Um in der Debatte über Antisemitismus zwischen ‚Antideutschen‘ und ‚Anti-Antideutschen‘ nicht weiterhin aneinander vorbeizureden, möchte ich 2 × 4 begrifflich-logische Vorschläge unterbreiten. Wenn es möglich wäre, sich auf diese insgesamt acht (negativen) Aussagen zu verständigen, dann blieben noch genug (positive) Aussagen übrig, über die sich eine sachliche Diskussion lohnen würde – und über dann eine Auseinandersetzung möglich wäre, ohne sich gegenseitig bösartige Absichten zu unterstellen oder sich gar gegenseitig die Köpfe einschlagen.
Ich beginne mit vier Punkten der Abgrenzung von dem, was einige ‚Antideutsche‘ wohl tatsächlich vertreten, aber jedenfalls viele ‚Anti-Antideutsche‘ als antideutsche Position wahrnehmen. Und dann folgt umgekehrt eine Abgrenzung von Positionen, die einige ‚Anti-Antideutsche‘ wohl tatsächlich vertreten und jedenfalls viele ‚Antideutsche‘ den ‚Anti-Antideutschen‘ zuschreiben. Es folgen schließlich noch 5 Nachbemerkungen zu NS-Vergleichen.
I. Contra Klischee-Antideutsche
1. Nicht jede falsche Position ist antisemitisch.
2. Nicht jede – sei es falsch oder richtige – Kritik an Israel ist per se antisemitisch.
3. Nicht jede – sei es falsch oder richtige – Kritik an Juden oder Jüdinnen ist per se antisemitisch.
4. Nicht jede Kritik an Israel oder Jüdinnen/Juden ist falsch.
II. Contra Klischee-Anti-Antideutsche
1. Eine Kapitalismus-Kritik, die sich an den Exzessen und Skandalen des Kapitalismus, sowie an den TrägerInnen-Subjekten (Kapitalisten) abarbeitet, mag antisemitisch (oder ‚latent‘ oder ’strukturell‘ antisemitisch) sein oder nicht – jedenfalls ist die nicht marxistisch / kommunistisch.
Der Marxismus ist kein verbalradikaler Neuaufguß der sozialdemokratischen ‚Heuschrecken‘-Rhetorik.
2. Entscheidend ist in letzter Instanz nicht, was eineR beabsichtigt, sondern, was er/sie tut.1 Dies gilt entsprechend auch für das Sagen: Entscheidend ist weniger was eineR sagen will, als vielmehr, was er/sie tatsächlich sagt.
Zwischenbemerkung contra Klischee-‘Anti- deutsche‘ und contra Klischee-‘Anti-Antideutsche‘
Folglich kann eine Aussage objektiv antisemistisch sein, ohne subjektiv antisemitisch gemeint gewesen zu sein.
Der Nachweis derartiger objektiver Bedeutungen hat freilich mit ernsthaften Textanalysemethoden zu erfolgen (d.h.: muß sich empirisch und argumentativ ausweisen) – und nicht mit der Wünschelrute.
Die adäquate Konsequenz aus der Einsicht unabsichtlich etwas Antisemistisches formuliert zu haben, ist die Korrektur der eigenen Formulierungen – nicht das Beharren darauf, es gar nicht antisemistisch gemeint zu haben.
3. Aus den genannten Gründen ist nicht ausgeschlossen, daß sich eine Aussage, die sich subjektiv als antizionistisch versteht, objektiv antisemitisch ist.
4. Daß nicht jede Kritik an Israel oder Jüdinnen/Juden antisemitisch ist, befreit nicht davon, zu prüfen, ob nicht im jeweiligen Einzel- / Konfliktfall dennoch eine antisemistische Aussage vorliegt.
Nachbemerkung zu NS-Vergleichen:
1. Der Nationalsozialimus kann mit anderen Herrschaftsformen verglichen werden – unzutreffend wäre freilich, wenn der Vergleich mit einer Gleichsetzung endet.
2. Eine solche unzutreffende Gleichsetzung des NS mit anderen Herrschaftsformen kann, aber muß nicht dem Ziel dienen, den NS schön zu reden. Intention kann vielmehr auch sein, die Schärfe der Ablehnung des NS – an der kein Deut gerüttelt wird – auf andere Herrschaftsformen zu übertragen.
Objektiv liegt darin freilich dennoch eine Verharmlosung des NS, denn eine solche Gleichsetzung bedeutet eine Negierung der Spezifik des vom NS nicht nur vorsätzlich, sondern mit direkter Absicht durchgeführten industriellen Massenmordes an den europäischen Juden und Jüdinnen.
3. Die Sozialfaschismus-These der KomIntern war schon Ende der 1920er / Anfag der 1930er Jahre, als sie formuliert wurde, falsch. Im Lichte der tatsächlichen Erfahrung des NS erweist sie sich als noch ‚falscher‘.
4. Auch eine Gleichsetzung nicht aus ArbeiterInnenbewegung hervorgegangener, parlamentarisch-repräsentativ-demokratischer Parteien, wie CDU/CSU in der BRD oder Republikaner in den USA, mit dem NS wäre unzutreffend.
5. Auf der Grundlage einer solchen unzutreffenden Gleichsetzung ließe sich weder eine effektiv antifaschistische / antinationalsozialistische Strategie entwickeln (selbst wer/welche findet, daß KommunistInnen im Rahmen der Volksfront-Strategie ab Mitte der 30er Jahre zuviel an Profil verloren haben [eine Position, der ich durchaus zuneige], kommt für eine richtige Situationseinschätzung und Strategieentwicklung nicht umhin, die Unterschiede zwischen verschiedenen bürgerlichen und selbst verschiedenen faschistischen Herrschaftsformen zu berücksichtigen).
Auch eine effektive Strategie gegen den Imperialismus im allgemeinen ließe sich auf der Grundlage einer unzutreffenden Gleichsetzung nicht entwickeln, da es erforderlich ist, die jeweils spezifischen Stärken und Schwäche der unterschiedlichen Herrschaftsformen zu berücksichtigen2.
Nach-Nachbemerkung:
Diese Thesen beanspruchen – wie gesagt – keine Originalität, sondern wollen nur einen Rahmen vorschlagen, in dem eine sachliche Debatte über viele ernsthafte Problem möglich wäre – und das gegenseitige Abschlachten von PappkameradInnen beendet werden könnte.
- „Wollen wir Turati, dem Reformisten, Turati, dem Anhänger Kautskys, glauben, daß es nicht seine Absicht war, den Krieg zu rechtfertigen. Wer wüßte aber nicht es in der Politik nicht auf Absichten ankommt, sondern auf Taten? nicht auf fromme Wünsche, sondern auf Tatsachen? nicht auf das, was man sich einbildet, sondern auf das, was wirklich ist?“ [LW 23, 187; engl.: http://www.marxists.org/archive/lenin/works/1917/jan/01.htm; Article (or Chapter II)] „Während im gewöhnlichen Leben jeder Shopkeeper
sehr wohl zwischen Dem zu unterscheiden weiß, was Jemand zu sein vorgibt, und dem, was er wirklich ist, so ist unsre Geschichtschreibung noch nicht zu dieser trivialen Erkenntnis gekommen. Sie glaubt jeder Epoche aufs Wort, was sie von sich selbst sagt und sich einbildet.“ (Marx/Engels) [zurück] - Vgl. Lenin: „Der Artikel von G[eorg] L[ukács] ist ein sehr radikaler und sehr schlechter Artikel. […]. Es fehlt die konkrete Analyse ganz bestimmter historischer Situationen.“ (LW 31, 153) „the most essential thing in Marxism, the living soul of Marxism, [is] the concrete analysis of concrete conditions“ (zit n. http://www.marxists.org/reference/archive/mao/selected-works/volume-1/mswv1_12.htm, FN 10, dt. wie vorstehend S. 154 [?]). [zurück]
ey du vollspast, hör doch bitte einfach auf blogsport und indymedia vollzuspamen und verpiss dich zurück in dein osi!
danke
krass.. wie konstruktiv
Das vertrackte mit dem Antisemitismus ist u.a. die unbewußte Komponente. Und die führt dazu, daß nicht nur Aussagen, sondern schon unreflektierter Sprachgebrauch objektiv antisemistisch sein kann, ohne subjektiv antisemitisch gemeint gewesen zu sein.
Zumal wenn er schon so entsetzlich weit verbreitet ist wie der von der „Kritik an Israel“ oder gar in einem Wort verdichtet „Israelkritik“. Mach damit mal den Sprachtest und setze an Stelle von „Israel“ einen beliebigen anderen Ländernamen und horch mal wie das klingt. Das geht fast nicht. Oder google mal „Israelkritik“ und dann „Palestinakritik“ oder meinethalben „Sudankritik“. Ich habe noch keine derartige „Länderkritik“ gefunden die nach Fundstellen auch annähernd an „Kritik an Isreal“ heranreicht (3570). Und da hatten die antisemitischen Schreiber vor lauter Erregung noch einen DReher drin, richtig geschrieben kommen sie auf 138.000
Noch Fragen?
p.s. Kritik an bestimmten Juden, genau wie die an einem Schweden, geht dagegen selbstredend völlig in Ordnung…