[Erschien ursprünglich – leicht redaktionell bearbeitet und gekürzt – unter der Überschrift „Autonome Politökonomie. Widerstand – auch Trödelei und Konsum ohne Arbeit“ im Neuen Deutschland vom 20.09.1991, S. 14; die gedruckte Fassung gibt es als .pdf-Datei hier, dann folgt mein ursprünglicher Text. Res Strehle hat es mittlerweile zum Ko-Chefredakteur des Schweizer Tages-Anzeigers gebracht und dort als erste Amtshandlung ein Viertel der Redaktion entlassen (müssen). – So können sich die Klassenkampf-Perspektiven verschieben…]
Autonome Politökonomie
Res Strehle
Einführung in die politische Ökonomie:
KAPITAL UND KRISE
Schwarze Risse / Rote Straße: Berlin/Göttingen, 1991
186 S., 18 DM
In den 70er und 80er Jahren hat sich in den imperialistischen Metropolen mit den Autonomen eine neue revolutionäre Strömung in der Linken herausgebildet. Dabei ist es eigentlich schon falsch von „den Autonomen“ zu sprechen, denn es fehlt an einer gemeinsamen Organisationsstruktur und an einer die unterschiedlichen Tendenzen zusammenfassenden politischen Theorie. So speist sich die Gemeinsamkeit dieser Strömungen vor allem aus der Ablehnung von als – notwendigerweise hierarchisch begriffenen – institutionellen Politikformen (seien es kommunistische Parteien, seien es Gruppierungen wie die GRÜNEN oder seien es die Gewerkschaften). Dem setzen sie die Vorstellung von ‚Politik in erster Person’ entgegen. Diese Bereitschaft, sich in verschiedenen Auseinandersetzungen (Häuserkampf, Flüchtlingspolitik, Anti-AKW-Bewegung etc.) praktisch (mit der eigenen Person) – ggf. auch militant – zu verhalten, ist die große Stärke dieser Strömung der Linken. Soweit sich nicht weite Teile der autonomen Bewegung ohnehin ausschließlich auf Aktionen bzw. oftmals auch nur Aktionismus beschränken, lassen sich mindestens drei relevante Tendenzen innerhalb dieses Spektrums ausmachen: 1. eine antikommunistische, anarchistische Traditionslinie 2. eine operaistische Strömung sowie 3. eine autonom-kommunistische Richtung, deren nicht parteiförmige Organisierung weniger grundsätzlich, als vielmehr mit der aktuellen politischen Situation begründet ist. Schließlich ist noch – als am Rande des autonomen Spektrums stehend – der antiimperialistische Widerstand zu nennen. Dieser beruft sich oftmals ebenfalls auf marxistische Traditionen. Kennzeichnend für ihn ist u.a. der ideologische Bezug auf die westeuropäische Guerilla.
[Stärken]
Das vorliegende Buch ist der zweiten Strömung zuzurechnen. Im Gegensatz zu anderen Veröffentlichungen dieser Richtung, ist die leicht lesbare, verständliche Schreibweise von Strehle positiv hervorzuheben. Inhaltlich als positiv hervorzuheben sind besonders die Darstellungen der marxschen Werttheorie (23 ff.) und die Erläuterung der These von der Zonierung der Welt (Frontstaaten, Investitions- und Armutszonen etc.), die viel differenzierter sei als ein globaler Metropole-Trikont-Gegensatz (75 ff.) sowie – mit Einschränkungen – die Darstellungen der Politischen Geldtheorie (123 ff.) und der herrschenden Systemtheorien (145 ff.). Wichtig an Einzelpunkten sind schließlich noch Strehles antireformistische Kritiken an „Humanitätsappellen“ (18 f.); des Begriffs der „Selbstausbeutung“ in Bezug auf Alternativ-Betriebe (30); an der „Theorie der Langen Wellen“, die meint, Wirtschaftskrisen aus einem vermeintlichen Zyklus technischer Innovationen und deren Veraltung erklären zu können (49). Weiter seine Einwände gegen die keynesianistische These, durch (Staats)verschuldung könnten Wirtschaftskrisen dauerhaft verhindert werden (63, 132, 159) und die Kasino-Kapitalismus-Theorie (Möglichkeit von Spekulationsgewinnen unabhängig von realer Mehrwertproduktion) (137, 138). Schließlich widerlegt er die Illusion, eine bloße Verstaatlichung des Bankensektors würde bereits den Kapitalismus aufheben (142). Hier ist auch sein Hinweis zu nennen, daß die gegenwärtige Entwicklung in Südafrika durchaus kein Beleg für die Läuterungsfähigkeit des weißen Kapitals, sondern eine Modernisierung von Herrschaft darstelle (145). Aber auch in seine eigene Richtung spart er nicht mit Kritik. Hier sind seine Einwände gegen die These von der Möglichkeit einer menschenleeren Fabrik (38), gegen die These von der Möglichkeit einer subsistenzproduktionsgestützten Abkoppelung vom Weltmarkt (80) und schließlich gegen den autonomen Zweckoptimismus hinsichtlich der revolutionären Kraft der Marginalisierten und der „anderen Arbeiterbewegung“ (116 f.) zu erwähnen.
[Schwächen]
Nun die Schwachpunkte: Strehle hält es nicht für idealistisch, „an das Gute im Menschen (zu) glaub(en)“. In gleicher Weise übernimmt er vom jungen Marx die humanistische Entfremdungs-Theorie, die zur Voraussetzung hat, daß es ein ‚menschliches Wesen’ gibt, das entfremdet wird. Ein ‚menschliches Wesen’ ist aber nur idealistisch zu begründen. Irgendwie spielt der Klassenkampf bei Strehle zwar eine Rolle, aber sehr häufig (wenn überhaupt) kommt der Begriff allerdings in dem Buch nicht vor. Statt dessen wird dann schon ’mal kritisiert, daß die Frage von offener Gewaltanwendung für die Bourgeoisie „keine moralische Frage“ (99) sei (als ob’s mit Moral besser wäre). An anderer Stelle macht er sich Gedanken über „saubere(s) und schmutzige(s) Geld“ (138). Auch die Bündnisperspektive zum linken ChristInnentum taucht – genauso wie bei (anderen) ‚marxistischen’ Humanismen – auf (19). Kurz: Strehle untersucht die Gesellschaft nicht durchgängig mittels materialistischer Methoden, sondern teilweise mit ethischen Begriffen.
Praktische Folgen hat diese allgemein-menschliche statt klassenkämpferische Ideologie bei Strehles Konsum- und Technolgie-Kritik: Hier kommt auch der spezifische operaistische Ansatz zum Tragen. Dieser wirft dem traditionellen Marxismus vor, Geschichtsschreibung ‚von oben’, also aus Sicht des Kapitals zu betreiben. Der Operaismus geht dagegen vom Widerstand der „anderen“ – nicht-gewerkschaftlichen – ArbeiterInnenbewegung aus. Zum Widerstand zählen hier nicht nur Streiks und andere organisierte politische Tätigkeiten, sondern auch Trödelei, „Konsum ohne Arbeit“ etc. (117 f.). Dieser Ansatz führt dann dazu, daß Strehle selbst tendenziell das machen muß, was er an anderen – mit Recht – kritisiert (45): nämlich eine verschwörungstheoretische Erklärung der ökonomischen und politischen Entwicklung zu geben. Dadurch, daß Strehle nicht den bürgerliche Klassenkampf als primär betrachtet (was – ausgehend von der Durchsetzung des Kapitalverhältnisses – historisch richtig wäre), sind technologische Innovationen in Strehles Darstellung nicht von der Konkurrenz zwischen den Einzelkapitalien erzwungen. Vielmehr werden sie als bewußte Strategie des Kapitals zur Brechung des – in obigen Sinne gefaßten – Widerstands der ArbeiterInnenklasse interpretiert (49, 139). In diesem Zusammenhang kommt Strehle – aufgrund seines entfremdungs-theoretischen Ansatzes – zumindest in die Nähe eines weiteren Fehlers, den er eigentlich kritisiert: Die Subjektivierung der Technik (106 f.). Die Entfremdungs-Theorie führt Strehle zu einem romantischen Bild der ursprünglichen ArbeiterInnenklasse, der proletarischen Kultur und der handwerklichen Fähigkeiten (153 ff.). Von hier ist es – vor dem Hintergrund seines notwendigerweise klassenindifferenten Humanismus – nur noch ein kurzer Weg zu der unmarxistischen, autonomen Schwachsinns-Parole, die Strehle allerdings nicht verwendet: ‚Menschen gegen Maschine‘. Dafür meint er aber die Kapitalverwertung erfasse „den Menschen“ (165) – die dahingeschiedenen Herren Herrhausen und Rohwedder anscheinend ganz genauso wie diejenigen, die sich für deren Profite haben abrackern müssen.
Strehles Technik-Kritik und andere These aus dem Buch, die hier aus Platzgründen nicht behandelt werden können, bieten jedenfalls jede Menge Diskussionsstoff für heutige linke Politik und machen dessen Kauf zu einer sinnvollen, lesenswerten Investition.
[Zwischenüberschriften nachträglich hinzugefügt. DGS – 01.07.2009]
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