Der folgende Beitrag erschien zuerst am 24. August als Kommentar bei der Mädchenmannschaft. Für die hiesige Veröffentlichung wurde er noch einmal Korrektur gelesen; die Zwischenüberschriften sind neu eingefügt. Die dortige Diskussion ist noch am Laufen, kam aber etwas aber etwas vom Thema ab, da Quatsch mit Soße auf das zentrale Argument nicht antwortete, sondern in eine Wesens- und Prinzipienphilosophie flüchtete, was dann wiederum unter methodologischen Gesichtspunkten kritisiert werden mußte (1, 2). Das zentrale Argument gegen die Behauptung es gäbe ausschließlich zwei Geschlechter läßt sich wie folgt reformulieren:
1. Es ist unumstritten, daß das Geschlecht nicht anhand eines einziges Kriteriums festgestellt werden kann. Vielmehr werden sowohl die Chromosomensätze als auch die sog. primären Geschechtsorgane (das sind die äußeren und inneren Geschlechtsorgane und deren Anhangdrüse) herangezogen.
2. Nun müssen aber weder die Geschlechtsmerkmale homolog (i.S. der vorgestellten Zweigeschlechtlichkeit) auftreten noch müssen diese ihrerseits zu dem jeweiligen Chromosomensatz homolog sein.
3. Das heißt: Es gibt zwar die beiden tyischen Fälle xx-Chromosomen + Klitoris (Frauen) sowie xy-Chromosomen + Penis (Männer), aber es gibt auch die umgekehrten Kombinationen und unter Berücksichtung der weiteren sog. „primären Geschlechtsmerkmale“ weitere Varianten. Und unter Berücksichtigung der Hormonproduktion und deren Wirksamkeit wird es noch kompliziert.
4. Das wiederum heißt nun: Es gibt mehr als zwei Merkmalskombinationen und das heißt: mehr als zwei Geschlechter. Denn „Geschlecht“ ist nicht irgendeine durch die Naturphilosophie geisternde Wesenheit, sondern die jeweilige Merkmalskombination.
Mehr als zwei Merkmalskombinationen = mehr als zwei Geschlechter. Das ist der entscheidende Punkt. Oder in den Worten meines Beitrages unter http://maedchenmannschaft.net/sportler-sportlerin/#comment-17736:
++ alle Geschlechtsmerkmale männlich – ergibt als „Summe“ ein männliches Geschlecht.
++ alle Geschlechtsmerkmale weiblich – ergibt als „Summe“ ein weibliches Geschlecht.
++ Stimmen die Merkmale nicht überein, bleibt Dir nichts anderes übrig, als entweder kein Geschlecht oder aber ein drittes, viertes usw. Geschlecht anzunehmen.
Und – an gleicher Stelle – unter dem Gesichtspunkt der Fortpflanzung:
Es gibt nicht nur männliche Samenzellen-Produzenten und weibliche Eizellen-Produzentinnen, sondern mindestens ein drittes genus, dessen ‚Mitglieder’ (und zwar nicht nur aus Altersgründen) weder Samenzellen noch eine Eizellen produziert, also bei der Fortpflanzung weder die männliche noch die weibliche Rolle spielen – weder-noch nicht: sowohl-als auch, also mehr als zwei biologische Geschlechter!
S. im übrigen auch bereits meine Anmerkung Nr. 1 unter http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/23/heute-gesehen-238/.
Nun die Dokumentation meines Beitrages bei der Mädchenmannschaft:
@ Quatsch mit Soße says: – August 23, 2009 at 11:44 pm
„es gibt pro geschlecht mehrere merkmale und folglich unter dem begriff intersexualität verschiedene kombiationsmöglichkeiten. aber es sind die kombinationen der geschlechtsmerkmale “männlich” und “weiblich”. die zweigeschlechtlichkeit als biologisches prinzip wird dabei keineswegs in frage gestellt, da kein drittes “geschlecht” entsteht, sondern sich quasi – bildlich – die weißen und schwarzen schachfiguren nur unterschiedlich zusammenfinden – als laune der natur, wohlgemerkt.“
Die Zweigeschlechtlichkeit als petitio principii
1. „aber es sind die kombinationen der geschlechtsmerkmale ‚männlich‘ und ‚weiblich‘.“ Es sind die Merkmale für männlich und weiblich bzw. für ein männliches oder weibliches Geschlecht. Aber die Merkmale sind nicht ihrerseits männlich oder weiblich.
Etwas und das Merkmal für etwas muß terminologisch auseinander gehalten werden, sonst kannst Du alles ‚beweisen‘. Was Du machst ist eine petitio principii – die Voraussetzung des gewünschten Ergebnisses; ein Zirkelschluß.
„männlich“ und „weiblich“ als bloße Eigennamen? Oder wissenschaftliche Begriffe?
2. „die zweigeschlechtlichkeit als biologisches prinzip wird dabei keineswegs in frage gestellt, da kein drittes ‚geschlecht‘ entsteht,“ – Die Geschlechter „Männer“ und „Frauen“ bzw. Männlichkeit und Weiblichkeit (bei beiden Formulierungen: im biologischen Sinne) sind durch die Übereinstimmung der jeweils einschlägigen Merkmale definiert. Liegt diese Übereinstimmung nicht vor (sei es, weil überhaupt nur ein isoliertes Merkmal betrachtet wird; sei es, weil alle Merkmale betrachtet werden, aber sie tatsächlich nicht übereinstimmen), so liegt also keines dieser beiden Geschlechter vor. Wenn gleichzeitig davon ausgegangen wird, daß jeder Mensch ein Geschlecht hat und es keine geschlechtslosen Menschen gibt, dann muß es sich also – je nach Merkmalskombination – um ein drittes, viertes usw. Geschlecht handeln.
Dir steht es natürlich frei, Männlichkeit und Weiblichkeit anders als durch die Merkmalsübereinstimmung zu definieren. Dann hast Du zwei Möglichkeiten:
a) Möglichkeit 1: Du behandelt Männlichkeit und Weiblichkeit als Eigennamen: XY gibst Du den Namen männlich, und XX gibst Du den Namen weiblich. Genauso flachen Brüsten und großen Brüsten, Penis und Klitoris usw. – Nur ist damit nichts bewiesen: Weder der Binarismus (der ist einfach nur Resultat Deiner binären Namensvergabe: Du ziehst willkürlich Grenzen; alles auf der einen Seite der jeweiligen Grenze erhält den Namen „männlich“ und alles auf der jeweils anderen Seite den Namen „weiblich“) noch, daß die Phänomene, denen Du jeweils den Namen „männlich“ oder „weiblich“ gibst irgendetwas (geschweige denn, was genau) mit einander zu tun haben. Auch, daß vermutlich zehn- oder hunderttausende Leute auf den Namen „Klaus“ getauft wurden, heißt nicht, daß sie etwas mit einander zu tun haben.
b) Möglichkeit 2: Du bildest tatsächlich neue wissenschaftliche Begriffe „männlich“ und „weiblich“. Dann mußt Du sagen, durch welche Elemente die Begriffe definiert sind. Und wenn Du dann einen XY-Chromosomensatz als „männlich“ bezeichnen willst, dann mußt Du nachweisen, daß dieser Chromosomensatz die fraglichen Elemente Deiner Definition als Merkmale aufweist. Entsprechend bei großen und kleinen Brüsten und bei ganzen Menschen, die Du als „männlich“ oder „weiblich“ bezeichnen willst. Und wenn Du dann – erwartungsgemäß – in irgendeinem der relevanten Bereiche (Brüste, ganze Menschen usw.) Fälle hast, die weder unter die eine noch unter die andere Definitionen fallen, dann mußt entweder mindestens ein drittes Geschlecht definieren – oder Dein ganzes Definitionensystem reformulieren.
So – da Möglichkeit 1 nicht die Möglichkeit beinhaltet, die Zweigeschlechtlichkeit zu beweisen, beweise mir mal nach Möglichkeit 2, daß es ausschließlich zwei Geschlechter gibt. Wie gesagt: Ich akzeptiere jede die Definitionen, die Du vorschlägst; ich werde nur überprüfen, ob Du sie stringent anwendest. – Ich bin gespannt.
Das Schachspiel eine unstimmige Analogie
3. Die Schachspiel-Analogie. Sie hilft Dir nicht weiter. Es gibt nur ein Schachspiel, nicht zwei. Das ‚Zusammenfinden‘ (was soll das genau besagen?!) der schwarzen und weiße Figuren spielt keine Rolle dafür, ob es sich um ein Schachspiele handelt oder nicht. Oder genauer: Am Anfang einer Partie müssen die Figuren in bestimmter Stellung angeordnet sein und im Laufe der Partie können sich nach bestimmten Regeln bestimmte andere Stellungen entwickeln. Mit der Frage der Zweigeschlechtlichkeit ist das alles nicht zu parallelisieren.
Geometrische Formen und Mengenlehre als Analogie
Ein Bild das eher passen würde, wäre: Du hast gleichseitige Dreiecke, und Du hast rechtwinkelige Vierecke. Die Elemente jeder Gruppe müssen also zwei Merkmale aufweisen: 1.a) drei Ecken; b) gleich lange Seiten; 2.a) vier Ecken; b) rechte Winkel.
Nun tritt aber das Phänomen auf, daß auch ein Dreieck (wenn auch nur) einen rechten Winkel haben kann; und es tritt das Phänomen auf, das es auch Vierecke mit gleichen langen Seiten gibt (die nennen wir Quadrate). (Außerdem gibt es noch Kreise und Ellipsen, Fünf-, Sechs- usw. -ecke sowie ungleichseitige Dreiecke und nicht rechtwinkelige Vierecke. Aber das spielt für den Vergleich keine Rolle.)
Was folgt daraus nun? Es ist nicht in Frage gestellt, daß es Dreiecke und Vierecke gibt. Genauso ist nicht in Frage gestellt, daß es XY- und XX-Chromosomensätze gibt.
Es ist auch nicht in Frage gestellt, daß es die beiden genera „gleichseitige Dreiecke“ und „rechtwinkelige Vierecke“ gibt. Nennen wir sie genus A und genus B.
Es wäre aber Unsinn zu sagen: Auch „gleichseitig“ ist eine Element von genus A und „rechtwinkelig“ ein Element von genus B. Denn „gleichseitig“ und „rechtwinklig“ sind keine Elemente dieser genera, sondern vielmehr Merkmale dieser genera – und sie sind selbst genera: gleichseitig (genus I) steht ungleichseitig (genus II) gegenüber, und rechtwinkelig (genus Alpha) steht nicht rechtwinklig (genus Beta) gegenüber.
Auch Dreiecke sind kein Elemente des genus gleichseitige Dreiecke, vielmehr sind gleichseitige Dreiecke eine Teilmenge aller Dreiecke; und entsprechend mit den rechtwinkligen Vierecken. Dreieckig ist also ein Merkmal unseres genus A, aber es wäre Unsinn Dreiecke (im allgemeinen) als Element der gleichseitigen Dreiecke (im speziellen) zu bezeichnen.
Aber einen entsprechenden Unsinn machst Du im Falle der Zweigeschlechtlichkeit: Du definierst genus A (Männlichkeit) u.a. durch xy-Chromosomen und genus B durch xx-Chromosomen und gleichzeitig sagst Du, diese Merkmale der genera seien auch Elemente der genera. Das ist unlogisch.
Du mußt vielmehr auch im Falle der Zweigeschlechtlichkeit mehrere unterschiedliche genera-Gruppen bilden, z.B.:
genus A und B: xy- und xx-Chromosomen.
genus I und II: Penis und Klitoris
genus Alpha und Beta: Männer und Frauen.
Wenn Du nun genus Alpha durch die Merkmale xy + Penis sowie genus Beta durch xx + Klitoris definierst, dann belehrt Dich die Natur, daß Du noch die genera Gamma und Delta bilden mußt: xy + Klitoris sowie xx + Penis. Damit haben wir allein schon vier Geschlechter – ohne auch nur weiteren Geschlechtsorgane und Hormone zu berücksichtigen.
Du kannst das Ganze auch variieren (um dem Beispiel mit Dreiecken und den Vierecken näher zu kommen) und die genera Alpha und Beta: „xy-Besitzer mit Penis“ und „xx-Besitzerinnen mit Klit“ nennen (@ Kopf und Herz: das ist kein „kulturelles konstrukt“, sondern biologische Realität). Zweifelsohne existieren diese beiden genera. Dies ändert aber nichts daran, daß auch „xy-BesitzerInnen mit Klit“ und „xx-BesitzerInnen mit Penis“ existieren – genauso, wie es nicht nur gleichseitige Dreiecke, sondern auch gleichseitige Vierecke gibt.
Zwischenergebnis
Kommen wir also zum Ergebnis: Genauso wie Männer („xy-Besitzer mit Penis“) und Frauen („xx-Besitzerinnen mit Klit“) eine Teilmenge aller Menschen sind, so sind auch gleichseitige Dreiecke und rechtwinklige Vierecke eine Teilmenge aller eckigen geometrischen Formen mit weniger als fünf Ecken. Damit sind aber weder die Menschen noch die genannten geometrischen Figuren erschöpfend erfaßt:
++ Bei den Menschen fehlen die „xx-BesitzerInnen mit Penis“ und die „xy-BesitzerInnen mit Klit“
++ Und bei den fraglichen geometrischen Formen fehlen die ungleichseitigen Dreiecke und die nicht rechtwinkligen Vierecke.
Eine Ausflucht, die Zweigeschlechtlichkeits-These nicht rettet
Nun kannst Du natürlich, wenn Du pfiffig bist, bei den geometrischen Formen die Grundgesamtheit verGRÖSSERN: Du nimmst ALLE eckigen Formen, mit weniger als fünf Ecken – und interessierst Dich nicht mehr für gleichseitig und rechtwinklig. Dann gibt es – da es keine Zweiecke gibt – in der Tat nur zwei genera: Dreiecke und Vierecke.
Du hast auch immer noch mehrere Merkmale: „nicht-rund“ / „nicht-elliptisch“ (= eckig) und die Anzahl der Ecken (3 oder 4).
Nur: das Merkmal „nicht-rund“ / „nicht-elliptisch“ ist jetzt beiden genera gemeinsam.
Damit würde Dir Deine Pfiffigkeit nicht weiterhelfen: Denn die Gemeinsamkeit eines Merkmals unterscheidet das zuletzt gegebene Beispiel von der Geschlechterdefinition:
Während es keine Dreiecke und keine Vierecke gibt, die rund sind, gibt es sehr wohl „xx-BesitzerInnen mit Penis“ und „xy-BesitzerInnen mit Klit“.
Daraus folgt: Zwar lassen sich die nicht-runden und nicht-elliptischen geometrischen Formen mit weniger als fünf Ecken auf ausschließlich zwei genera aufteilen (Dreiecke und Vierecke); die Menschen lassen sich aber nicht ausschließlich auf die genera Frauen und Männer aufteilen.
q.e.d.
„die zweigeschlechtlichkeit als biologisches prinzip wird dabei keineswegs in frage gestellt, da kein drittes ‚geschlecht‘ entsteht, sondern sich quasi – bildlich – die weißen und schwarzen schachfiguren nur unterschiedlich zusammenfinden – als laune der natur, wohlgemerkt. für die arterhaltung ohne bedeutung und keinesfalls den modernen relativismus rechtfertigend.“
„keinesfalls den modernen relativismus rechtfertigend.“ – Ich vertrete keinen Relativismus. Ich sage nicht: Man kann die ‚Meinung‘ haben, es gibt ausschließlich zwei Geschlechter, und lesbe kann die Meinung haben, es gibt mehr als zwei Geschlechter. Ich sage vielmehr: Allein meine Formulierung ist die korrekte Formulierungen der objektiven biologischen Erkenntnisse.
(Und – falls Du das noch wissen willst: Was befugt mich als Nicht-BiologIn über die korrekte Formulierung biologischer Erkenntnisse zu entscheiden? Daß PhilosophInnen [wir alle sind PhilosophInnen] befugt sind, zwischen den Erkenntnissen der Wissenschaften und den Ideologemen, mit denen WissenschaftlerInnen diese Erkenntnisse entstellen und verunstalten, zu unterscheiden. Vgl. dazu Althussers Überlegungen zur spontanen Philosophie von WissenschaftlerInnen:
http://www.marx2mao.com/Other/PSPS90ii.html; dt. Übersetzung: Argument-Verlag: Westberlin, 1985)
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NACHTRAG VOM 30.08.2009 (s. insb. die Anmerkung zu dem zweiten Quasch mit Soße-Zitat):
Noch einmal @ Quatsch mit Soße:
Versuch’ doch mal Deine beiden Sätze mit „Wesen“ so umzuformulieren, daß Du ohne „Wesen“ auskommst (so wie, die Erde annährend rund ist, es aber nicht das ‚Wesen’ der Erde ist, rund zu sein).
August 24, 2009 at 9:47 pm
„(primäre) geschlechtsmerkmale sind de facto entweder männlich oder weiblich […], da ihr wesen darin besteht, durch ihre existenz das geschlecht eines menschen zu bilden!“
„[…]da ihr wesen darin besteht“ – das hört sich unheimlich gelehrt an.
„(primäre) geschlechtsmerkmale sind entweder männlich oder weiblich […], da sie durch ihre existenz das geschlecht eines menschen bilden.“ – erweist sich dagegen als völlige Luftblase. Wo ist denn da, bitte sehr, die durch „da“ behauptete Kausalität?! Abgesehen von allem anderen, was an dem Satz fragwürdig ist, würde sich eine Kausalität nur ergeben, wenn Du stillschweigend voraussetzt, daß es nur zwei Geschlechter gibt:
„(primäre) geschlechtsmerkmale sind entweder männlich oder weiblich […], da sie das männliche oder weibliche geschlecht eines menschen anzeigen/ausdrücken [oder wie Du auch immer willst]“. Aber, daß es nur zwei Geschlechter gibt, willst Du ja erst beweisen. Du darfst es nicht schon voraussetzen, wenn Du es beweisen willst. Da haben wir wieder Deine petitio principii. Da Du keinen Beweis hast, versuchst Du Dir den Beweis mit dem Wort „Wesen“ zu erschleichen.
Im übrigen gibt es nicht nur mehr als zwei Merkmalskombinationen (die in der Tat jeweils das Geschlecht definieren), sondern auch die einzelnen Merkmale sind ihrerseits nicht binär strukturiert:
Es gibt bspw. nicht nur die Alternative Hoden oder Eierstöcke, sondern es können auch beide vorhanden (und funktionsunfähig) sein (dritte Möglichkeit); es können jeweils mindestens Gewebeteile vorhanden sein (4., 5, usw. Möglichkeit):
„Echter Hermaphroditismus (Hermaphroditismus verus) ist eine sehr seltene Form, bei der gleichzeitig eine oder zwei männliche und weibliche Keimdrüsen (Hoden und Eierstöcke) oder wenigstens Gewebeteile von ihnen vorhanden sind, die aber keine reifen Keimzellen produzieren.“ [(c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, 2007]
Selbst die Chromosomensätze sind nicht auf die Möglichkeiten xx oder xy reduziert:
„Das chromosomale Geschlecht kann ein Mosaik von XX und XY, aber auch normal XX oder XY sein und in vielen anderen Möglichkeiten von Chromosomenaberrationen vorliegen.“ (ebd.)
August 25, 2009 at 10:25 am
„macht euch klar, was ‚geschlecht’ seinem wesen nach ist.“
Na, verrate es uns mal…
Derselbe Satz ohne Metaphysik:
„macht euch klar, was ‚geschlecht’ ist.“ –
Und schon ist eine klare Antwort möglich:
„‚Geschlecht’ (im biologischen Sinne) ist die zusammenfassende Bezeichnung für den Chromosomensatz und die sog. primäre Geschlechtsmerkmale eines Menschen.
Typischerweise treffen einerseits xy-Chromomosomen, Penis, Hoden usw. zusammen (in diesem Fall wird von einem männlichen Geschlecht gesprochen oder gesagt, daß die Person ein Mann ist); andererseits treffen typischerweise xx-Chromosomen, Klitoris, Eierstöcke usw. zusammen (in diesem Fall wird von einem weiblichen Geschlecht gesprochen oder gesagt, daß die Person eine Frau ist).
Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von weiteren – allerdings seltenen – Kombinationsmöglichkeiten (ergo: Geschlechtern). Auch die einzelnen Geschlechtsmerkmale sind nicht strikt binär strukturiert, so können Hoden und Eierstöcke zusammen auftreten.
Auch unter Fortpflanzungsgesichtspunkten ergibt sich keine Binarität, da es neben Samenzellen-Produzenten und Eizellen-Produzentinnen Menschen gibt, die (in ihrem ganzen Leben) weder das eine noch das andere produzieren.
Außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Biologie ist schließlich noch zu berücksichtigen, daß weder das psychische (‚gefühlte’) Geschlecht einer Person noch die gesellschaftliche Wahrnehmung einer Person mit den biologischen Merkmalen übereinstimmen muß – und zwar selbst wenn letztere völlig eindeutig sind.“
Kannst Du begründet widersprechen? Nein!
Du kannst höchstens die Definition von Geschlecht ändern und bspw. sagen:
„‚Geschlecht’ ist eine anderes Wort für Penis und Klitoris. Eine Person mit Penis hat ein männliches Geschlecht; eine Person mit Klitoris hat ein weibliches Geschlecht.“
Aber dann bist Du beim Alltagsverstand und nicht auf dem Stand der wissenschaftlichen Diskussion – und bist der Irritation ausgesetzt, daß es nach dieser Definition Männer ohne Hoden, aber mit Eierstöcken sowie mit allen möglichen Chromosomen-Varianten gibt. Eine wissenschaftliche Begriffsbildung ist etwas anderes.
Sehr schöner Beitrag! Ich finde es schön, dass um differenzierte Standpunkte zu Geschlecht gerrungen wird. Nicht schön fand ich es im Zusammenhang mit Caster Semenya – schließlich sagt sie selbst, dass sie eine Frau ist und diese Selbstdefinition muss ihr gelassen werden.
Für eine allgemeine Betrachtung bzw. eine Betrachtung, ob es überhaupt „weiblich“ und „männlich“ gibt, finde ich diesen Beitrag hier wichtig und hoffe, es schließen sich intensive Diskussionen an. In Biologie und Medizin gibt es zahlreiche Merkmale, die als geschlechtlich gewertet werden. Aus meiner Sicht wird bei diesen Merkmalen JEDER MENSCH bei mindestens einem der Merkmale aus der Zuordnung „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“ herausfallen. Die aktuelle Biologie hat dermaßen viele Merkmale als in die Ausbildung von Genitalien involviert herausgearbeitet, dass sie es nun nicht mehr schafft, Geschlecht in eine zweigeschlechtliche Ordnung zu pressen. (Das wird auch schön in dem Aufsatz deutlich: Voß(2008) „Wie für Dich gemacht: die gesellschaftliche Herstellung biologischen Geschlechts“, [in Coffey (Hrsg.) „Queer leben – queer labeln?“, S.153-167].)
Hier lässt sich mehr draus machen: mehr Diskussion und mehr Geschlechter
Vgl. ergänzend:
http://dasendedessex.blogsport.de/2009/09/23/diskussions-import-gibt-es-ausschliesslich-zwei-geschlechter/
und
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/09/29/was-war-an-butler-eigentlich-neu-text-1/
Es kommt meiner Meinung nach darauf an, ob du Geschlecht biologisch oder sprachlich-gesellschaftlich definierst.
Biologisch gibt es beim Menschen 2 Geschlechter, männlich und weiblich. Den Geschlechter benötigt man zur Fortpflanzung. Die anderen Erscheinungsformen, also die etwa 2% Intersexuelle sind größtenteils durch Abweichungen, zB defekte Nebennierenrinden und daher keine hinreichende Testosteronproduktion medizinisch zu erklären. Jemanden, dessen körperliche Erscheinung darauf beruht, dass sein Körper eine defekte Nebennierenrinde hat als neues Geschlecht zu bezeichnen macht biologisch keinen Sinn.
Hingegen kann es sprachlich und gesellschaftlich wichtig sein einen Menschen, der zwischen den Geschlechtern steht, unabhängig von den dahinter stehenden biologischen Vorgängen eine Bezeichnung zuzuweisen. Das ist aber lediglich auf einer sprachlichen-gesellschaftlichen ebene interessant. Warum man diesen Namen dann unbedingt als drittes oder viertes Geschlecht begreifen muss verstehe ich nicht recht (Fausto-Sterling hat ihren diesbezüglichen Ansatz ja auch zurückgezogen, weil es letztendlich zu viele Zwischenformen gibt um weitere Geschlechter aufzubauen und immer Nichteinordnungen verbleiben würden)
„Abweichungen“, „defekt“, ‚nicht hinreichend‘ – das sind doch keine biologischen Tatsachen, sondern Wertungen/Normen, die Du erst an die biolgischen Tatsachen sprachlich – und da viele Deine Wertungen teilen, wenn Du so willst: sprachlich-gesellschaftlich – heranträgst.
Vgl. zu dem Thema inzwischen auch noch:
Es gibt mehr als zwei Geschlechter
Nur „weiblich“ und „männlich“ ist zu wenig. Es gibt mehr als zwei Geschlechter. In der Biologie ist das inzwischen anerkannt. Heinz-Jürgen Voß
http://www.tagesspiegel.de/wissen/gender-in-der-biologie-es-gibt-mehr-als-zwei-geschlechter/13386730.html (31.03.2016)