Die taz berichtet über gestern u.a.:
Gemeint sein kann entweder: „Einige Soldaten sind Mörder“ (eine juristische Behauptung) oder aber „Alle Soldaten sind Mörder“ (eine moralische Behauptung). Politisch ist keine von beiden Behauptungen.
Gemeint gewesen sein dürfte von den meisten DemonstrantInnen die moralische Variante; gerade aus der Differenz zwischen der juristischen Mord-Definition und ihrer Anwendung in der fraglichen Parole liegt deren kritischer Anspruch.
Aber wird dieser kritische Anspruch auch realisiert? Was wird mit dieser Parole eigentlich kritisiert?
Waren auch die Soldaten der Alliierten, die Nazi-Deutschland besiegten, „Mörder“? Und falls nicht: Wie läßt sich im Rahmen einer solchen moralischen Kritik am Kriegführen (töten = morden) differenzieren? Gut, als Tucholsky den Spruch prägte, hatte der 2. Weltkrieg noch nicht begonnen; die Nazis waren noch nicht einmal an der Macht. Aber was ist mit denen, die heute den Spruch verwenden?!
Und was war vorher? Waren die Soldaten der Roten Armee, die gegen die Bürgerkriegsarmeen der Weißen kämpften „Mörder“? Und die Soldaten der französischen Revolution rund 1 1/2 Jahrhunderte vorher?
Der Abgeordneten Brissot meinte immerhin:
„Die Kraft der Überlegung und der Tatsachen hat mich davon überzeugt, dass ein Volk, das nach 10 Jahrhunderten der Sklaverei die Freiheit errungen hat, Krieg führen muß. Es muß Krieg führen, um die Freiheit auf unerschütterliche Grundlagen zu stellen; es muß Krieg führen, um die Freiheit von den Lastern des Despotismus rein zu waschen, und es muß schließlich Krieg führen, um aus seinem Schoß jene Männer zu entfernen, die die Freiheit verderben könnten.“
Auch wer/welche diese existentialistische Reinigungsmetaphorik – zurecht – nicht teilt, sollte sich der Einsicht, daß Politik etwas mit Macht – und das heißt: in letzter Instanz etwas mit Gewalt zu tun – nicht verschließen. Es gibt einen politikwissenschaftlichen Realismus der nicht in sog. Realpolitik (die im übrigen häufig gerade unrealistisch ist; unrealistische Versprechen macht!) aufgeht.1
Kein Zufall dürfte jedenfalls sein, daß das Bundesverfassungsgericht in seiner „Soldaten sind Mörder“-Entscheidung gerade der moralischen Aussage in ihrer vagen Allgemeinheit (jenseits von Zeit und Raum) den Schutz durch das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit zuerkannte, gleichzeitig aber durchblicken ließ, daß es mit dieser Meinungsäußerungsfreiheit schnell vorbei sein kann, wenn nicht mehr alle Soldaten Mörder genannt werden, sondern der Slogan speziell auf die Bundeswehr gemünzt wird (s. dazu meine Analyse unter http://userpage.fu-berlin.de/~dgsch/docs/StaR-P_w_2_Ueb_zumF-Stand.pdf, S. 75-83 [77 f.]):
„Soll jemand, der eine herabsetzende Äußerung über Soldaten im allgemeinen getan hat, wegen Beleidigung der Soldaten der Bundeswehr bestraft werden, so genügt es […] nicht darzutun, daß die Soldaten der Bundeswehr eine Teilgruppe aller Soldaten bilden; es muß vielmehr dargelegt werden, daß gerade die Soldaten der Bundeswehr gemeint sind, obwohl die Äußerung sich auf Soldaten schlechthin bezieht.“ (BVerfG NJW 1995, 3306 f.).
Karl Marx schrieb 1865: „Statt des konservativen Mottos: ‚Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk!‘, sollte sie [die Arbeiterklasse] auf ihr Banner die revolutionäre Losung schreiben: ‚Nieder mit dem Lohnsystem!‘“
In Anlehnung in diese Formulierung sei folgende Frage aufgeworfen: Sollte es nicht – statt des moralischen Mottos „Soldaten sind Mörder“– vielmehr politisch-analytisch heißen: Bundeswehr-Soldaten töten legal (wenn möglich) und illegal (wenn nötig) für deutsche Macht und deutschen Einfluß in aller Welt.
PS.: Und was ist eigentlich mit Soldatinnen? Sind die keine Mörder(innen?)? – Oder werden die nicht für ganz voll genommen?
PPS.: Eine andere Kritik an der gestrigen Kundgebung findet sich hier: Rechtsidealisten wo man hinschaut….
PPS.: „‚Krieg ist für uns kein Mittel der Politik‘, rief Heinrich Fink, Bundesvorsitzender der antifaschistischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.“ (http://www.tagesspiegel.de/berlin/Geloebnis;art270,2852833) – und was folgt daraus?!
- Ohne diesen politikwissenschaftlichen Realismus sind nämlich schnell auch Linke, die für politische Zwecke (wie kritisierenswert auch immer) töten, schnell nur noch eine „Mörderbande“. Nicht alle DemonstrantInnen von gestern dürften diese Wertung teilen… [zurück]
ist das jetzt nicht ein wenig überkandidelt? Meine Güte, auf solchen Demos ruft man Parolen, aber keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Davon abgesehen: Die Ausgangsannahme
ist insofern falsch, als sie eine dritte Möglichkeit nicht in Betracht zieht: Gemeint waren alle Bundeswehrsoldaten, oder vielleicht ein wenig weiter: Alle Soldaten imperialistischer Staaten.
Was ich durchaus für eine politische Aussage halte.
„eine dritte Möglichkeit […]: Gemeint waren alle Bundeswehrsoldaten, oder vielleicht ein wenig weiter: Alle Soldaten imperialistischer Staaten. Was ich durchaus für eine politische Aussage halte.“
Okay, das kann sein – im Falle von einigen der DemonstrantInnen. Allerdings zieht man/frau/lesbe sich damit dann den Vorwurf der Doppelmoral an Land.
Gesagt wird: „Soldaten sind Mörder“ – gemeint ist aber: „Nur die Soldaten der Gegenseite sind Mörder.“
Im einen – antiimperialistischen – Fall ist politisch motiviertes Töten schlicht töten.
Im anderen – imperialistischen – Fall ist politisch motiviertes Töten morden. ---
Außerdem wirft dies Interpretation noch das Problem auf: Woher sollen die ZuhörerInnen erahnen, ob die pazifistische oder antiimperialistische Lesart gemeint ist --- wenn Heinrich Fink sagt, „Krieg ist für uns kein Mittel der Politik“.
Hier geht’s doch nicht nur um wissenschaftliche Akribie, sondern auch um Efektivität und Redlichkeit der politischen Argumentation.
Gelöbnix am 30.7. in München:
http://geloebnix.blogsport.de/