Das Ende des Sex wies kürzlich auf meinen – ursprünglich als Kommentar bei der Mädchenmannschaft geposteten – Beitrag „Gibt es AUSSCHLIESSLICH zwei Geschlechter?“ hin und merkte dazu an: „Diese Frage wäre zu ergänzen und in Zweifel zu ziehen, dass es überhaupt zwei Geschlechter gibt.“
Da es in der Diskussion um das sog. biologische Geschlecht (engl. sex) ging, verstehe diesen Satz dahingehend, daß bestritten wird, daß es überhaupt Menschen mit eindeutigen biologischen Geschlechtsmerkmalen gibt – oder gar, daß es überhaupt biologische Geschlechtsmerkmale gibt. Titel und Untertitel des blogs deuten sogar auf die radikalere Lesart hin: „Das Ende des Sex: Biologisches Geschlecht ist gemacht. sex: engl., für biologisches bzw. körperliches ‚Geschlecht‘“.
Ein Argument wird für diese (mutmaßliche) Auffassung in dem kurzen Hinweis nicht genannt. Die gleiche Frage hatte ich zuvor bei der Mädchenmannschaft bereits mit kopfundherz diskutiert. Kopfundherz vertrat die Ansicht:
“gute wie schlechte wissenschaft sind situiertes wissen, wie kann man dann einen unterschied, zwischen guten und schlechtem wissen ziehen, gutes wissen, ist wissen, dass den marginalisierten (trans, intersex, homos etc.) dient, sie sehen die dinger deutlicher, weil sie ihnen nicht gar so natürlich vorkommen, sie können die konstruktionen erkennen. sie sagen, dass es eine bescheuerte idee ist, das es zwei geschlechter gibt, aber nicht nur das, sie lassen uns wissen, dass unsere zwei geschlechter auf ihre kosten produziert werden.”
Dagegen hatte ich eingewandt:
„Das setzt einfach nur einen (in dem Fall Intersex usw.-) Subjektivismus gegen den anderen (im dortigen Fall: [hetero/a/]sexistischen) Subjektivismus. Das ist keine wissenschaftliche Beweisführung. Eine solche ‘Standpunkt-Logik’ zerstört jede rationale Diskussion. S. dazu:
http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/schulze-detlef-georgia-2004-06-10/PDF/schulze.pdf, S. 46 – 61 und 131 – 157
und
Dominique Lecourt, Proletarian Science? The Case of Lysenko, New Left Books: London, 1977 (http://www.marx2mao.com/Other/Proletarian%20Science.pdf; dt. Übs. VSA: [West]berlin, 1976)“
Die Antwort von kopfundherz war die Ersetzung von Wissenschaft durch Ethik:
„ich wollte ja eben gerade klar machen, dass es keine rationalen, objektiven wissenschaften gibt (da stimmen wir wohl nicht überein) … du wirst nie heraus finden, was die wahrheit des geschlechts ist, da du auf eine vordiskursive natur keinen zugriff hast.
die entscheidung über das geschlecht muss also hier und jetzt fallen, es ist eine kulturelle entscheidung und was dir zur verfügung steht um zu urteilen ist ethik.
und woran sollte sich eine ethik orientieren? an der herrschaft oder an den unterdrückten?
das beide zwei seiten einer medaille sind (foucault) spielt für mich dabei keine rolle.
meine wahl ist klar!“
Darin liegt m.E. aber kein Argument, denn es verwechselt Erkenntnis- mit Bewertungsfragen (s. 1 und vgl. 2), und ich wandte außerdem dagegen ein:
„Was machst Du denn, wenn Du eine Birne vom Baum pflügst und ißt? Vordiskursive Natur undiskursiv essen? Oder vielmehr den Diskurs über die Birne diskursiv essen?
Gibt es nicht einen Unterschied zwischen einem Todesurteil (geschrieben und/oder gesprochen) und dessen Vollstreckung durch Gift, Kugel, Elektrischem Stuhl o.ä.? Wodurch stirbt die Person: Durch das (diskursive) Urteil? Oder durch dessen (außer-diskursive) Befolgung?
Ich hatte schon – gegen Sven – auf die Feinheit hingewiesen, daß
– wir zwar unsere Erkenntnisse nur mittels Sprache produzieren und formulieren können – dies gegen jeden Empirismus / jede Theoriefeindlichkeit –,
– daß dies aber heißt nicht, daß es die Gegenstände unserer Erkenntnisse nicht gibt – dies gegen jeden Idealismus und Subjektivismus.“
Diese Argumente müßte Das Ende des Sex widerlegen, wenn sie den eingangs zitierten Satz in dem Sinne gemeint haben, in dem ich ihn verstanden haben. – Ich bin gespannt.
Und ein Hilfsargument sei noch vorgebracht: Auch politisch besteht keinerlei Veranlassung, die Existenz biologischer Realitäten zu bestreiten. Lesbe kann die volle politische Innovation, die Butler i. bes. und der dekonstruktive Feminismus i. allg. bedeutet haben / weiterhin bedeuten, haben, ohne in einen philosophischen Idealismus verfallen zu müssen oder bestreiten zu müssen, daß die Biologie eine Wissenschaft ist, also objektive Erkenntnisse produziert (auch wenn diese ihre Erkenntnisse teilweise ideologisch interpretiert. Um derartige ideologische Ergebnisinterpretationen zurückzuweisen reicht Althussers Unterscheidung zwischen Wissenschaften und der spontanen Philosophie von WissenschaftlerInnen völlig.).
Was nun jene politische Innovation anbelangt, so weise ich auf diesen fünfseitigen (+ 5 Seiten FN) Auszug aus meiner Arbeit Geschlechternormen-inkonforme Körperinszenierungen – Demokratisierung, De-Konstruktion oder Reproduktion des sexistischen Geschlechterverhältnisses?.
In den nächsten Tagen werde ich ergänzend noch einen Text online stellen, in dem ich darstellte, worin m.E. die wichtigen Unterschiede zwischen
Judith Butlers Das Unbehagen der Geschlechter (1991)
und
Ursula Scheus Wir werden nicht als Mädchen geboren – wir werden dazu gemacht (1977)
liegen.
[Ist jetzt passiert. 02.10.09.]
ich empfehle zu dem thema den kurzen aufsatz
„Detel, W. (1997): Ein wenig Sex muß sein. Zum Problem der Referenz auf die Geschlechter, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 45, S. 63-98″
Danke für den Hinweis.