‚Unser Kritiker‘ kommentiert meinen Beitrag Immer wieder Probleme mit der RAF wie folgt:
und meinen Beitrag Eine Warnung vor dem Zensur-Begriff wie folgt:
Dazu sei folgendes angemerkt:
1.a) Wer/welche das Denken freiwillig an den staatlichen Jugendschutz abgibt (der ist nämlich für die Erstellung des fraglichen Index zuständig), ist selbst schuld. Mag der staatliche Jugendschutz auch häufig im Ergebnis richtige Entscheidungen treffen, so ist dieser doch wohl kaum die geeignete Instanz dafür zu entscheiden, ob etwas links, emanzipatorisch, revolutionär, marxistisch, feministisch (oder was wir auch immer sagen wollen) ist oder nicht. Nicht auf dem Index des Jugendschutzes zu stehen, ist als solches kein linkes oder feministisches Qualitätssiegel.
b) Ein linkes Radio sollte seine playlist nicht nach jugendschützerischen, sondern nach politischen Gesichtspunkten zusammenstellen.
2. Definitionen haben einen großen Nutzen: Sie stellen klar, worüber geredet wird, und: Umso enger ein Begriff definiert wird, um so eindeutiger ist, auf welche Sache er sich bezieht – und so wird verhindert, daß Äpfel mit Birnen verwechselt werden. Im vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies: Eine Entscheidung in eigener Sache (bestimmte Stücke nicht zu spielen oder mit einem Radio, das bestimmte Stücke spielt, nichts zu tun haben zu wollen) ist keine Zensur.
a) Zensur in enger juristischer Definition ist Vor-Zensur: Der mit Sanktionen abgesicherte Zwang, Werke vor ihrer Verbreitung/Veröffentlichung einem Zensor / einer Zensorin vorzulegen, der/die entscheidet, ob das Werk von denjenigen, die es verbreiten wollen, verbreitet werden darf. Das ist gemeint, wenn es in Art. 5 I 3 GG heißt: „Eine Zensur findet nicht statt.“
Die eigene Entscheidung, ein Werk gar nicht verbreiten zu wollen, oder die eigene Entscheidung, mit Leuten, die bestimmte Werke verbreiten, nichts zu tun haben zu wollen, hat damit rein gar nichts tun. Verglichen mit einer Gleichsetzung dieser völlig unterschiedlichen Vorgänge wäre eine Verwechselung von Äpfeln und Birnen noch eine botanische MeisterInnenleistung.
b) Mit einem etwas weiteren (politischen) Begriff von Zensur mag auch noch das nachträgliche Eingreifen des Staates in das bereits begonnene Verbreiten von Werken „Zensur“ genannt werden. Juristisch fällt dieser Vorgang unter Art. 5 I 1 GG: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern […].“ – Zu beachten ist hierbei noch der Vorbehalt in Art. 5 II GG: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ (Und darauf stützt sich der von ‚unserem Kritiker‘ erwähnte Index.)
c) Des weiteren mag auch noch – mit einem noch weiteren Begriff von „Zensur“ – das handgreifliche Eingreifen von zivilgesellschaftlichen AkteurInnen gegen Meinungsäußerungen (oder Kunstwerke) von anderen zivilgesellschaftlichen AkteurInnen (z.B. die Sprengung einer unliebsamen Veranstaltung oder eines unliebsamen Konzerts; das Klauen und Vernichten unliebsamer Druckschriften) „Zensur“ genannt werden.
d) Schließlich mag auch in Bezug auf einen binnenpluralistischen Grundsätzen verpflichteten öffentlich-rechtlichen Sender von „Zensur“ gesprochen werden, wenn dieser den gesellschaftlichen Pluralismus verkürzt und bestimmte Positionen nicht ihrem gesellschaftlichen Einfluß gemäß zu Wort kommen läßt.
d) Mit etwas ganz anderem haben wir es im vorliegenden Fall zu tun: Einem Radio und einer Partei, die gerade nicht die ganze gesellschaftliche Bandbreite vertreten (wollen), sondern eine bestimmte politische Tendenz: die (wie auch immer zu definierende) Linke. Das Radio muß definieren, was es für links hält – und entsprechend seine playlist zusammenstellen. Und die Partei muß definieren, was sie für links hält und entsprechend ihre Kooperationen ausrichten.
Andere Linke können dieses Entscheidungen dann kritiseren, einen ganz anderen Begriff von „links“ geltend machen, dem Radio oder der Partei eine ‚Mißbrauch‘ des Wortes „links“ vorwerfen usw.
Aber niemals handelt es sich bei einer Entscheidung in eigener Sache, gemäß der eigenen Präferenzen und nur die eigene Praxis (oder vielmehr Passivität: Nichtspielen, Nichtkooperieren) betreffend um Zensur. Und von Selbst-Zensur zu reden, hat nur Sinn, wenn z.B. aus Angst vor Repression wider die eigene Überzeugung entschieden und gehandelt wird – aber nicht, wenn Leute für sich sich selbst eine Entscheidung gemäß ihrer Überzeugung treffen.
3. „diese art der kulturellen kritik hatten wir schonmal…..denkt mal an das dritte reich! was kommt als nächstes? buchverbrennungen von linkskritischen autoren?“
a) Der Nationalsozialismus bedeutete eben nicht die freie Entscheidung von gesellschaftlichen AkteurInnen, was sie verbreiten und was nicht; mit wem/welchen, sie kooperieren, und mit wem/welchen nicht – sondern die gewaltsame Regulierung dieser Fragen durch Staat und nationalsozialistischer Partei. Deshalb ist – abgesehen von allen anderen Gründen – eine Parallelisierung (oder in die Näherückung) des vorliegenden Falls mit dem „Dritten Reich“ fehl am Platz. (Diese Selbstbezeichnung des nationalsozialistischen Deutschlands als „Drittes Reich“ ist im übrigen Teil des imperialistischen Herrschaftsanspruchs des NS gewesen, der sich damit in eine Kontinuität zum sog. ‚Ersten Reich‘, dem am Anfang des 19. Jh. endgültig zusammengebrochenen Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, stellte, das aber trotz seines Namens kein deutscher Nationalstaat war – und zu jener Zeit auch nicht sein konnte. Deshalb sollte der NS-Begriff „Drittes Reich“ von antifaschistischer Seite im übrigen, wenn überhaupt, nur in Anführungszeichen verwendet werden.)
b) „was kommt als nächstes? buchverbrennungen von linkskritischen autoren?“ – Was soll das denn besagen?! Abgesehen davon, daß es hier nicht um die Vernichtung von Kunstwerken oder Büchern geht (s. oben) – stimmst Du also der Kritik zu, daß die Texte von diebandbreite nicht links sind? Oder wie kommst Du auf die Idee, ein etwaiger nächster Schritt könne sich gegen „linkskritischen autoren“ richten?
4. „es handelt sich in diesem fall um ideologische zensur! diese art von zensur ist meines erachtens die schlimmste form der einschränkung!“ Was wäre denn demgegenüber ‚nicht-ideologische‘ Zensur?!
5. „ist Schwachsinn“ ist kein Argument – und bleibt daher, abgesehen von diesem Hinweis, unbeantwortet.
PS.:
„ich denke dass nicht das linke radio der partei geschadet hat, sondern die reaktion der bundespartei letztlich die unglaubwürdigkeit dieser partei unterstreicht!“
Unglaubwürdigkeit in Bezug auf was? In Bezug auf welchen Anspruch?
Zu unterscheiden sind hier:
a) die – auch untereinander noch einmal zu unterscheidenden Stücke über die RAF von aa) diebandbreite und bb) MaKss Damage.
und
b) die von mir kritisierten lyrics des diebandbreite-Stücks Kein Sex mit Nazis.
zu a):
Welchen Anspruch verrät die Linkspartei, wenn sie nichts mit Stücken über die RAF zu tun haben will? Die Linkspartei hat niemals behauptet, irgendein Interesse an einer Aufarbeitung der Geschichte des bewaffneten Kampfes zu haben. Das kann man/frau/lesbe bedauern und kritisieren; aber ein Glaubwürdigkeitsproblem liegt hier nicht vor. Der vorliegende Fall „unterstreicht“ (wie ‚unserer Kritiker‘ insofern zutreffend schreibt), was ohnehin bekannt ist. Zu diesem Aspekt der Geschichte s. im übrigen den Beitrag Die Linke, die Grünen, die sozialen Bewegungen und die Gewalt(-Diskussion).
zu b):
Die biologistische (gen-bezogene) Faschismus‘analyse‘ des Stückes Kein Sex mit Nazis stellt in der Tat jeden linken Anspruch (sei er revolutionär oder reformistisch oder sonstwas) in Frage. Da liegt ein Glaubwürdigkeitsproblem!
auf diese art den leuten das wort im munde umzudrehen lasse ich mich nicht ein.
das ist keine sinnvolle argumentationsweise die hier an den tag gelegt wird.
ich habe lediglich meine meinung zum ausdruck gebracht! wer damit nicht umgehen kann hat pech gehabt!
ps: war ja klar…..die macher des index sind schuld! ich wiederhole mich ungern, aber sucht euch dringend ein hobby!
Magst Du der geneigten LeserInnenschaft vielleicht auch noch mitteilen, wo Du Dich mißverstanden fühlst?
Sinnvoll für eine produktive Diskussion wäre, nicht nur eine Meinung zu haben, sondern sie auch auf Argumente zu stützen.
Zensur ist keineswegs „im juristischen Sinne“ Vorzensur. Es handelt sich bei dieser Umdefinierung um ein rein deutsches Phänomen, entstanden um staatliche Zensur trotz Zensurverbots im Grundgesetz zu rechtfertigen. Selbstverständlich steht auch nicht die gesamte deutsche Rechtswissenschaft hinter dieser Ansicht, sondern nur ein großer Teil. Sich jetzt hier hinzustellen und diesen Zensur-Begriff als allgemein anerkannt und legitim hinzustellen ist mehr als fahrlässig.
Vielen Dank für Hinweis.
Ja, sicherlich gibt es immer auch Mindermeinungen – und vor allem Leute, die aus Verfassungen und anderen Gesetzen das herauslesen, was sie sich als Gesetzesinhalt wünschen. Letzteres ist in Deutschland im übrigen die vorherrschende Methode.1
Im vorliegenden Fall trifft die herrschende Ansicht aber zu:
1. Der Wortlaut „Zensur“ tendiert mindestens in Richtung dessen, was verdeutlichend Vor-Zensur genannt wird:
Es wird etwas einem systematischen Überprüfungs-, Bewertungs- (und in unserem Kontext: ggf. Verbots-)Verfahren unterzogen.
Das ist etwas anderes als die mehr oder minder zufällig erlangte Kenntnis bestimmter Inhalte, gegen die dann im Einzelfall vorgegangen wird.
So wie in der Schule oder an der Uni die Arbeit vorgelegt werden muß, bevor es eine Zensur gibt, so mußte auch das Werk der Zensurbehörde vorgelegt werden, die dann über Freigabe oder Verbot der Verbreitung entschied.
2. Das rechtsgeschichtliche Argument: Das Zensur-Verbot entstand (zumindest im deutschen Sprachraum) genau in Reaktion auf die in dieser Weise funktionierende Metternich-Zensur und die censura praevia der Kirche und weltlicher Gewalten.
3. Das systematische Argument: a) Würde Zensur in Art. 5 I 3 GG auch nachträgliche Eingriffe in die Zirkulation von Meinungen betreffen, wären die Satz 1 und 2 von Art. 5 I GG überflüssig:
Alles, was zu sagen ist, wäre mit dem Zensur-Verbot gesagt.
b) Auch die Schranken des Art. 5 II GG erklären sich aus dem Unterschied zwischen Zensur im juristischen Sinne und nachträglichen Eingriffen in die Zirkulation von Meinungen:
Das Zensurverbot gilt absolut; zunächst einmal soll alles die Möglichkeit haben, an das Licht der Öffentlichkeit kommen.
Und in die Rechte (und Freiheiten) des Art. 5 I 1 und 2 GG kann unter den Bedingungen des Art. 5 II GG eingegriffen werden – nämlich, indem nachträglich gegen das, was bereits an das Licht der Öffentlichkeit gelangt ist, vorgegangen wird.
Das ist die Verfassungslage, und die kann einem/r gefallen oder nicht. Aber das ist die Lage, und wer/welche sich eine andere Rechtslage wünscht, hat dafür gefälligst politische Initiativen zu ergreifen und nicht seine Wünsche als schon-Recht auszugeben. Alles andere wäre weder epistemologisch haltbar noch – in emanzipatorischer Persepktive – politisch sinnvoll (s. dazu bspw. http://interkomm.so36.net/archiv/2008-08-30/nse.pdf, S. 34 – 40; http://www.trend.infopartisan.net/trd1108/D_G_Schulze_Vortrag.pdf, S. 3 ff.).