomer ‚Aneignung’ nach dem Motto: ‚Wir machen solange Banküberfälle, bis wir das Kapital für eine eigene Zeitung zusammen haben.’ oder: ‚Was ist das Ausrauben einer Bank gegen das Verlegen der Bild-Zeitung?’), sondern nur im organisierten, politischen Angriff auf die Verfügungsrechte der EigentümerInnen der bereits bestehenden Medienkonzerne – und was als Ersatz zu schaffen ist, ist (in Anbetracht der bekannten, unterschiedlichen ‚Mängel’ sowohl des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als auch freier Radios) nicht einfach zu beantworten – und schon gar nicht mit der Formel soziale Rechte seien wichtiger als politische Freiheiten.
Demokratische Reformalisierung statt ent-demokratisierender Pseudo-Materialisierung
d) Bzgl. des Forderns neuer Rechte oder allgemeiner des Forderns von Änderungen des geltenden Rechts ist damit schon einiges gesagt: Es kann keinesfalls allein um die Forderung von mehr subjektiven Rechten gehen; vielmehr wird die Änderung objektivrechtlicher Regelungen eine große Bedeutung haben. Und soweit auch neue subjektive, insb. soziale, Rechte zu fordern sind, wird es in den seltensten Fällen sinnvoll sein, diese auf dem Abstraktionsniveau von Grundrechten anzusiedeln:
Hinsichtlich der ‚negative’ Freiheiten ist dieses Abstraktionsniveau nur konsequent, da den GrundrechtsträgerInnen schlicht ein Spielraum zum Entscheiden gemäß eigener Willkür gewährt wird. Hinsichtlich Rechten ist ein solches Abstraktionsniveau dagegen ideologisch; ein Recht, das nicht ‚positiv’, d.h.: konkret ist, ist praktisch gar nicht.
Es kann also nicht darum gehen, noch mehr abstrakt formulierte soziale Grundrechte zu fordern, die nunmehr womöglich nicht Programmsätze oder Staatsziele bleiben sollen, sondern ‚oben’ – vor Verfassungsgerichten und internationalen Gerichtshöfen – als subjektive Rechte einklagbar sein sollen, sondern darum Entscheidungs-, u.d.h. u.a. Rechtssetzungsprozesse zu demokratisieren und nach ‚unten’ hin zu öffnen. Es sei hier also der Forderung nach einer immer weitergehenden ent-demokratisierenden Pseudo-Materialisierung des Verfassungsrechts im allgemeinen und der Menschenrechte im besonderen vielmehr die Forderung nach deren demokratische Reformalisierung entge-gengesetzt (vgl. Hase/Ladeur/Ridder 1981, 795, re. Sp. Mitte – 796, re. Sp. Mitte). „Die Form“ – in unserem Fall: die Form der Entscheidungsfindung – „ist wesentlich.“ (Lenin 1914, 134). Folglich sind politische Freiheiten – die demokratische Republik, die „freiere, offenere Form des Klassenkampfes“ – kein ‚Mittelschichts-Luxus’, sondern „eine riesige Erleichterung im Kampf“ (Lenin 1917/18, 467 – Hv. i.O.).
[…]
Civil rights & liberties – Partizipationsrechte statt Religionsersatz
e) Sicherlich ist die alte Sponti-Parole „Legal, illegal, scheißegal“ viel zu einfach. Aber was nach alldem – intellektuellen und militärischen – Menschenrechts-Terror (für den die Individuen nur als „‚Material’ der Menschenrechtsverwirklichung’“, aber nicht als politische AkteurInnen existieren [vgl. Maus 1999, 284, s.a. 275 f., 277 und insoweit auch: Steyerl 2000, nach FN 25 [im Namen von Menschenrechten werde „politische Partizipation“ durch Caritas ersetzt], s.a. nach FN 37) der letzten Jahre, ja wir können bald schon sagen: Jahrzehnten , not tut, ist eine Enttabuisierung von Rechten: Die Linke muß nicht gut finden, daß die Menschenrechte das Eigentum und die ‚natürliche Familie’ schützen; und sie muß sich auch dem Problem stellen, daß eine Revolution ohne Repression der Reaktion ein ‚Messer ohne Klinge’ (vgl. Pêcheux 1978, 64) ist – auch wenn die realsozialistische Erfahrung gezeigt hat, daß es verhängnisvoll ist, diese Aufgabe vorrangig an einen (und sei es „proletarisch“ genannten) Staatsapparat zu delegieren.
Re-Politisierende Legalstrategien statt ent-politisierender Menschenrechtsphilosophie
3. Das GSR-Konzept ist also keine Lösung für die programmatischen und strategischen Defizite der Linken ist. Anders als mit dem GSR-Konzept implizit beansprucht wird, kann sinnvolle linke Rechtspolitik nicht auf ein paar einfache, vereinheitlichende Forderungen (eine handvoll von ‚angeborenen [sozialen] Menschenrechten’, deren Berechtigung jedeR billig und gerecht Denkende anerkennen müsse) reduziert werden – und alles Weitere ergibt sich dann durch einfaches beim Wort-nehmen und logisches Konsequenzen-ziehen. Vielmehr wären komplizierte, auf unterschiedliche Situationen zugeschnittene rechtstechnische Regelungen erforderlich, wenn GSR nicht nur schöne Worten sein, sondern materielle Veränderungen bewirken sollen. Rechtsforderungen können also keine programmatische Diskussion ersetzen; auch lassen sich keine politische Programme aus Rechtsforderungen oder gar Rechtsphilosophien ‚ableiten’, vielmehr taugen Rechtsforderungen allenfalls als technische Konkretisierung und Umsetzung politischer Programme.
Soviel Distanz gegenüber dem Recht sollte sich eine nicht nur „emanzipatorische“, sondern auch realistische Linke allemal bewahren – auch wenn die Forderung der GSR-KritikerInnen nach pauschaler „Ent-Rechtlichung“ nur das linksradikale Gegenstück zu neo-liberalen Deregulierungsforderungen ist. Statt pauschal Ent-Rechtlichung zu fordern oder genauso blind Verrechtlichung zu betreiben, ist vielmehr in jeder konkreten Situation nach Antworten auf die folgenden komplizierten Fragen zu suchen: „wie können unter Bedingungen verrechtlichter Beziehungen rechtliche Argumentationen der entpolitisierenden Funktion von Verrechtlichung entgegenarbeiten? Oder: wie können Legalstrategien Re-Politisierungsprozesse sozialer Konflikte eröffnen?“ (U. Mückenberger 1975, 63).
Ich habe in dem vorliegenden Text versucht, auf der allgemeinen Ebene, auf der die GSR-VerfechterInnen die Diskussion angestoßen haben, einige Antworten auf diese Fragen zu geben: Re-Politisierung ist nicht durch rechtsphilosophische ‚Höherlegung’ der politischen Diskussion zu erreichen, sondern politische Erfolge kann die Linke im juristischen Bereich nur im Bewußtsein der Rechtsform, ihrer Grenzen und Gesetzmäßigkeiten (ihrer ‚Logik’) erreichen – nicht indem sie, um noch einmal die Worte Tucholskys anzuführen – Himbeeren von einem Bananenbaum verlangt. Oder wie es in der Plattform der Initiative für Globale Soziale Rechte heißt: Es könne „nicht um das freihändige Erstellen eines Katalogs der Wünschbarkeiten gehen“. Die Frage scheint mir nur zu sein, was dann – wenn dies beachtet wird – vom GSR-Konzept noch übrig bleibt.
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