Meine Rezension des entsprechenden Buches von Anja Meulenbelt
erschien in: PROWO, Nr. 6, 28.09.1990, 5.
Die – leicht gekürzte – gedruckte Fassung gibt es als .pdf-Bild-Datei hier. Die ca. um 1/6 längere Ursprungsfassung gibt es hier als .pdf-Text-Datei.
Wenn ich heute die Rezension noch einmal zu schreiben hätte, würde ich eingedenk
++ der Kritik der von ihm so genannten „Repressionshypothese“ durch Foucault, der er seine an Marx angelegte These von der Produktivität der Macht entgegensetzte,1
sowie
++ der Notwendigkeit, Herrschaft und Ausbeutung analytisch zu unterscheiden und in ihren spezifischen Mechanismen zu untersuchen,
Meulenbelts Begriff von „Unterdrückung“ kritischer besprechen (wobei ich erst nachschlagen müßte, ob der Begriff „Ausbeutung“ von Meulenbelt selbst unter dem Wort „Unterdrückung“ zum Verschwinden gebracht wurde oder ob nur ich selbst damals in meiner Rezension keinen Wert auf diese Differenzierung legte). -
Des weiteren wäre zu dem in der Rezension angesprochenen Notwehrfall ergänzend zu fragen, ob es sich im vorliegenden Fall um einen Notwehrexzess handelte. – Die beim Satz verloren gegangene Fußnoten-Ziffer (zu der einzigen Fußnote des Textes) hätte hinter dem ersten Satz des zweiten Absatzes der letzten Spalte stehen müssen („Diese Sichtweise …“).
Schließlich mag ich auch nicht folgende nur in der Langfassung enthaltene Passage aufrechterhalten:
„Der Marxismus geht beispielsweise davon aus, daß die unterschiedlichen Formen der Klassenherrschaft eine Funktion der Entwicklung der Produktivkräfte sind, die ihrerseits wiederum der Befriedigung der sich zusammen mit ihnen weiterentwickelnden menschlichen Bedürfnisse dienen. Danach sind die jeweiligen Produktionsverhältnisse – je nach Stand der Produktivkräfte – mal Entwicklungsform und mal Fessel der Produktivkräfte. Der Marxismus geht dabei von einer Abfolge der Existenz bzw. Nichtexistenz verschiedener Formen der Klassenherrschaft aus: Urkommunismus, Sklavenhaltergesellschaft, Feudalismus, Kapitalismus, Sozialismus, Kommunismus und als Sonderfall der Klassenherrschaft der ‚asiatischen Produktionsweise‘.“
Auch wenn das Dargestellte Gedanken aus dem Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie und aus der Deutschen Ideologie kombiniert, würde ich heute weder sagen, daß dies ‚der Marxismus‘ so sieht, noch auch nur, daß das vorzuziehende Marxismus-Verständnis die Welt so sieht. Im ersten Satz fehlt der Klassenkampf, der sowohl die Produktivkräfte als auch die Bedürfnis-Definition beeinflußt. Im letzten Satz des Zitates hat der Ausdruck „Abfolge […] verschiedener Formen der Klassenherrschaft“ einen geschichtsphilosophisch-deterministichen touch, den ich heute vermeiden würde; auch, ob die Annahme der Existenz eines „Urkommunismus“ dem heutigen Stand der Forschung entspricht, vermag nicht zu beurteilen.
Meine Kritik, daß Meulenbelt ihrerseits keine theoretische Analyse der Ursachen von Herrschafts- und Ausbeutungssystemen gibt, ist allerdings durch meine etwas grobschlächtige Darstellung der marxistischen Analyse von Klassenherrschaft nicht hinfällig.
- „Was hat Marx getan, als er [bei] seiner Analyse des Kapitals auf das Problem des Arbeiterelends stieß? Er hat die übliche Erklärung abgelehnt, die aus diesem Elend die Wirkung einer natürlichen Knappheit oder eines abgekarteten Diebstahls macht. […]. Marx hat die Anklage des Diebstahls durch die Analyse der Produktion ersetzt. Mutatis mutandis ist das ungefähr das, was ich machen wollte. Es geht nicht darum, das sexuelle Elend zu leugnen, aber es geht auch nicht darum, es negativ mit Repression zu erklären.“ Es gehe vielmehr um die „positiven Mechanismen“, die es hervorbringen (Michel Foucault, Nein zum König Sex. Ein Gespräch mit Bernard-Henri Levy, in: Michel Foucault, Dispositive der Macht. Sexualität, Wissen und Wahrheit, Merve: [West]berlin 1978, 176-198 [180] [frz. Erstveröff. in: Le Nouvelle Observateur, 12. März 1977, Nr. 644]). [zurück]