[Dieser Text wurde am 20.07.2000 im nicht mehr existierenden Forum [1] zur weiterhin existierenden Seite http://rts.squat.net/rtn/side1.html unter der redaktionellen Überschrift „interessanter diskussionsbeitrag“ mit der redaktionellen Vorbemerkung „wir haben per e-mail diesen diskusiionsbeitrag bekommen. ich hoffe, daß das okay ist, wenn ich das hier veröffentliche, um vielleicht endlich mal dieses forum etwas mehr zu nutzen?!“ veröffentlicht. Der Tippfehler in der spontan geschriebenen, folgenden Notiz wurden nachträglich beseitigt.]
Da ich jetzt eh schon am Computer sitze, möchte ich Euch noch etwas zu der Aktion am 14.5. schreiben:
Ich fand die Idee zwar richtig, eine gemeinsame Aktion von Frauen/Lesben und – wie Ihr es nennt – ‚aus der Rolle fallenden Männern’ zu machen, die sich nicht – wie leider allzu häufig im Zeichen eines liberalen queer-Verständnisses à la ‚JedeR definiert sich selbst und soll folglich überall mitmachen dürfen’ – gegen vermeintlich verklemmte Separtistinnen, 70er-Feministinnen, women-only-Räume etc., sondern klar gegen das Patriarchat richtet.
Allerdings konnte ich mich dann doch nicht zum Kommen entscheiden, was (neben meiner Trägheit, die mich hinderte zumindest mal zum Gucken vorbeizukommen) daran lag, daß ich an drei Punkten des Aufrufs den Eindruck hatte, daß die Kritik am Patriarchat auf halbem Weg stehen bleibt bzw. sogar leicht ins Affirmative umschlagen kann:
1.
Im Aufruf wird zu recht kritisiert: „Die massive Präsenz von staatlichen und privaten Wach- und Sicherheitsdiensten festigt letztlich aber nur die Rollenbilder vom triebgesteuerten Mann als Täter und der hilfe- und schutzbedürftigen Frau als Opfer.“
(Wobei auch hier schon gefragt werden kann, wie sich hier und heute Frauen schützen sollen, die auf [Frauen]-Szene-Strukturen und -Bewußtsein nicht zurückgreifen wollen oder können. Diese auf eine zukünftige Zeit zu verweisen, wo das „Rollenbild“ [?!] vom „triebgesteuerten Mann als Täter“ und die reale [!] Männergewalt gegen Frauen überwunden sind, dürfte genauso unzureichend sein, wie ihnen Schutz zu verweigern, nur weil sie nicht zur Szene gehören [wollen]. Ohne bestreiten zu wollen, daß Bullen und Wachschützer im generellen und auch in vielen konkreten Situationen Agenten des Patriarchats sind, so können sie doch in manchen Situationen ein konkreter Schutz für konkrete Frauen sein. Das Schutzbedürfnis dieser Frauen gehört m.E. aktuell ernst genommen, auch wenn es nicht außerhalb einer weiterreichenden Kritik steht. Aber diesen Aspekt einmal beiseite gelassen,)
scheint es mir so zu sein, daß die Fixierung des Aufrufs auf die „Nacht“, wo „die subtile, zwischenmenschliche Unterdrückung von Frauen/Lesben und ‚aus der Rolle fallenden’ Männern am Tage […] zu einer körper- und damit lebensbedrohenden Gefahr wird“, am „Rollenbild vom triebgesteuerten Mann als Täter und der hilfe- und schutzbedürftigen Frau als Opfer“ kräftig mitzeichnet. Denn zentraler Bestandteil dieses Rollenbildes ist der ‚unbekannte Mann, der aus dem Dunklen’ kommt. Nun wissen wir aber, daß der typische Vergewaltiger nicht dieser ‚unbekannte Mann’ ist, der ‚aus dem Dunklen kommt’, sondern ist es der Freund, Ehemann, Bekannte (auch wenn er vielleicht in dem Sinne aus dem Dunklen kommt, als es manchmal der Ehemann/Vater/Freund ist, der nachts betrunken aus der Kneipe nach Hause kommt).
Das Problem ist nicht der Ausschluß von Frauen/Lesben u.a. aus dem öffentlichen Raum, sondern „ihrer Unterordnung im Einschluß“ (Cornelia Eichhorn *) – in „beiden Sphären“ (Nancy Fraser)!
Auch subjektiv wird „die Nacht“ durchaus nicht von allen Frauen/Lesben als genauso bedrohlich empfunden. Ich hatte vor längerer Zeit, ich glaube in der Siegessäule, einen kurzen Bericht über eine Umfrage unter Frauen/Lesben über Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gelesen: Danach berichteten die Lesben deutlich häufiger über Gewalt und Anmache am Tage, während Heteras diese Erfahrungen deutlicher häufiger nachts machen.
Die Erfahrung der Lesben entspricht auch meine eigenen Erfahrungen, was vielleicht daran liegt, daß es im Dunklen nicht so schnell auffällt, wenn du äußerlich aus der Rolle fällt; außerdem ist nachts Party-Time, wo alle ein bißchen aus der Rolle fallen dürfen.
2.
Weiter heißt es in dem Aufruf: „wir halten die Geschlechterrollen für veraltet und reaktionär.“ Was heißt das?! Sie waren mal zeitgemäß und berechtigt? Wir sind gegen Geschlechterrollen, nicht weil wir generell gegen Herrschaft und Ausbeutung sind, sondern weil wir ach so (post)modern sind und immer mit der Zeit gehen?! (Ich weiß, diese Lesart ist etwas bösartig, aber noch nicht aus der Luft geholt, wie der nächste Punkt zeigt.)
3.
Schließlich heißt es in dem Aufruf: „[…] auch im Zeitalter der Post-Emanzipation, der Babypause der Väter und der weiblichen Karrierehengste“ (= wahre Stuten/Frauen machen keine Karriere?!) „ist das Reich der Frau das Private.“
Diese These von der Sphärentrennung (öffentlich/männlich – privat/weiblich) war aber schon immer eine herrschende Ideologie – Stella Georgoudi spricht von einer „legendären ‚Realität’“ ** –, der die Wirklichkeit allenfalls teilweise entsprach.
Diese Ideologie ist m.E. nicht nur zu kritisieren, weil sie die falschen ‚Werte’ vermittelt, sondern auch (und vielleicht vor allem), weil sie einer zutreffenden Analyse der Wirklichkeit (und damit der Entwicklung einer diese tatsächlich umwälzenden Strategie) entgegensteht.
Selbst in einer Zeit, in der die These von der Sphärentrennung mehr Plausibilität hatte, weil es noch nicht soviel „weibliche Karrierehengste“ gab, also Geschlechterrollen noch nicht „veraltet und reaktionär“ (vgl. 2.) waren, waren nie (alle) Frauen aus der sog. öffentlichen Sphäre ausgeschlossen.*** Dies festzustellen, heißt nicht, das Patriarchat schön zu reden, sondern die Unterordnung von Frauen/Lesben in beiden Spähren zu erkennen.
Wer/welche das Patriarchat nur da erkennt, wo es „veraltet und reaktionär“ ist, wird sich vielleicht schneller im Lager der Post-Emanzipation wiederfinden, als es einem/r heute lieb ist.
Darf ich zum Schluß noch einen kleinen Verdacht äußern, wie diese Fixierung auf den vermeintlichen Ausschluß von Frauen/Lesben aus dem öffentliche Raum zustande gekommen ist? Aus der kurzschlüssigen Übertragung eines gemischten (zumeist = männer-domonierten), vermeintlich geschlechts-neutralen Konzepts (Reclaim the Streets [for all]) auf die Geschlechterpolitik (Reclaim the Night = Reclaim the Streets for women). Die bloße additiv-besondere Berücksichtigung von Frauen/Lesben-Interessen in einem vermeintlich allgemeingültigen Konzept, dürfte aber die sichere Garantie dafür sein, die Tatsache zu verfehlen, daß es in einer herrschaftlich gespaltenen Gesellschaft keine allgemeingültigen Konzepte gibt. „Wir wollen keine ‚linke’ Arbeitsteilung nach dem Motto: die Frauen für die Frauenfragen, die Männer für allgemeine politische Themen.“ (Rote Zora 1984 ****). Jenes (das von der Roten Zora Abgelehnte) läuft nämlich auf das hinaus, was der Aufruf doch kritisieren möchte, nämlich Frauen zu einer „hilfe- und schutzbedürftigen“ Gruppe zu machen, der dabei geholfen werden muß, die die vermeintlich allgemeinen = Männer-Normen zu erfüllen.
* in: miasma. zeitschrift für das wider, no. 2, Frühjahr 1995, S. 26 [mittlerweile auch online: http://www.nadir.org/nadir/archiv/Diverses/pdfs/diskus_zivilgesellschaft.pdf, S. 102].
** in: Geschichte der Frauen. Band 1, FfM/NY, 1993, 511. Brigitte Aulenbacher und Tilla Siegel (Industrielle Entwicklung, soziale Differenzierung, Reorganisation des Geschlechterverhältnisses, in: Frerichs/Steinrücke (Hg.), Soziale Ungleichheit und Geschlechterverhältnisse, Opladen, 1993, S. 74) sprechen von einem „Denkmuster“, das „nicht als reale Trennung“ verstanden werden kann.
*** Sehr Instruktives findet sich dazu in Nancy Frasers Kritik an Jürgen Habermas (Widerspenstige Praktiken, FfM, 1994, 173 ff.: Was ist kritisch an der Kritischen Theorie? Habermas und die Geschlechterfrage); bei Beate Wagner-Hasel (Das Matriarchat und die Krise der Moderne, in: Feministische Studien 1/1991, S. 89, 94 f., FN 59, 64) sowie bei Aulenbacher/Siegel (a.a.O., 72, 73: „Ein erheblicher Unterschied ist auch, ob Hausarbeit Frauen zugewiesen wurde/wird oder ob – wie bei Ulrich Beck – die Frauen ausschließlich der Hausarbeit zugeschlagen werden. In der Verkürzung fällt ein Teil der Bedeutung des Geschlechterverhältnisses für die Herausbildung und Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften, nämlich die Frauenerwerbstätigkeit in ihrer kapitalseitigen, aber auch verbands- und gewerkschaftspolitisch getragenen Minderbewertung und vor allem Entlohnung, unter den Tisch. […]. Ferner verdeckt der latente Dualismus bei Ulrich Beck (Frauen in der Hausarbeit/Männer in der Erwerbsarbeit), daß mit dem Siegeszug der Rationalisierung polar gedachte geschlechtsspezifische Zuweisungen in eine neue – eben nicht ständische – Geschlechterhierarchie umgeformt wurden.“)
**** in: Früchte des Zorns, Band 2, Berlin, 1993, S. 599.
[1] Vgl. den vorletzten link „Discoforum“ am Seitenende.
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