[Noch zwei (30.09; 14:36 h) weitere (30.09; 15:31 h) meiner Kommentare aus der SM-Diskussion beim Mädchenblog]
@ Mirabella – 30. September 2009 um 12:40 Uhr
I. Die Grundsatzdifferenz
Mir scheint, Du definierst Diskriminierung so, daß diese nur vorliegt, wenn irgendetwas gegen den Willen einer der beteiligten Personen erfolgt – und alles andere ist Deines Erachtens auch politisch kein Problem.1
Definieren kannst Du natürlich wie Du willst, aber bei der politischen Bewertung würde ich Dir widersprechen, und deshalb scheint mir auch ein weiterer Begriff von „Diskriminierung“ (wenn wir denn den Ausdruck überhaupt verwenden wollen) sinnvoll.
Herrschaft und Ausbeutung (diese Begriffe sind m.E. vorzuziehen) liegen auch dann vor, wenn die Beherrschten und Ausgebeuteten mit diesen Verhältnissen einverstanden sind. Diese Begriffe bezeichnen objektive Sozialstrukturen, nicht die Haltung von einzelnen Subjekten dazu. Sklavenarbeit ist Ausbeutung, auch wenn die Sklavin gerne Sklavin ist (oder sich nichts anderes vorstellen kann); Leibeigenenarbeit ist Ausbeutung, auch wenn der Leibeigene gerne Leibeigner ist; Lohnarbeit ist Ausbeutung, auch wenn die ArbeiterInnen ihre Arbeitsverträge freiwillig unterschreiben. Hausarbeit, verrichtet von Frauen für Männer gegen eine bloße ‚Aufwandentschädigung‘ (gesetzlicher Unterhalt oder sogar nur Taschengeld oder sogar ganz ohne Gegenleistung, falls die Hausfrau über [geerbtes] Vermögen verfügt), ist Aneignung von Frauenarbeit durch Männer; ist Ausbeutung. Und es ist immer noch Ausbeutung, wenn es sich um eine queere Haus-femme und eine queere butch (ob schwul oder lesbisch) handelt.
Und da Herrschaft nicht zwangsläufig mit Maschinengewehren ausgeübt wird, sondern auch – und in der Regel – mittels Ideologischer Staatsapparate, liegt auch Herrschaft nicht erst dann vor, wenn die Leute mit vorgehaltener Waffe zu etwas gezwungen werden.2
(Auf dieser Prämisse aufbauend kommt gleich noch etwas zu den Details.)
- Ich schließlich dies bspw. aus diesen Passagen und deren Kontext: „und das völlig ohne Diskriminierung“; „Weil die Paare das untereinander so entscheiden.“ [zurück]
- Wahr ist allerdings, daß es schwierig ist, gegen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse zu kämpfen, wenn die Beherrschten und Ausgebeuteten mit diesen Verhältnissen einverstanden sind, aber das ist noch ein anderes (strategisches) Problem*, was von der analystischen Frage, ob Herrschaft und Ausbeutung vorliegen, zu unterscheiden ist.
* http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/15/warum-ideologie-kein-notwendig-falsches-bewusstsein-ist-und-aus-einer-erkenntnis-nicht-automatisch-eine-bestimmte-politische-haltung-folgt/; http://theoriealspraxis.blogsport.de/1992/08/15/der-beitrag-der-althusser-schule-zur-marxistischen-theorie-des-klassenbeweusstseins-unter-besonderer-beruecksichtigung-der-arbeiten-gareth-stedman-jones/.[zurück]
@ Mirabella – 30. September 2009 um 12:40 Uhr
II. Zu den Details
[TaP:] „Und warum verdienen auch Frauen, die auf gleicher Hierarchiestufe wie Männer arbeiten, im Durchschnitt weniger als die entsprechenden Männer?“
[M.:] „Muss nicht unbedingt an Diskriminierung liegen. Beispiel: Ein Unternehmer sucht schon seit längerer Zeit für eine wichtige Position einen Mitarbeiter. Unter den Bewerbern findet er einen Mann, der die entsprechende Qualifikation aufweist und bietet ihm den Job an für ein Festgehalt von 3000 Euro, daraufhin sagt der Mann aber, er möchte 500 Euro mehr sonst geht er zu einer anderen Firma, die ihn auch möchte. Da die Stelle schon seit längerem nicht besetzt ist und der Mitarbeiter wirklich gut zu sein scheint, geht der Unternehmer darauf ein. Bald wird eine gleiche Stell frei und diesmal ist die Person mit entsprechender Qualifikation eine Frau. Auch ihr bietet der Unternehmer ein Festgehalt von 3000 Euro an und sie nimmt an. Schon verdient die Frau auf gleicher Position im gleichen Betrieb 500 Euro weniger und das völlig ohne Diskriminierung.“
Und wie kommt es, daß Männer öfter auf andere Jobs ausweichen können? Und wie kommt es, daß Frauen (durchschnittlich) in (Gehalts-)Verhandlungen weniger fordernd auftreten?
[TaP:] „Und warum ist Hausarbeit immer noch ganz überwiegend Frauensache – selbst bei jungen Paaren mit hoher Ausbildung und wo die Frau erwerbstätig ist (spätestens zumindest, wenn es in der Beziehung Kinder gibt)?“
[M.:] „Weil die Paare das untereinander so entscheiden. Wenn eine Frau das nicht wollen würde, so muss sie sich auch nicht darauf einlassen. Es gibt kein Gesetz, dass vorschreibt, dass Hausarbeit generell Frauenarbeit ist.“
a)aa) Hier spielt jetzt zum einen das Grundsatzargument eine Rolle: Der Mann, der dadurch den Rücken für den besser bezahlten und häufig auch mit weniger monotonen Arbeitsabläufen und mehr sozialen Kontakten verbunden Lohnarbeitsjob freigehalten bekommt, zieht den Vorteil daraus. Die Ehefrau hat allenfalls – bei Bedürftigkeit – Anspruch auf Unterhalt, der aber nicht als Gegenleistung für die Haus- und Erziehungsarbeit definiert ist; und in unverheirateten Paare haben die Frauen gar keinen juristischen Anspruch.
Geht die Frau ebenfalls einer Erwerbsarbeit nach, liegt deren Gesamtarbeitszeit (zu Hause und in der Firma) deutlich über der des Mannes.
bb) Und diese Zuständigkeitsverteilung wird weiterhin ideologisch reproduziert: Auch die Diskussion der letzten Jahre dreht sich v.a. um die Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf; der Elternurlaub ist weiterhin nicht 50:50 auf beide Elternteile aufgeteilt.
b) Solange es die Frauenlohndiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt gibt, gibt es auch einen ökonomischen Zwang, die traditionelle Rollenverteilung zu reproduzieren und das ‚rational‘ zu finden.
[TaP:] „Warum reproduziert sich die sexistische Arbeitsteilung selbst in transgender-Beziehungen?“
[M.:] „Dazu muss ich sagen, dass ich mich mit den Thema noch nicht beschäftigt habe, allerdings denke ich auch hier, dass es eine Entscheidung der beiden beteiligten Personen ist.“
a) Zu dem Freiwilligkeitsargument siehe vorstehend und den Grundsatzeinwand.
b) Warum reproduzieren die Leute das? Weil Differenz für viele sexy ist? Keine Ahnung. – Jedenfalls reproduziert sich die Lohn- und Status-Hierarchie auf dem Arbeitsmarkt selbst in transgender-Kontexten. Warum? Schwer zu sagen: Für Transsexuelle ist bekannt, daß FtM-Transsexuelle eher als MtF-Transsexuelle im neuen Geschlecht ‚passieren‘ (anerkannt werden). Und in transgender-Kontexten? Ich spekuliere mal: Der Aufstiegs- und Anpassungswille der butch wird akzeptiert und belohnt; die lesbische femme wird wie eine Hetera behandelt; und die schwule femme wird als selbst-degradierend wahrgenommen und entsprechend behandelt. (Eine akurat gekleidete butch in einer gehobenen Stellung ist kein Problem; eine Tunte in vielen Bereichen aber schon.)
[TaP:] „Warum gibt es weiterhin sexuelle/sexualisierte Gewalt? Und warum ist sie weiterhin in aller erster Linie Männergewalt gegen Frauen?“
[M.]: „Weil es immer dumm Menschen geben wird, die ihre Überlegenheit ausnutzen. Das liegt aber nicht an einer generellen Diskriminierung der Frauen. Denn kein Mensch würde ernsthaft zugeben, dass er sexuelle Gewalt befürwortet und die meisten Männer halten dies auch für ein schreckliches Verbrechen.“
Zu Satz 1: Herrschen ist Deines Erachtens also ein Phänomen von Dummheit (der Herrschenden)?! Zu Satz 2: Und wie kommt es nun Deines Erachtens zu der statistischen Signifikanz? Satz 3: Ja, aber das Problem fängt doch schon bei der Definition an: Was wird als (Ver)gewalt(igung) angesehen? Und was als ‚normal‘ (als ‚normale Anmache‘, als ‚normaler Sex‘ usw.)?
[TaP:] „Und weshalb werden dann beim ‚Spielen‘ die ‚äußeren‘ Machtverhältnisse haargenau nachgespielt?“
[M.:] „Und wo ist das der Fall bei einer Beziehung, in der der Mann der Unterlegene ist?“
a) Was meinst Du hier genau mit ‚unterlegen‘? (Sozialer Status? Körperkraft? Oder die Rollenverteilung in der SM-Beziehung?)
b) Und wie gesagt: Das „haargenau“ bitte nicht auf die Goldwaage legen. Übertreibung macht deutlich. Auch hier gibt es halt statistische Signifikanzen (dazu gleich noch mehr).
[TaP:] „Ich würde ja altmodisch sagen: Es handelt sich um Politik. Das Sexuelle ist politisch.“
[M.:] „Wieso?“
Weil Politik nicht nur das ist, was im Parlament und der Regierung stattfindet ist, sondern die Regelung des Zusammenlebens von Menschen ist.
[M.:] „Ich kann doch im alltäglichen Leben genauso (vielleicht sogar mehr) selbstbewusst und eigenständig sein wie jede andere Frau auch! Ich kann studieren und meinen Beruf ausüben, viel Geld verdienen und sagen, was ich will – und dennoch kann mein Partner mich im Bett schlagen und demütigen, weil es mir gefällt!“
[TaP:] „Das erste Teil des Zitates scheint mir latent ein unzutreffendes Klassen-bias zu enthalten (Seximus sei ausschließlich ein Unterschichtsphänomen / eine Bildungsfrage) – und bei dem zweiten Teil stellt sich mir schon die Frage (nicht das ich erwarten/verlangen würde, daß Du das öffentlich ausbreiten willst): Warum gefällt Dir das?“
[M.:] „Ich wollte hier gar nicht auf irgendwelche Schichten (das Wort Klassen-bias ist mir nicht bekannt, könntest du das erläutern?) extra eingehen, das ist noch mal ein ganz anderes Problem. Ich schreibe aus meiner persönlichen Sicht und Erfahrung. Zum zweiten Teil deiner Frage werde ich vielleicht später mehr schreiben…“
Das wird schon so sein, daß Du nichts zu Klassen schreiben wolltest, wenn Du das sagst. Aber Du scheinst dennoch davon auszugehen, daß Bildung und Einkommen eine ziemlich wirksame Garantie gegen patriarchale Strukturen sind. Aber auch unter (gutverdienenden) AkademikerInnen ist der Sexismus nicht abgeschafft, er nimmt dort nur teilweise andere Formen an als unter FacharbeiterInnen oder Hartz IV-EmpfängerInnen.
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