Anläßlich der Diskussion beim Mädchenblog hat sich Thiel Schweiger (1, 2) folgendes vorgenommen:
„Neben linken Autoritäten wie Adorno sind es etwa Alice Schwarzer, Robert Kurz, das so genannte Berliner Instititut für Faschismusforschung und wohl generell die meisten Freudomarxist_innen [, die die Ansicht vertreten, „dass SM politisch kritikabel ist und die äußeren Machtverhältnisse im Privaten reproduziert“]. Auch links orientierte Schriftsteller_innen wie Heinrich Mann (Der Untertan) und Klaus Mann (Mephisto) dürften in diese Reihe gehören. In der Debatte, auf die ich direkt Bezug nehme, machte der Blogger von Theorie als Praxis diese Position stark, die er auf seinem Blog in zwei Beiträgen expliziert. An seinem Beispiel hoffe ich, diesen Diskurs generell kritisieren zu können.“ (meine Hv.)
1.
Der Versuch die genannten Positionen anhand meines Beispiels zu kritisieren, ist von vornherein auf ziemlichen sandigem Boden gebaut. Zwar mögen alle Genannten SM für politisch kritisierenswert halten und der Ansicht seinen, daß SM dahin tendiere, gesellschaftliche Machtgefälle reproduzieren. Nur – soweit ich die von T.S. genannten Positionen kenne, habe ich ganz andere Vorstellungen davon, wie die hiesigen gesellschaftlichen Verhältnisse funktionieren – und folglich auch ganz andere Vorstellungen davon, was es heißt, dieses würden durch SM reproduziert. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen:
► Ich bin keine FreudomarxistIn. (Sofern ich überhaupt eine Meinung zur Psychoanalyse habe, tendiere ich eher zur entgegengesetzten lacanistischen Richtung. Aber eigentlich muß ich sagen: Freud habe ich praktisch nicht gelesen; mein Versuch vor ca. 15 Jahren meine Uni-Zwischenprüfungsarbeit über Lacan zu schreiben, war in meinen Augen ziemlich gescheitert [die Prüfungskommission ließ mich freundlicherweise trotzdem ins Hauptstudium]. Und überhaupt verstehe ich eigentlich nicht, worum es bei der Psychoanalyse geht. – Ich halte mich eher an bodenständigere Themen.)
► Ich bin auch keine Adorno-AnhängerIn. Mit der Frankfurter Schule bin ich rundheraus nicht einverstanden, und auch konkret mit dem von T.S. angeführten Adorno-Zitat zu SM bin ich nicht einverstanden.
► Schon gar nicht bin ich mit Robi Kurz einverstanden. (Einige Jahre nach meiner gescheiterten Zwischenprüfungsarbeit hatte ich mal ein Krisis-Heft in der Hand und festgestellt, daß dieser Ansatz weitere Beschäftigung nicht lohnt.) Auch das von T.S. konkret angeführte Kurz-Zitat ist mir zu esoterisch.
► Wer das „so genannte Berliner Instititut für Faschismusforschung“ ist und warum es ein „so genanntes“ ist, ist mir nicht bekannt – auch nicht die Positionen, die dort vertreten werden.
► Auch mit den Manns kenne ich mich nicht aus. Ich bin wirklich ungebildet.
► Zutreffend ist, daß die PorNo-Kampagne der Emma vor mehr als 20 Jahren meine politische Positionsbildung zu dieser Frage beeinflußt hat. Aber als Theoretikerin ist Schwarzer für den Feminismus nun wirklich nicht ausschlaggebend, und auch ihre politische Positionierung in vielen anderen Fragen finde ich falsch. Das an der alten PorNo-Position, was mir richtig erscheint (also durchaus nicht alles), ist m.E. sehr gut auch mit avancierteren theoretischen feministischen Positionen (vgl. hier) vereinbar.
Ich werde daher auf den ganzen ersten Teil des Textes von T.S. (vor den ersten drei ***) nicht weiter eingehen. Auch hinsichtlich der vagen Andeutungen zu Pädophilie beschränkte ich mich – aus Zeitgründen – darauf, erhebliche Vorbehalte anzumelden (die von T.S. erwähnte Debatte zu dem Thema habe ich nicht zur Kenntnis genommen).
2.
Ich beschränke mich daher im folgenden darauf, auf den direkt mir gewidmeten zweiten Teil einzugehen. Auch da kann ich meine Position nicht wirklich wiedererkennen – wahrscheinlich, weil T.S. meine Stellungnahmen vor einer freudomarxistischen Folie liest, die aber in meinem Fall überhaupt nicht passend ist.
[TaP:] „Und müssen wir dann nicht berechtigterweise befürchten, daß sich die ‚zeitweilig ungleich verteilte‘ Macht in SM-Beziehungen schnell verselbständigt – besonders dann, wenn sie (wie oben dargelegt) den gesellschaftlichen Machtverhältnissen folgt?“
[T.S.:] „Dies ist nun etwas, was im SM-internen Diskurs oft genug problematisiert wird.“
Nur wurde es eben weder in dem seinerzeit von mir kritisierten AK-Artikel thematisiert, noch in dem jetzigen Beitrag von Mirabella beim Mädchenblog. Und auch T.S. wischt das Thema gleich wieder weg:
„Natürlich gibt es diese Gefahr – ‚No risk no fun‘ kann man da eigentlich nur sagen“.
Weiter macht T.S. geltend:
„Die meisten SM-Praktiken weisen überhaupt keinen direkten Bezug zu äußeren Machtverhältnissen auf.“
Nun hatte ich aber anhand der von mir ausgewerteten SM-Annoncen und der Schlagwerk-homepage aufgezeigt, daß es weit überwiegend Männer sind, die den dominanten part einnehmen wollen; auch die Wikipedia nennt eine Zahl von bloß 11 bis 28 Prozent weiblicher tops.
Gegen diese Analyse wendet T.S. ein:
„Sinnvoller wäre es gewesen, einschlägige Studien zu dem Thema, die es ja gibt, zu lesen, etwa Norbert Elbs Buch SM- Sexualität: Selbstorganisation einer sexuellen Subkultur.“
Asche auf mein Haupt. Das war wirklich eine schwerwiegende wissenschaftliche Verfehlung, daß ich im Jahre 2000 ein Buch noch nicht zitiert hatte, das erst 6 Jahre veröffentlicht wurde…
„SMer_innen, die sich freiwillig unterwerfen, da sie sie sich davon einen Lustgewinn versprechen, sind letztendlich ideologisch verblendet und nicht Ernst zu nehmen. […]. SMer_innen wird abgesprochen, ihr Glück selbst beurteilen zu können, sie werden pathologisiert.“
Die mir unterstellte Position ist – was mich betrifft – frei erfunden. Beim Mädchenblog hatte ich vielmehr geschrieben:
„es wäre anmaßend und müßig, Dir sagen zu wollen, daß Du das Falsches willst (schließlich ist es Dein Wille) – aber es ist schon möglich eine eigene politische Meinung dazu zu haben, oder?“ (30.09.; 10:59 h)
Auch ansonsten halte ich die Rede vom „falschen Bewußtsein“ (scil. ‚Verblendung‘ etc.) für falsch:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/15/warum-ideologie-kein-notwendig-falsches-bewusstsein-ist-und-aus-einer-erkenntnis-nicht-automatisch-eine-bestimmte-politische-haltung-folgt/.
Und auch die Pathologisierungs-Unterstellung gegenüber SM-KritikerInnen und -SkeptikerInnen, die in dem Ausgangstext beim Mädchenblog ebenfalls enthalten ist, hatte ich bereits zurückgewiesen:
„[Mirabella:] „Bei BDSM handelt es sich um eine Neigung und nicht um eine Spielerei oder eine krankhafte Perversion.“
[TaP:] „Ich würde ja altmodisch sagen: Es handelt sich um Politik. Das Sexuelle ist politisch.“ (30.09.; 10:59 h)
Weiter geht es bei T.S. wie folgt:
„Auch dass Gewalt per se etwas schlechtes ist, ist eine Meinung, die direkt aus der bürgerlichen Staatsideologie entnommen ist: es gibt nur eine Gewalt – die des Staates – und die ist eben keine. Alle andere Gewalt wird tabuisiert. Eine rationale Gewaltkritik müsste dagegen die Zwecke betrachten, denen Gewalt u.U. als angemessenes Mittel dient.“
a) Auch die mir unterstellte Position zur Staatsgewalt ist frei erfunden. 1. Ist Staatsgewalt Gewalt. 2. halte ich es für falsch, staatlicher Gewaltanwendung die These entgegenzusetzen, Gewalt sei kein Mittel der Politik (1 + Kommentar). Doch, Gewalt ist ein Mittel der Politik.
b) Gewaltanwendung gegen andere zur Befriedung der eigenen Lust („dort ist eben der Genuss der Macht primärer Trieb“ – Zitat aus einem von T.S. zur Lektüre empfohlenen Text) finde ich allerdings – gelinde gesagt – ziemlich problematisch. Wenn das Frauen im Patriarchat gegen Männer machen, und die Männer ihrerseits auch noch damit einverstanden sind, regt mich das nicht weiter auf. Wenn die Gewaltanwendung dagegen typischerweise (und so scheint es in der SM-Szene zu sein) der herrschenden Gewaltverteilung entspricht, dann ist das nichts, was ich politisch begrüßen will.
„Zudem beinhaltet seine Argumentation einen recht seltsamen Sozialdeterminismus. Die Determination, die die Gesellschaft auf die SM-betreibenden Individuen ausgeübt, geht dabei recht platt vor sich, im Sinne eines simplen, nicht weiter erklärten, Abbildungsvorgangs: hier Macht, dort Macht. Nicht erklärt wird, warum dies nur bei so wenigen Individuen funktioniert, warum es nicht wesentlich mehr SMer_innen gibt.“
Meine These geht vielmehr in die Richtung, daß SM nur eine Radikalisierung dessen ist, was im Rahmen von normaler, hetero/a/sexueller Sexualität ohnehin üblich ist, ist (1, 2, 3, 4, 5 – bei 1 und 2 jew. die Foucault-, MacKinnon- und Rich-Zitate + Kontext; die restlichen Stellen sind Kurz-Statements).
Auch seine hier schon als Kommentar gepostete Monopoly-Analogie bringt T.S. noch einmal vor. Dazu hatte ich schon geschrieben:
„Naja, ein Brettspiel ist vielleicht etwas anderes als der ‚Spielen‘ mit fremden Körpern. Und bei Monopoly werden nicht die gesellschaftlichen Rollen der konkret Spielenden reproduziert. Die ‚Rollen‘ im Spiel funktionieren völlig unabhängig von der (sonstigen) gesellschaftlichen Rolle der Spielenden, während es beim SM eine starke Tendenz gibt, daß wiederum Männer die Dominierenden sind – lt. Wikipedia 72 – 89 %.“
Auch das hier schon gepostete Foucault-Zitat führt T.S. noch einmal an. Hier erneut meine Antwort:
Foucault: „dass sie neue Möglichkeiten von Lust erfinden, indem sie bestimmte eigentümliche Partien ihrer Körper gebrauchen – indem sie diesen Körper erotisieren.“
T.S.: „Und ihr subversives Potential liegt eben tatsächlich (siehe Foucault) in der Erfindung neuer Lüste.“
Das ist sehr allgemein. Und in dieser Allgemeinheit gibt es da auch gar nichts einzuwenden. Dagegen ist das Nach’spielen‘ von Herrschaft ein sehr spezifischer Fall. Und ich habe bisher kein Argument gehört, daß mich überzeugen würde, daß es möglich ist, im Falle von SM eine halbwegs trennscharfe Unterscheidung zwischen ‚Spiel‘ und ‚Ernst‘ zu treffen.
Der hiesige Ausgangsartikel von Mirabella und auch die seinerzeit von mir im AK kritisierten Texte sind vielmehr ein sehr starkes Indiz dafür, daß die Unterscheidung nicht möglich ist – am Ende ist auch der ‚Ernst‘ ein ‚Spiel‘, und das Patriarchat löst sich durch queer-sadomaso Voluntarismus in Luft auf.
3.
Noch einmal kurz zurück zum Anfang und dann direkt zum Ende des Textes von T.S.:
„weil die ‚Perversen‘ sich unter Druck gesetzt fühlen, den gegen sie ins Feld geführten Diffamierungen entgegenzutreten,“ / „Verdächtigungen“ / „gewohnte linksmoralisierende Gerüchteküche im Windschatten Freuds“
Welche „Diffamierungen“ gab es beim Mädchenblog? Wo ging/geht es dort um Moral? Es geht um Politik. -
Aber dieser ‚argumentative‘ Schlenker ist durchaus typisch für solche Debatten: Erst wird die politische Kritik in moralische und juristische Termini ‚übersetzt‘ statt auf der politischen Ebene zu erwidern – und dann wird in genialer Weise der vermeintliche Moralismus der Gegenposition entlarvt und umgehauen.