[Erschien ursprünglich – leicht gekürzt – unter der Überschrift „Auf der Suche nach schneller Verwertbarkeit. Die Geschichte der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP)“ in „PROWO. Projekt Wochenzeitung“ Nr. 14 vom 19.05.1991, S. 7; die gedruckte Fassung gibt es als .pdf-Bild-Datei hier, dann folgt mein ursprünglicher Text.]
Rezension des Buches von H. Arndt und H. Niemann über die Geschichte der Sozialistischen Arbeiterpartei (1931 – 32) unter vergleichender Heranziehung von Schriften der KPD-Opposition (KPO)
„Die SPD erklärt, Einheitsfront gegen den Faschismus, aber nicht gegen die Brüning-Regierung!
Die KPD erklärt, Einheitsfront nur gegen Brüning und den Faschismus zugleich.
Darauf antwortet die SPD: also will die KPD keine Einheitsfront.
Die KPD antwortet: also ist die SPD der Hauptfeind der Arbeiterklasse.
Und die SAP erklärt: kommt alle in die SAP und baut den ‚Haß’ ab – so wird die Einheitsfront.“
KPD-Opposition
Das Buch von Niemann und Arndt schildert detailreich und interessant die Vorgeschichte (H. Arndt, 1922 – 31) und Geschichte (H. Niemann, 1931 – 32) der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), einer Linksabspaltung der SPD.
Schon als linker SPD-Flügel nahmen die späteren SAP-Mitglieder teilweise Gegenpositionen zur offiziellen Parteimeinung der SPD ein: So traten sie für eine „diktatorischen Arbeiterregierung“ ein (S. 28) und hatten eine im Grundsatz solidarische Haltung gegenüber der jungen Sowjetunion (S. 56). Des weiteren kritisierten sie die Koalitions- und Tolerierungspolitik gegenüber bürgerlichen Parteien. Über diese Frage kam es schließlich auch zum Bruch mit der Parteimehrheit. Die von der SPD mitgetragene Reichsregierung beschloß 1928 die Finanzierung von Panzerkreuzerbauten (S. 68). Als diese Entscheidung 1931 im Reichstag zur Debatte stand, stimmten neun SPD-Reichstagsabgeordnete zusammen mit der KPD gegen die Finanzierung von Panzerkreuzerbauten (S. 93 f.). Anschließend wurden sie nach verschiedenen publizistischen Aktivitäten wegen „Bestrebung(en) zur Errichtung selbständiger Organisationsgebilde in und neben der Partei“ aus der SPD ausgeschlossen (S. 111 f.). Daraufhin wurde die SAP am 4. Oktober 1931 gegründet (S. 113, 128).
Die Angaben zur maximalen Mitgliederzahl der SAP schwanken zwischen 22.000 und 57.000 Mitglieder (S. 132, 206, FN 87). Ihr bestes Wahlergebnis erzielte die SAP bei den hessischen Landtagswahlen im November 1931 mit 1% der Stimmen. Im ursprünglichen Entwurf der SAP-Satzung war eine Quotierungsregelung vorgesehen. Sie wurde in die endgültige Fassung der Satzung nicht übernommen (S. 172), da sie – auch von Frauen – nicht als notwendigerweise formaler Mechanismus gegen patriarchale Strukturen in der Arbeiterbewegung gesehen wurde, die Aufstiegsmöglichkeiten für fähige Frauen verhindern. Vielmehr wurde sie als Verstoß gegen ein – von HERRschaftsstrukturen unberührt gedachten – Qualifikationskriterium betrachtet. Soweit die interessanten Seiten des Buches. -
Vielfach bleibt das Buch aber leider in der Schilderung historischer Abläufe und parteitaktischer Winkelzüge (bspw. S. 34 Mitte, S. 47 oben) stecken (bedauerlich ist insbesondere, daß d. Verf. den Gehalt der Materialien, die d. Verf. im Anhang ihres Buches [S. 212 ff.*] abdrucken, nicht ausschöpfen): Obwohl im Buch selbst erwähnt wird, daß sich die SPD-Linke im unteren und mittleren Funktionärsapparat konzentriert habe (S. 57), dichotomisieren d. Verf. durchgängig zwischen der „Reformpolitik der SPD-Führer und dem Wollen der proletarischen Massenbasis“ der SPD (bspw. S. 72).
Eine genaue Analyse der sozialstrukturellen (S. 31 für den SPD-Reformismus) und grundsätzlich-theoretischen (S. 139 ff. für die KPD-Politik angedeuteten) Ursachen für die Nichtzusammenarbeitsfähigkeit / -bereitschaft von KPD und SPD im antifaschistischen Kampf wird leider nicht geleistet. Eine solche Analyse und ein auf einer solchen Analyse aufbauendes alternatives Konzept fehlte bereits der SAP, so daß ihr nichts anders übrig blieb, als sich „aus taktischen Gründen mit der gleichen Schärfe (von der KPD) abgrenzen (zu) müssen“ wie „aus grundsätzlichen Erwägungen von der SPD“ (S. 158). Ein eigenständiges Profil fehlte der SAP.
Aufgrund dieser Analyseschwäche bleiben die von H. Niemann genannten Gründe für das Scheitern des SAP zirkelschlüssig: Er verweist als Ursache dafür, daß die SAP ihren angestrebten Brückenschlag zwischen SPD und KPD nicht hat realisieren können, fast ausschließlich auf die vorgängige Spaltung der ArbeiterInnenbewegung in diese beiden Parteien (S. 181). Außerdem nennt er die von ihm als sektiererisch betrachteten Fraktionskämpfe in der SAP (S. 180 et passim). Unter dieses Etikett ordnet d. Verf. auch umstandslos die Intervention eines Teils der KPD-Opposition (KPO) in der SAP abschätzig ein (S. 149 et passim).
So ist das Buch im großen und ganzen zu unkritisch gegenüber Theorie und Praxis der SAP. Ich möchte dagegen folgende Thesen über die Schwachpunkte des Linkssozialismus bzw. der SAP zur Debatte stellen:
[Aufgezwungene Spaltung]
1. Niemann bestreitet, daß die SAP-Gründung zu spät erfolgt ist (S.189). Tatsächlich aber ließ sich die SPD-Linke den Zeitpunkt der Parteispaltung vom rechten Parteiflügel diktieren. Sie versäumte es, von sich aus die Partei zum Zeitpunkt ihres maximal ausgereizten Einflusses zu verlassen: Bei der Reichstagswahl 1928 war die SPD mit der von Max Seyeditz, einem späteren SAP-Vorsitzenden, inspirierten Wahlkampfparole „Kinderspeisung statt Panzerkreuzer“ erfolgreich gewesen. Sie erzielte ihr bestes Ergebnis seit 1919. (S. 64 f.). Der Monate nach den Wahlen beschloß die Reichsregierung – wie schon erwähnt –, die Finanzierung von Panzerkreuzerbauten. Im Mai 1929 beriet der SPD-Parteitag die Angelegenheit. Die SPD-Linke brachte dort eine grundsätzlich antiimperialistisch orientierte Wehrvorlage ein. Dort lehnte sie nicht nur die Pamzerkreuzerbauten ab, sondern generell die Landesverteidigung im kapitalistischen Staat. Sie forderte deshalb den Kampf für die Beseitigung der Reichswehr. (S. 78). Die SPD-Linke erhielt auf dem Parteitag immerhin 35 % der Delegiertenstimmen (S. 80). Anstatt auf dieser Grundlage den Bruch mit der Chance auf einen massiven Einbruch in das sozialdemokratische WählerInnen-Spektrum zu wagen, verschleppte die SPD-Linke die Auseinandersetzung um die Panzerkreuzerfinanzierung bis ins Jahr 1931.
[unklare Haltung zum bürgerlich-parlamentarischen Rechtsstaat]
2. D. Verf. kritisieren zwar die parlamentarische Illusion der SPD-Linken, mit einer revolutionär-sozialistischen Partei eine Mehrheit bei bürgerlichen Parlamentswahlen erringen zu können (S. 43). Darüber hinaus unterbleibt aber eine kritische Auseinandersetzung mit der unklaren Haltung der LinkssozialistInnen zum bürgerlich-parlamentarischen Rechtsstaat. Einerseits gingen sie richtigerweise davon aus, daß eine Staatsform in Abhängigkeit von ihrem sozialen Inhalt zu bewerten sei (Klassencharakter des Staates!) (S. 53). Diese Position heißt konsequent zu Ende gedacht, daß eine kapitalistische Gesellschaft per se nicht als demokratisch betrachtet werden kann (vgl. S. 36). Im Gegensatz dazu haben die LinkssozialistInnen aber die Weimarer Republik als „demokratisch“ bezeichnet (S. 54 et passim). Dieses Attest („demokratisch“) hat zwei Konsequenzen: Zum einen werden der Herrschafts- und Klassencharakter der komplexen Mechanismen von Integration und Spaltung im rechtsstaatlichen Parlamentarismus unterschätzt. Zum anderen werden dessen Elemente, die tatsächlich gegen reaktionäre Tendenzen verteidigenswert sind, begrifflich nicht klar bestimmt: Anders als die spätere KPD-Opposition (KPO) (s. unten) bejahte die SPD-Linke (bei Betonung des auch dort stattfindenden Klassenkampfes) ganz allgemein „(die) Republik“ (S. 54), anstatt konkret bestimmte demokratische Freiheiten, die sie der ArbeiterInnenklasse gewährt, zu verteidigen. Folge ist die – schon erwähnte und später in der SAP überwundene (S. 248) – These von der Möglichkeit einer Revolution per Stimmzettel. Immerhin ging aber auch die SPD-Linke davon aus, diese dann wahrscheinlich militant verteidigen zu müssen (S. 38 ff.).
Aber auch in der SAP blieb Strategie der LinkssozialistInnen trade-unionistisch und ökonomistisch (Generalstreik als erstes politisches Kampfmittel: S. 248 sowie S. 265 ff., 286 f.). Sie erkannte nicht den Unterschied zwischen gewerkschaftlichen Kämpfen (und seien sie noch so radikal) innerhalb des Kapitalverhältnisses und dem allgemein-politischen Charakter der revolutionären Aufhebung des Kapitalverhältnisses (vgl. LW 5, 355 [410 ff.] – Was tun?). So konnte die KPO der SAP vorwerfen, ihrer „unverbindlichen Anerkennung der außerparlamentarischen Kampfmittel“ keine Taten folgen zu lassen. Sie verweise „revolutionäre Aktionen ins Jenseits der aktuellen Praxis“ (Faschismus, S. 160; vgl. auch S. 131).
[Ende des Reformismus?]
3. Die LinkssozialistInnen hatten keine klare Analyse des damaligen Kapitalismus. Entsprechend widersprüchlich blieb ihre Strategie. Einerseits befürworteten sie eine „radikaldemokratischen Konzeption“ (S. 28), klagten (reformerische) Gegenleistungen für sozialdemokratische Regierungsunterstützung (S. 94) ein und bedauerten den „Stillstand der Sozialpolitik“ (S. 226). Dieser Position lag aber nicht der Nachweis zu Grunde, daß ein antifaschistisches Bündnis mit bürgerlichen Parteien möglich war, das – im Gegensatz zur offiziellen SPD-Praxis – tatsächlich reformerische Effekte produziert.
Andererseits gingen sie davon aus, daß der Kapitalismus vor seinem Zusammenbruch stehe. Sie erklärten deshalb die Errichtung des Sozialismus zur Tagesaufgabe (vgl. bes. S. 87, 153). Auch dieser Position lag keine genaue Analyse zu Grunde. Vielmehr stellten sie bloße Behauptung auf, daß „die Mittel der kapitalistischen Krisenüberwindung in ihrer Wirksamkeit aufgehoben“ seien (S. 247 f.). Eine Begründung für die These wurde aber weder von der SPD-Linke noch von der SAP noch von d. Verf. des Buches gegeben.
Die letztgenannte SAP-Position bestritt also nicht nur die Möglichkeit eines reformistischen, sondern jeden kapitalistischen Krisenauswegs. Dagegen wies die von d. Verf. nicht sonderlich geschätzte KPO darauf, daß es zwar in der Tat keinen reformistischen, sehr wohl einen anderen kapitalistischen (in dem Fall gleich: faschistischen) Krisenausweg gebe (Faschismus, S. 165 et passim). Diese Gefahr wurde dagegen von der SPD-Linken unterschätzt (S. 227 ff.).
Anders als die SAP und das besprochene Buch konnte die KPO für ihr Bestreiten eines reformistischen Krisenauswegs zumindest einige Anhaltspunkt in der damaligen Wirklichkeit zur Diskussion stellen: Verfall der bürgerlich-parlamentarischen Parteien; Annäherung/Identität des ökonomischen Programms von „gemäßigten“ (liberal-parlamentarischem) und „radikalen“ (pro-faschistischen) Teilen der Bourgeoisie; die ggü. den USA schwache Weltmarktstellung des deutschen Kapitals, d.h. Notwendigkeit von Lohnsenkungen zur Steigerung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals; wirtschaftliche/sozialpolitische Schwächung der „Arbeiteraristokratie“ als sozialer Basis des Reformismus (Einheitsfront, S. 5 ff., 11 ff.; Faschismus, S. 61 f., 67, 83 f., 155). Dieser Sozialabbau sei nur bei gleichzeitigem Abbau von Freiheitsrechten gegen die ArbeiterInnenklasse durchzusetzen (Einheitsfront, S. 11 f.; Faschismus, S. 52 f., 62 f., 156).
Problematisch an der Position der KPO sind aber zwei Aspekte:
a) Eine Minderheit in der KPO hielt der Mehrheitsanalyse entgegen: Die These, der Sozialabbau könne nur mit Hilfe des Abbaus des Parlamentarismus von der Bourgeoisie durchgesetzt werden, setze den Widerstand der ArbeiterInnenbewegung voraus. Da dieser aber aufgrund des Zustandes der deutschen ArbeiterInnenbewegung nicht zu erwarten sei, könne die Bourgeoisie die rechtsstaatlich-parlamentarische Form ihrer Herrschaft auch bei massivem Sozialabbau beibehalten (ebd., S. 94). Im übrigen gebe es noch Zwischenformen zwischen der Weimarer Verfassung und Faschismus, so daß sich die Alternative ‚sozialistische Revolution oder Faschismus’ nicht zwangsläufig stelle (ebd., S. 97 f.).
Die KPO-Mehrheit antwortete darauf – an sich zutreffend, aber durchaus im Widerspruch zur eigenen Ausgangsthese: Der Erfolg des Faschismus sei gerade ein Zeichen aktuellen Schwäche der ArbeiterInnenbewegung; er ziele auf deren langfristige, präventive Zerschlagung (Faschismus, S. 68, 101). Wenn es aber für die Errichtung des Faschismus gar nicht auf den etwaigen Widerstand der ArbeiterInnenklasse gegen den für das Kapital notwendige Sozialabbau ankommt, stellt sich die Frage, welche Relevanz noch der ursprünglich gegebene ökonomische Erklärungsansatz hat.
Der zweite Aspekt: Die in der damaligen deutschen Wirklichkeit ausgemachten Elemente, die für die Unmöglichkeit eines reformistischen Auswegs aus der Krise sprachen, wurden von der KPO weltweit und überhistorisch, also vereinseitigend, interpretiert. So gelangte sie zu der generellen (und nicht auf die damalige, konkrete Situation in Deutschland bezogene) These von der zukünftigen Unmöglichkeit des Reformismus (ebd., S. 53, 125, 149, s.a. S. 137).
Unabhängig von der Beantwortung der Frage nach der Möglichkeit eines reformistischen Krisenauswegs lehnt die KPO ein solches Bündnis mit Teilen der Bourgeoisie zur Verteidigung des Parlamentarismus ab. Einem faschistischen Putsch sei zwar praktischer Widerstand der ArbeiterInnenklasse entgegenzusetzen. Es sei aber nicht der Parlamentarismus schlechthin zu verteidigen, sondern einzelne Freiheitsrechte, die er der ArbeiterInnenklasse gewähre. Dies sei am erfolgreichsten möglich, wenn die Linke den bürgerlichen Parlamentarismus grundsätzlich bekämpfe. Dies zwinge die Bourgeoisie zu den meisten Zugeständnissen und sei daher auch das beste Abwehrmittel gegen den Faschismus (S. 107 ff., 150).
[Tolerierung des kleineren Übels?]
4. SPD-Linke und SAP erkannten zwar, daß die sozialdemokratisch Tolerierung (der [Notverordnungs]politik) der bürgerlichen (Minderheits)regierungen die Faschisierung begünstigte (bspw. S. 226 ff.). Sie hatten dieser aber nur eine abstrakte Negation entgegenzusetzen: Die ‚fundamental-oppositionelle’ (S. 50) Ablehnung der SPD-offiziellen Tolerierung des „kleineres Übels“ (S. 85). Im Zweifelsfall sei eine faschistische Regierungsbeteiligung einer sozialdemokratischen Tolerierung einer bürgerlichen Regierung ohne FaschistInnen vorzuziehen. Gegen diese Regierung sei dann außerparlamentarischer Druck zu entfalten (S. 228). Ob dieser dann noch möglich ist, und wie er genau aussehen sollte, konnte die SAP aber nicht sagen.
Statt dieses va-banque-Spiels hätte also der Hauptstoß nicht gegen die mehrheitssozialdemokratische Tolerierungspolitik an sich, sondern gegen deren konkrete Ausgestaltung geführt werden müssen:
Das „kleinere Übel“ besteht aber in der Wirklichkeit und kann deshalb nur unter der Anerkennung seiner Existenz bekämpft werden. Friedrich Engels kritisiert die These des Abstentionismus, das Bestehende dürfe von Linken nicht anerkannt werden, so: „Das Bestehende besteht und macht sich nicht wenig lustig über unsere Anerkennung. Wenn wir die Mittel, die uns das Bestehende gibt, benutzen, um gegen das Bestehende zu protestieren, ist das Anerkennung?“ (MEW 17, 412 [412] – Über die politische Aktion der Arbeiterklasse). Die Nutzung der ‚Mittel des Bestehenden’ im Kampf gegen das Bestehende ist aber nicht mit einem rein instrumentellen Verhältnis (jedes Mittel könne für beliebige Zwecke eingesetzt werden) möglich. Denn jedes Mittel funktioniert nach seiner eigenen Logik, ist also nur für bestimmte Zwecke nutzbar. Deshalb würde eine bloße Umkehrung der herrschenden Mittel hinter dem Rücken derjenigen, die sie benutzen, ebenfalls die herrschenden Zwecke realisieren. Die ‚Mittel des Bestehenden’ müssen also nicht nur für andere Zwecke, sondern auch anders als von den Herrschenden eingesetzt werden (Brecht sagt: „Lenin sprach nicht nur anderes als Bismarck, sondern er sprach auch anders.“)
Es wäre also notwendig gewesen, das „kleinere Übel“ tatsächlich gegen das „größere Übel“ (Nazis) zu stützen – wie der Strick den Gehängten (Lenin) –, aber ohne den „üblen“ Charakter des ersteren zu bestreiten und ohne auf eine Massenmobilisierung von links gegen das „kleinere Übel“ zu verzichten. Dies würde einschließen, auf parlamentarischer Ebene bei Abstimmungen über Einzelmaßnahmen / einzelne Gesetze eine tolerierte Regierung nur soweit zu unterstützen, wie sich diese tatsächlich von den Vorschlägen des „größeren Übels“ unterscheiden.
[Ökonomismus]
5. Die linkssozialdemokratische und SAP-Faschismus-Analyse blieb im ökonomistisch-mechanistischen Denken der II. Internationale stecken: Max Seydewitz ging davon aus, „daß der herrschende Monopolkapitalismus in Deutschland nicht daran glaubt, dieses sein Klassenziel auf dem Wege der Demokratie erreichen zu können und weil er (da)mit (…) rechnet, (…) hat er die faschistische Bewegung ins Leben gerufen, (…).“ (S. 103, ähnlich die SAP-Resolution auf S. 255). Unberücksichtigt bleibt hier der anderenorts durchaus – konsequenzlos – anerkannte (S. 225) kleinbürgerliche und relativ selbständige Charakter der faschistischen Bewegung. Die These vom „ins Leben (…)rufen“ der faschistischen Bewegung durch das Monopolkapital wird dieser komplexen Wirklichkeit nicht gerecht, so daß unter ihr die Entwicklung einer wirksamen, massenorientierten antifaschistischen Strategie leiden muß.
Die KPO weist dagegen auf die Eigendynamik der Faschisierung hin: Die Bourgeoisie habe (zunächst) keine faschistische Diktatur gewollt, ihr wirtschaftspolitisches Konzept (mit der Folge der Verarmung von Mittelstand und „Arbeiteraristokratie“) habe aber zwangsläufig die soziale Massenbasis für eine faschistische Bewegung geschaffen. Die Bourgeoisie habe schließlich erkennen müssen, daß sich ihr ökonomisches Programm nur mit dem Einsatz der faschistischen Massenorganisationen gegen die potentielle Stärke der deutschen ArbeiterInnenbewegung habe durchsetzen lassen. Dabei habe sie ihre politische Macht nicht freiwillig abgegeben. Vielmehr habe sie sich politisch selbst vom Faschismus unterdrücken lassen müssen, um sozial die herrschende Klasse bleiben zu können (Faschismus, S. 42, 45, 175 f.).
Daß diese Punkte in dem Buch von Arndt/Niemann zwar teilweise angedeutet, aber nicht scharf herausgearbeitet werden (was mit dem in dem Buch selbst enthaltenen Material durchaus möglich ist), scheint daran zu liegen, daß der Herausgeber auf unmittelbare Nutzanwendung in der Gegenwart orientiert: So sind für Niemann die „bedeutende(n) theoretischen, Leistungen des Linkssozialismus“ das wertvollste Erbe, auf dessen Grundlage ein „theoretischer Neuanfang“ der „europäischen Linken“ möglich sein soll. Damit bleibt außer Acht, was d. Verf. selbst an verschiedenen Stellen zur Konzeptionslosigkeit des Linkssozialismus schreiben (S. 37, 39, 82). Insofern hatte m.E. die Orientierung von Teilen der KPD-O auf Verwandlung der SAP in eine „neue kommunistische Partei“ ihre Berechtigung, weil sie reflektierte, daß es keinen Weg zwischen Reformismus und revolutionärer Politik geben kann. Aber auch diese GenossInnen konnten die o.g. fünf Schwächen nicht überwinden, so daß die SAP eine Mischung aus Rechtsopportunismus und Ökonomismus im Verhältnis zum bürgerlichen Staat und in Strategiefragen einerseits und gemäßigten Linksradikalismus im Antifa-Kampf bleib, ein eigenständiges revolutionäres Profil aber nicht entwickeln konnte. Das ist das Problem, vor dem die PDS heute unter neuen Bedingungen ebenfalls steht, und das unter bloßen Verweis auf SAP, Austromarxismus (Otto Bauer) und Eurokommunismus nicht zu lösen ist.
* Kursive Seitenzahlen beziehen sich auf die Originaldokumente im Anhang des Buches.
Heinz Niemann (Hg.).
Auf verlorenem Posten? Zur Geschichte der Sozialistischen Arbeiterpartei.
Zwei Beiträge zum Linkssozialismus in Deutschland von Helmut Arndt und Heinz Niemann
Dietz-Verlag: Berlin, 1991
299 Seiten, 19,80 DM
August Thalheimer
Wie schafft die Arbeiterklasse die Einheitsfront gegen den Faschismus? (1932)
In der BRD neu herausgegeben von der Gruppe Arbeiterpolitik (Bremen, o. J.)
34 Seite, 1,50 DM
Gruppe Arbeiterpolitik (Hg.)
Der Faschismus in Deutschland
Band 1: Analysen und Bericht der KPD-Opposition 1928 – 1933
19731: Europäische Verlagsanstalt
19812: Selbstverlag, Bremen;
295 Seiten, 12,00 DM
[Die Zwischenüberschriften wurden nachträglich hinzugefügt. Das Wort „Rechtsstaat“ hätte einer präziseren Verwendung bzw. Ersetzung bedurft; vgl. http://linksaktiv.de/linksaktiv/pg/profile/DGSch; Abschnitt VII. Nachträglich bemerkte Tippfehler sind korrigiert.]
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