Dieser Teil der Rezension beschäftigt sich mit den inhaltlichen Aspekten des ersten der beiden Beiträge der militanten gruppe (mg) in dem Heft. – Die beiden vorhergehenden Teile brachten einen Überblick über den Inhalt des aktuellen Heftes und erörterten jene Passagen der mg-Beiträge, die für den Berliner Prozeß gegen drei Antimilitaristen relevant sind. Der von der mg verfaßte Artikel erwidert vor allem auf drei Artikel des Autor/inn?/enkollektivs freie radikale von 2007 in der Berliner Szene-Zeitschrift interim1 und versucht sich zugleich an einer Zwischen-Abschluß-Bilanz der Militanzdebatte, die seit einigen Jahren in interim und radikal geführt wurde. Teil IV dieser Rezensionsreihe wird sich dann mit dem von der radikal mit der militanten gruppe geführten Interview beschäftigen.
Einleitung des mg-Textes: Eine Verschiebung –
Von der Militanz im speziellen zur revolutionären Praxis im allgemeine?
In der 1 ½-seitigen Einleitung des insgesamt 11 Druckseiten langen mg-Textes spricht die mg einen Mangel der bisherigen Militanzdebatte an, der in den letzten Jahren sicherlich schon mehreren Leuten aufgefallen ist, deren vorrangiges Arbeitsgebiet nicht Brandsatz-Bastelei ist:
„Die Militanzdebatte ist bereits allein begrifflich auf eine Praxisform verengt und muss unter größten ‚intellektuellen’ Anstrengungen in einen umfassenderen politischen Rahmen eingefügt werden.“
Obwohl die mg immer schon einen gegenteiligen Anspruch vertreten hatte, waren die Inhalte und allgemeinen Strategie damit immer noch – vom Blickwinkel her – dem spezifischen Mittel Militanz untergeordnet. Die dadurch vielleicht erhoffte breite Resonanz seitens des aktionistischen Teils der autonomen Szene war freilich kaum eingetreten. Wenn diese Blickrichtung – mit der angekündigten Transformation der mg (s. dazu Teil IV dieser Rezension) und dem Organisierungsansatz der neuen radikal-Redaktion (s. dazu Teil I dieser Rezensions-Reihe) – nun anscheinend geändert werden soll, so kann dies nur begrüßt werden.
Im auf die Einleitung folgenden Abschnitt (gut 1 Seite) gibt die mg dann eine Zusammenfassung der Texte der freien radikale in den interim-Ausgaben Nr. 654, 657 und 661. Diese Zusammenfassung soll hier nicht ihrerseits zusammengefaßt werden; statt dessen wird direkt zu den Antworten der mg übergegangen. Diese Antworten betreffen v.a. drei Fragen: 1. die Lehren aus den (oder vorsichtiger: die historisch distanzierte) Bewertung der Erfahrungen von Revolutionären Zellen / Rote Zora einerseits und der RAF andererseits; 2. der Frage eines ‚linken Militarismus’ 3. unterschiedliche Verständnisse von Kritik. Der Text endet schließlich mit einem „Schlusspunkte“ überschriebenen Abschnitt ca. einer ¾ Seite.
RZ/Rote Roza oder RAF: Wo liegt das größere Potential für heute?
In dem dritten Teil ihres Textes reagiert die mg auf folgende Kritik der freien radikalen:
„Die Diskussionen um Militanz, die zwar aktuell in diesem Blatt (der ‚interim‘, Anm. mg) ab und an aufflammen, knüpfen unseres Erachtens nach nicht einmal annähernd an die Tiefe vergangener Auseinandersetzungen an und beanspruchen dies auch nicht wirklich“.
Die mg kritisiert dies zunächst einmal als etwas oberflächliches Abbürsten dessen, was in der Militanzdebatte immerhin geleistet wurde und nimmt dann direkt den Rote Zora / RZ- versus RAF-Vergleich der freien radikalen auf. Die mg findet, daß die RAF bei dem von den freien radikalen durchgeführten Vergleich zu schlecht wegkommt und RZ / Rote Zora ungebührlich über den grünen Klee gelobt werden.
Zur Rote Zora
An den Ausführungen der mg fällt zunächst einmal auf, daß sie ihre Kritik an dem Zusammenhang Revolutionäre Zellen / Rote Zora insbesondere anhand der letzteren, also der feministischen ‚Sektion’ dieses Zusammenhangs, expliziert. Darin, die Rote Zora derart als anscheinend repräsentativ für die Revolutionären Zellen anzusehen, könnte die Zubilligung einer besonderen Wichtigkeit gesehen werden. Andererseits irritiert aber, daß sich die – wenn meine Lektüre bisheriger mg-Texte nicht allzu selektiv ausgefallen und meine Erinnerung an diese Lektüre-Erfahrungen nicht allzu lückenhaft ist – erste längere Auseinandersetzung der mg mit einem feministischen Ansatz in erster Linie in der Erörterung von – durchaus zurecht aufgezeigten – Mängeln besteht. Damit fällt nicht nur die Würdigung der Leistungen der Roten Zora als Repräsentantin des Zusammenhangs RZ / Rote Zora unter den Tisch (etwas, was allerdings die freien radikalen schon geleistet hatten und deshalb vielleicht nicht wiederholt werden mußte), sondern auch – und dieser Mangel ist gewichtiger – die spezifische Position der Roten Zora innerhalb des breiten Spektrums feministischer Positionen – was von der mg wohl allein schon deshalb nur schwer geleistet werden konnte, weil feministische Positionen anscheinend außerhalb des Lektüre-Kanons der mg liegen. Schließlich fällt mit der von der mg vorgenommenen Schwerpunktsetzung auch die Kritik an der mehr oder minder operaistisch angehauchten Flüchtlingskampagne der Revolutionären Zellen in den 1980er Jahren unter den Tisch, von der aber zu vermuten ist, daß eine solche Kritik durchaus den ideologischen Positionen der mg entsprechen könnte.
Wie dem auch sei – kommen wir zu den Kritikpunkten der mg an der Rote Zora: Zum einen kritisiert die mg, daß die Rote Zora nach dem Anschlag auf die Lürssen Werke 1995 in Bremen2 ohne Auflösungserklärung von der Bildfläche verschwunden ist. Dieser Kritik sei ausdrücklich zugestimmt, nur entwertet dies nicht zwangsläufig alles, was vorher war – sei denn es ließe sich zeigen, daß dieser unrühmliche Abgang die zwangsläufige Konsequenz aus dem vorhergehenden Politikverständnis war. Dieser Nachweis dürfte freilich nur schwer zu führen sein – und die mg unternimmt nicht einmal den Versuch, ihn zu führen.
Hinsichtlich ihres zweiten Kritikpunkts an der Rote Zora bezieht sich die mg auf einen älteren Text aus den 80er Jahren, der sich kritisch mit der Kampagne der Roten Zora gegen das Bekleidungsunternehmen Adler zur Unterstützung streikender Arbeiterinnen in der südkoreanischen Produktionsstätte des Unternehmens auseinandersetzte. Aus diesem älteren Text zitiert die mg das folgende:
„Im Ergebnis stehen wir der Aussage skeptisch gegenüber, daß es nur die hiesigen Anschläge gewesen sein sollen, die Adler zum Rückzug bewegt haben. Wir nehmen eher an, daß langfristig Produktionsverlagerungen geplant sind (…). Außerdem ist von etlichen Konzernen in Südkorea im Sommer den hartnäckigen Kämpfen oft nachgegeben worden, weil eine Lohnerhöhung weniger Profiteinbuße bedeutet als völliger Produktionsausfall.“ Und: „Über die feurigen Grüße der ‚Roten Zora’ an die Frauen von Iri (der Produktionsstätte in Südkorea, Anm. mg) haben wir uns gefreut. Unbenommen davon bleibt, daß uns ein erfolgreicher Boykott mehr gefreut hatte.“
Diesen Überlegungen zur begrenzten Durchschlagskraft der Anschläge der Roten Zora („stehen wir der Aussage skeptisch gegenüber, daß es nur die hiesigen Anschläge gewesen sein sollen“) sei durchaus zugestimmt. Allerdings stehen diese Überlegungen, nicht im direkten Widerspruch zu den Ausführungen der freien radikalen, gegen die sich die mg wenden will:
„Die Rote Zora (…) war ihrer Zeit ebenfalls weit voraus. Ihr Internationalismus – am Beispiel Adler – ist von heute aus betrachtet nichts anderes als eine auf den Punkt gebrachte militante Antiglobalisierungsaktion.“
Zwischen der Zuschreibung gleich einer ausschlagenden Bedeutung der Anschläge („daß es nur die hiesigen Anschläge gewesen sein sollen“), die die mg zurecht kritisiert, und der bloßen Belobigung, „eine auf den Punkt gebrachte militante Antiglobalisierungsaktion“, die die freien radikalen vornehmen, besteht kein Widerspruch – und zwischen beiden Wertungen liegt auch noch eine ganze Reihe von weiteren Bewertungsmöglichkeiten.
An dieser Stelle entsteht bei mir ziemlich der Eindruck, daß die mg jene alte Kritik an der Roten Zora bloß instrumentalistisch verwendet (ohne sich auf die damalige Fragestellung und die heutige Position der freien radikalen wirklich einzulassen), um einen Punkt in der etwas anders gelagerten Debatte ‚Können wir mehr von der RAF oder mehr von den Revolutionären Zellen und Rote Zora lernen?’ zu machen.
Zur RAF
Nun gut – lassen wir dies dahinstehen und fragen statt dessen, was die mg der RAF zugute hält? Die entsprechenden, gut eine halbe radikal-Spalte langen Ausführungen seien im Zusammenhang zitiert:
„Das den Anstoß zum ‚Frontprozess’ gebende ‚Mai-Papier’ von 1982 (eigentlicher Titel ‚Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front’) ist eines der wenigen kollektiven Diskussionsprodukte der klandestinen, militanten und illegalen revolutionären Linken der BRD. Es markiert nach dem ‚Herbst ’77’ eine inhaltlich-praktische Offensive in den Jahren 1985/1986, die danach unerreicht blieb. Zentral an diesem Front-Konzept ist zweierlei: zum einen dokumentiert es, aus der Karambolage mit dem repressiven Staatsapparat um ’77 nicht desillusioniert und geschlagen hervorgegangen zu sein, und zum anderen die erweiterte Perspektive von Widerstandspotentialen: ‚Wenn man so will, unterscheidet sich unsere Aktionslinie bis ’77 von der jetzt darin, daß es bis ’77 immer auf das ankam, was direkt zum bewaffneten Kampf gekommen ist oder diesen Schritt vorbereitet hat und daß es jetzt darauf ankommt, daß Guerilla, militante und politische Kämpfe als integrale Komponenten im perspektivischen Fluchtpunkt der zu entfaltenden Metropolenstrategie zusammenkommen. Wir sagen: Wenn auch bewaffnete, illegale Organisation der Kern dieser Strategie ist, bekommt sie erst ihre ganze notwendige Kraft, wenn bewaffnete Politik mit militanten Angriffen, mit den Kämpfen aus der ganzen Breite der Erdrückung und Entfremdung und mit dem politischen Kampf um die Vermittlung ihres Prozesses zusammen zu einem bewußten und gezielten Angriff gegen die Dreh- und Angelpunkte des imperialistischen Zentrums gebracht wird.’“
Auch wenn die von der mg zitierte Passage in ihrer Bezugnahme auf „militante und politische Kämpfe“ zu den überzeugenderen Passagen des Frontpapieres gehört, so fällt es doch schwer, sich nicht auch bezüglich dieser Passage der Stil-Kritik der freien radikalen („verquaste Sprache“) anzuschließen: Das fängt an bei leichten Formulierungsunklarheiten, wie:
++ „das […], was direkt zum bewaffneten Kampf gekommen ist“. Warum wurde hier das Neutrum verwendet („das“)? Was sollte genau mit „gekommen ist“ ausgedrückt werden?
++ Warum „Erdrückung“? Warum nicht „Unterdrückung“?
Und es endet mit der Häufung von Adjektiven und Schlagwörtern, die aber keine Konkretisierung erfahren, sondern eine solche Konkretisierung ersetzen: „integrale Komponenten im perspektivischen Fluchtpunkt der zu entfaltenden Metropolenstrategie“ / „bewußten und gezielten Angriff gegen die Dreh- und Angelpunkte des imperialistischen Zentrums“.
Aber das Problem ist nicht nur ein sprachliches, sondern ist auch – nicht überraschend, da die Sprache zum Formulieren von Inhalten verwendet wird – ein inhaltliches Problem:
++ Läßt sich über die RAF-Strategie der 70er Jahre wirklich pauschal sagen, daß es damals „immer auf das ankam, was direkt zum bewaffneten Kampf gekommen ist oder diesen Schritt vorbereitet hat“? Das mag für die Eskalation 1977 gelten – aber hatte die RAF nicht in ihren ersten drei längeren Strategiepapieren (Konzept Stadtguerilla, Stadtguerilla und Klassenkampf und auch der Mahler-Schrift Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa) ein – zwar nicht widerspruchsfreies und auch nur ansatzweise umgesetztes – aber doch sehr viel komplexeres Verständnis des bewaffneten Kampfes entwickelt, als daß es einfach auf das reduziert werden könnte, „was direkt zum bewaffneten Kampf gekommen ist oder diesen Schritt vorbereitet hat“?
Diese ersten Schriften nicht wieder aufzugreifen, nicht konkret zu untersuchen, warum sie sich nicht in der geplanten Weise umsetzen ließen und daraus Schlußfolgerung für die weitere Praxis zu ziehen, sondern statt dessen einen pauschalen Befreiungsschlag zu vagen „integrale[n] Komponenten im perspektivischen Fluchtpunkt der zu entfaltenden Metropolenstrategie“ zu machen, ist – einfach schwach.
++ Die mg meint, zentral am Frontkonzept sei, „aus der Karambolage mit dem repressiven Staatsapparat um ’77 nicht desillusioniert und geschlagen hervorgegangen zu sein“. Ja, augenscheinlich nicht endgültig geschlagen, aber die anvisierte nunmehrige Verbindung von „Guerilla, militante[n] und politische[n] Kämpfe“ hätte sicherlich an Glaubwürdigkeit gewonnen, wenn sich die RAF ihrer Niederlage von 1977 gestellt und ihre eigenen Fehler, die dazu beigetragen haben, analysiert hätte. Statt dessen präsentierte die RAF in der von der mg zitierten Passage eine glatte Fortschrittsgeschichte mit nahtlosem Übergang: „Wenn man so will, unterscheidet sich unsere Aktionslinie bis ’77 von der jetzt darin, daß es bis ’77 immer auf das ankam, was direkt zum bewaffneten Kampf gekommen ist oder diesen Schritt vorbereitet hat und daß es jetzt darauf ankommt, daß Guerilla, militante und politische Kämpfe […] zusammenkommen.“
Die gesamte Politik bis 1977 wurde damit außer Kritik gestellt: Genauso wie „es jetzt [scil.: in den 80er Jahren, TaP] darauf ankommt, daß Guerilla, militante und politische Kämpfe […] zusammenkommen“, so kam es (bis) 1977 angeblich tatsächlich nur „auf das an[…], was direkt zum bewaffneten Kampf gekommen ist oder diesen Schritt vorbereitet hat“. Daß diese Sichtweise nach der offensichtlichen Niederlage von 1977 auch in der radikalen Linken nicht auf besonders viel Anklang stieß und das anvisierte Zusammenkommen von „Guerilla, militante[n] und politische[n] Kämpfe“ abgesehen von einem sehr, sehr schmalen Segment des Antiimperialistischen Widerstand nicht zustande kam, kann kaum überraschen.
++ Alle Probleme, die sich dann im Laufe der 80er Jahren in der Umsetzung des Frontkonzeptes zeigten, waren in der von der mg – schlechterdings zustimmend – zitierten Passage schon angelegt: „Wir sagen: Wenn auch bewaffnete, illegale Organisation der Kern dieser Strategie ist, bekommt sie erst ihre ganze notwendige Kraft, wenn bewaffnete Politik mit militanten Angriffen, mit den Kämpfen aus der ganzen Breite der Erdrückung und Entfremdung und mit dem politischen Kampf um die Vermittlung ihres Prozesses zusammen zu einem bewußten und gezielten Angriff gegen die Dreh- und Angelpunkte des imperialistischen Zentrums gebracht wird.’“
---- Die „bewaffnete, illegale Organisation [ist] der Kern dieser Strategie“: Ja, das war die strategische Orientierung der RAF und der Antiimps der 80er Jahre. Und das war eben nicht das Primat des Politischen über das Militärische, das die militante gruppe an anderer Stelle fordert und verteidigt. Mit der vorab-Setzung, daß die „bewaffnete, illegale Organisation der Kern dieser Strategie ist“, war die RAF auch mit ihrer neuen Strategie wiederum außer Kritik gestellt – und das postulierte „[Z]usammenkommen“ war faktisch nur ein Dazukommen: militante und politische Kämpfe als Wasserträger für die „bewaffnete, illegale Organisation“, die der „Kern“ ist und deshalb die Linie für alle vorgibt.
--- Und schließlich: Der „bewußte und gezielte Angriff gegen die Dreh- und Angelpunkte des imperialistischen Zentrums“ – das war in den 80er Jahren praktisch der Angriff auf Funktionsträger des Staates und des Kapitals. Das war aber strategisch wie analytisch gleichermaßen falsch, denn diese Funktionsträger sind eben nicht die Dreh- und Angelpunkte.
In diesem Zusammenhang kommt nämlich ein spezifischer Unterschied zwischen einem Gefecht zwischen bewaffneten Einheiten einerseits3 und der gezielten Tötung einzelner FunktionärInnen andererseits zum Tragen:
In einem Gefecht rechtfertigt sich das Töten aus der Legitimität des Ziels der einen oder anderen Seite, der Effektivität der eingesetzten Strategie als Ganzes und der Existenz einer unmittelbaren Kampfsituation, in der sich Bewaffnete gegenüberstehen. In einer solchen Kampfsituation bedarf der einzelne Tötungsakt keiner besonderen Rechtfertigung: Ob Soldat X oder ggf. Soldatin Y getötet wird, ist egal, Hauptsache die eigene Kugel trifft überhaupt bewaffnete GegnerInnen.
Ganz anders verhält es sich mit der gezielten Tötung von FunktionärInnen außerhalb von Kampfsituationen (und zu etwas anderem war die RAF nicht in der Lage): Hier ist es, sofern überhaupt zu rechtfertigen, nicht mehr egal ob X oder Y getötet wird, sondern die Auswahl-Entscheidung bedarf einer besonderen Rechtfertigung (und genau so hatte es ja auch die RAF gesehen) – und genau das führt analytisch und strategisch in die Irre:
S. z.B. die RAF-Erklärung zur Tötung des Siemens-Managers Beckurts: „Schon in den 70er Jahren stand er an der Spitze der strategischen Ausrichtung des Kapitals: er war Chef des Kernforschungszentrums Jülich“.
RAF-Erklärung zur Tötung des Außenamts-Mitarbeiters Braunmühl: „Politischer Direktor im Außenministerium und eine der zentralen Figuren in der Formierung westeuropäischer Politik im imperialistischen Gesamtsystem“.4
Solche „Figuren“ sind weniger „Dreh- und Angelpunkte des imperialistischen Zentrums“ als ein paar Akten, die bei Brandanschlägen der Revolutionären Zellen auf Ausländerbehörde zerstört wurden und auch als durch autonome Gruppe (aus Protest gegen Atomtransporte) unterbrochene Bahnstrecken. Wer/welche einen aufgeräumten Schreibtisch und Aktenschrank hinterläßt, kann ziemlich problemlos ersetzt werden.
Der argumentative Zwang die Auswahlentscheidung für solche gezielten Tötungsaktionen gesondert zu begründen, produziert zwangsläufig eine desorientierende Überschätzung der Bedeutung der getöteten Individuen. Eine Kommandoerklärung, ‚Wir haben heute den beliebigen Funktionär X getötet und in einigen Wochen oder Monaten werden wir wieder genauso wahllos zuschlagen’, wäre unmöglich. Um zu rechtfertigen, warum X (und nicht Y getötet wird), mußte die Rolle von X (der in Wirklichkeit kein Deut wichtiger war als Y, der aber nicht getötet wurde) zwangsläufig aufgebauscht werden. Dies war theoretisch genauso flach, wie heute Kapitalismuskritik auf Kritik an ‚gierigen Managern’ zu reduzieren (oder sogar erstere durch letztere zu ersetzen). Mehr Marxismus bitte, militante gruppe:
Falls ich abschließend zu diesem Abschnitt versuchen soll, meinen RZ / Rote Zora – RAF-Vergleich zwar nicht zusammenzufassen, aber zumindest um einige schematische Thesen zu ergänzen, so würde ich sagen:
1.a) Die RAF war Rote Zora / Revolutionären Zellen darin überlegen, daß sie überhaupt versucht hat, in Strategiepapieren den Stellenwert des bewaffneten Kampfes systematisch darzulegen. Dabei waren die ersten drei Strategiepapiere den späteren theoretisch weitaus überlegen. Als großer Mangel ist freilich zu verzeichnen, daß seitens der RAF praktisch gar keine und von anderen auch nur ansatzweise eine Analyse geleistet wurde, woran die Umsetzung des ursprünglichen RAF-Konzeptes scheiterte.
b) Die Revolutionären Zellen und die Rote Zora haben sich dagegen weitgehend auf Anschlagserklärung aus Anlaß bestimmter Aktionen und – v.a. in den 80er Jahren – hochwertige Politikfeldanalysen beschränkt.
2. RZ / Rote Zora es ist mit dem geringeren militärischen Aufwand gelungen, den herrschenden Verhältnissen mehr effektiven Schaden zuzufügen, während sich die RAF in einer personalisierend-symbolischen Auseinandersetzung verschlissen hat.
3.a) Rote Zora / RZ war es mit ihrer Kombination von militanter Praxis und Politikfeldanalysen – jedenfalls ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre – weitaus besser als der RAF gelungen, in soziale Bewegung hineinzuwirken und diesen gegenüber avantgardistisch-orientierend zu wirken und dabei eine Funktion wahrzunehmen, die weder von der akademischen Linken noch vom Kommunistischen Bund (KB) erfüllt wurde noch von Spontis hätte erfüllt werden können.
b) Gleichzeitig war es RZ / Rote Zora als klandestinem Zusammenhang nicht möglich, die Funktion des KB als legaler Organisation mit legaler Publizistik überflüssig zu machen.
4. Wenn nach unausgeschöpften Möglichkeiten der BRD-Linken der 70er und 80er Jahre gesucht werden soll, so wird – um noch einmal auf das Vorwort der aktuellen radikal-Ausgabe zurückzukommen – die Antwort weniger in einer Fusion der sozialrevolutionären Linie der Revolutionären Zellen und der Roten Zora einerseits und der antiimperialistischen Linie der RAF der 80er Jahre zu finden sein. Vielmehr werden sie im Dreieck zwischen den theoretisch-strategischen Schriften der frühen, marxistischen RAF, den Politikfeldanalysen und der niedrigschwelligen Militanz von RZ / Rote Zora sowie dem organisatorischen und publizistischen ‚Pragmatismus’ des KB (der diesen einerseits positiv von den anderen ML-Gruppen abhob, aber auch seine spezifischen Grenzen hatte) zu suchen sein. (Die deutsche akademische Linke ist hier nicht zu erwähnen, da sie mit ihrem weitgehenden Verbleiben im theoretischen Horizont der Frankfurter Schule [BRD/WB] einerseits und des Stalinismus [DDR] andererseits sämtliche international relevanten theoretischen Entwicklungen seit den 60 Jahren verschlafen hat und deshalb auch kaum zu bedauern ist, daß sie im Zuge des neoliberalen roll backs selbst ihre hochschulpolitische Relevanz verloren hat. Die Linke in den Grünen der 80er Jahre war bald vom innerpartelichen Fundi-‚Realo’-Konflikt um Regierungsbeteiligungen so absorbiert, daß sie für bewegungsorientierte inhaltliche und strategische Diskussionen weitgehend ausfiel.)5
„Jenseits militaristischer Organisationsmodelle“
Im folgenden Abschnitt setzt sich die mg mit der wohl auf sie gemünzten Abgrenzung der freien radikalen von „militaristische[n] Organisationsmodelle“ auseinander.
Die mg bemängelt – und zwar, wie mir scheint, zurecht –, daß die freien radikalen weder eine Definition von „militaristisch“ noch des Jenseits davon leisten und sich auch nicht mit den von der mg dazu bereits verfaßten Texten auseinandersetzen. Die mg antwortet darauf mit einer ganzen Reihe von Klassiker-, Selbst- und anderen Zitaten, die von mir soweit geteilt werden, daß hier auf eine Zusammenfassung verzichtet und auf eine eigenständige Lektüre des mg-Textes verwiesen werden soll. Wer/welche mit den dortigen Bestimmungen nicht einverstanden ist, sollte sich schon die Mühe machen, sie konkret zu kritisieren, und/oder ergänzende oder alternative Bestimmungen gleicher oder größerer Konkretheit vorschlagen. Wer/welche dagegen mit den theoretischen Bestimmungen einverstanden ist, aber der Ansicht ist, daß die militante Praxis der mg diesen Bestimmungen nicht entspricht, müßte dann dies konkret darlegen. (Ich meinerseits würde v.a. Bedenken gegen die anfängliche Patronenverschickung durch die mg und die frühen Erwägungen zu etwaigen gezielten Tötungen anmelden. Aber das ist mittlerweile – hoffentlich – ziemlich kalter Kaffee. – Im vierten Teil dieser Rezensions-Serie werde ich noch kritisch auf den Bindestrich-Ausdruck „politisch-militärisch“ eingehen.)
Was heißt Kritik?
In dem letzten Abschnitt vor den „Schlusspunkten“ beschäftigt sich die mg mit dem Kritikverständnis der freien radikalen. Die freien radikalen postulierten, daß es die beste Kritik sei, einer für falsche gehaltenen Position „eine andere Praxis und einen anderen Inhalt“ entgegenzusetzen. Die mg bemängelt – wie mir wiederum scheint: weitgehend zutreffend – an dieser mangelhaften Elaborierung von Kritik, daß es um die Identifizier- und damit Vergleichbarkeit der „anderen Praxis und [… des] anderen Inhalts“ jedenfalls dann schlecht bestellt ist, wenn Praxis und Inhalte nicht unter kontinuierlicher Verwendung eines Gruppennamens vorgestellt werden. Außerdem wird bemängelt, daß das frei radikale Plädoyer für „eine andere Praxis und einen anderen Inhalt“ merkwürdig konsequenzlos bleibt, wenn die freien radikalen in ihrem Papier gleichzeitig schreiben:
„Wir können und wollen keine Vorgaben leisten, die zum jetzigen Zeitpunkt die inhaltliche Thematik bestimmt“. „Wir vertrauen auf einen Prozess des Selbstlaufes in der Debatte und auf eine politische Reife, von deren Existenz wir wissen, die ohne hierarchische Guru-Moderation auskommt.“
Die mg bemerkt dazu, daß es zu dem erhofften Selbstlauf nach den Papieren der freien radikalen nicht gekommen ist (auch diese selbst traten – zumindest unter diesem Namen – nicht wieder in Erscheinung), und macht die für jede Debatte, die nicht im Sande verlaufen soll, bestehende Notwendigkeit geltend, sie zu moderieren und zu resümieren.
Die mg bekräftigt dann noch einmal den Vorschlag für eine militante Plattform und schreibt in einem anscheinend beim Layout verunstalteten Satz: „Entscheidend ist, dass sich zum einen ein strukturiertes Geflecht von militanten Kernen sucht und findet und zum anderen ein debattenmäßiger Austausch und eine inhaltliche ### Medium unter Militanten stattfindet.“ Statt der von mir hier gesetzten Doppelkreuze dürfte wohl etwas hingehören wie „Diskussion in einem geeigneten“. –
In ihren „Schlusspunkten“ geht die mg dann in erster Linie noch kurz auf ihren seinerzeitigen (Winter 2008/2009) internen Gruppenzustand ein.
Teil I und II dieser Rezensions-Reihe erschienen unter:
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/07/auf-papier-gelesen-radikal-nr-161-t_i/
und
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/09/nachtrag-zur-schlacht-von-asculum-zugleich-rez-teil-ii-zu-radikal-nr-161/;
vgl. auch noch http://theoriealspraxis.blogsport.de/2009/08/09/heute-gelesen-98/, Nr. 2.
- Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Interim_(Zeitschrift). [zurück]
- http://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/Rote_Zora/rote_zora.html. [zurück]
- Solche Gefechte führen, waren (und sind teilweise) trikontinentale Guerillabewegungen in der Lage. In Westeuropa waren dazu in den 70er und 80er Jahren nicht einmal die stark in nationalen oder proletarischen communities verankerten Guerillaorganisationen in Euskadi und Nordirland bzw. in Italien in der Lage – von den anderen Gruppe (egal, ob der antiimperialistischen Linie [RAF, AD] oder der kommunistischen Linie [GRAPO, CCC]) ganz zu schweigen. [zurück]
- http://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/raf-texte+materialien.PDF, S. 370, 376. [zurück]
- Siehe ergänzend noch meinen Text unter: http://theoriealspraxis.blogsport.de/1996/12/15/die-phasen-des-kampfes-der-roten-armee-fraktion-gegen-das-gesellschaftssystem-der-brd-1971-1996/. [zurück]
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